Zwischen den Stühlen der Eltern



And now I'm glad I didn't know
The way it all would end, the way it all would go

(Garth Brooks)

Wie gut, dass ich manche Dinge nicht wusste. Geahnt habe, aber nicht wusste. Doch noch gehofft habe, dass es irgendwie anders wird.

Eigentlich wollte meine Mama heute Morgen kommen. Es wäre das erste Mal seit Mai gewesen, dass wir uns wieder gesehen hätten. Da war sie einmal mit meiner Schwester da, als ich noch in der Klinik war und wir waren im nahegelegenen Wald spazieren. Und gut war es nicht.

Tagebucheintrag vom 25. Mai 2017:
Also irgendwie… es ist schon immer die gleiche Katastrophe.

Irgendwie sind wir uns so fremd, dass wir kaum Worte finden, die wir miteinander wechseln könnten und laufen größtenteils schweigend nebeneinander her, während ich die Beiden durch eine unserer abendlichen Runden führe.



Und wenn wir reden, dann hagelt es Vorwürfe.

Es geht darum, dass ich ja hier 6 Wochen Urlaub machen würde und als Preis dafür die Familie zerschossen hätte.

Es geht darum, dass meine Schwester es für eine Katastrophe hält, wieder mit mir zusammen zu studieren und sich nicht mehr mit mir zusammen in eine Vorlesung setzen möchte. Es ginge ihr ausdrücklich nicht ums Staatsexamen.

Und man habe meine Dinge zu Hause ja nicht einfach in irgendwelche Kisten verfrachtet, sondern „gerettet“. Ja nee ist klar, gell?

Ich weiß, dass ich dafür heute keine Kraft gehabt hätte.
Es ist ja ohnehin immer die gleiche Situation. Erst kommen Vorwürfe und dann „Mondkind, was haben wir Dir eigentlich getan? Warum kommst Du denn nicht mehr?“

Das Eine ist die schwierige Beziehung zwischen uns und das Unverständnis für meine aktuelle Situation. Ich habe nie erwartet in Watte gepackt zu werden, aber ein „Psychische Erkrankungen gibt es nicht – Du darfst Dich einfach nur nicht so anstellen“, ist schon ziemlich hart. Und ich gebe mir ja Mühe und ich studiere auch immer noch und solange wie ich artig an meinem Abschluss bastele, gibt es mal gar nichts zu meckern.

Das Zweite ist, dass nach der Trennung unserer Eltern meine Schwester das „Mama – Kind“ und ich das „Papa – Kind“ geworden bin. Und wenn man sich beim jeweils anderen Elternteil aufhält, ist das gegen die unausgesprochene Regel. Zu meiner Mama zu fahren ist schon allein deshalb super anstrengend, weil mein Papa das auf keinen Fall herausfinden darf.

In der Klinik war es natürlich die eine Sache, dass ich mich in einer Institution befunden habe, die meine Mama und meine Schwester komplett abgelehnt haben. Die andere Sache war aber, dass ich Angst hatte, dass es zu irgendwelchen Begegnungen kommt, die nicht passieren dürfen. Wenn zum Beispiel morgens meine Mama gekommen wäre und nachmittags mein Papa. Was wäre denn nun passiert, wenn Mama noch da gewesen wäre, wenn Papa gekommen wäre?

Ich weiß, dass es ungerecht ist. Denn meine Mama hat mir nicht so viel getan – außer, dass sie eben meine Krankheit nicht akzeptiert, aber das tun viele Menschen nicht – damit könnte ich leben. Zumal ich eben auch mehr bin, als meine Krankheit.
Ich werfe den beiden ihre Trennung nicht vor. Das ist ihre Sache. Aber wenn ich vorsichtig versuche zu erklären, dass der Umgang damit die Situation zu dem gemacht hat was sie heute ist, dann heißt es: „Nein, das ist doch gar nicht so.“
Vielleicht ist es für sie nicht so. Vielleicht hat sie einfach nicht mitbekommen, wie sehr die beiden uns zwischen die Stühle gestellt haben. Wie etwas ist, ist immer eine Betrachtung, die auch standpunktabhängig ist. Unsere Eltern haben ja voneinander in den letzten Jahren relativ wenig mitbekommen.

Meine Kraft ist irgendwo auch begrenzt. Für die Uni reicht es gerade so, alles Weitere wird schwierig und ich kann mich nicht ständig in diese Familiensituation hinein hängen.
Und deshalb sind Begegnungen so schwierig. Ich weiß, wie verletzt meine Mama ist, weil ich von alleine nie auf die Idee komme, sie sehen zu wollen. Aber ich weiß auch, dass immer und immer wieder dieselben Fragen kommen, die umso drängender werden, je mehr Abstand zwischen den Besuchen liegt. Und ich weiß, dass ich diese Fragen nicht für sie passend beantworten kann, weil das für sie immer alles eine Ausrede bleiben wird – da sie das ja anders wahrnimmt als ich.

Meine Schwester hat das Problem übrigens genau andersherum. Ihr bleibt die Tür zu unserem Vater verschlossen.
Und insgesamt hat diese Problematik das Band zwischen uns auch zerrissen. Nicht nur, dass wir uns kaum sehen – wir werfen auch dem jeweils anderen vor, sich nicht genug dafür einzusetzen, dass wir wieder Teil dieser Teilfamilie sein dürfen.

 „Sie müssen einfach im Moment den größtmöglichen Abstand zu Ihrer Familie aufbauen“, hatte man mir geraten, weil man das im Moment alles für nicht lösbar hält. Dazu müssten sich ja alle bewegen. Das reicht nicht, wenn ich das tue. Ich allein werde nur gegen Wände rennen.
„Manche Dinge bleiben einem verwehrt. Aber es gibt immer Alternativen.“ Auch so ein Schlüsselsatz aus der Therapie.
Ich habe Menschen hier gefunden, die Freunde geworden sind. Ich bin nicht alleine. Aber das bedeutet nicht, dass mir nicht etwas wie eine Familie fehlt. 

Alles Liebe
Mondkind

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