Mein Jahr 2017



Es ist das erste Mal auf diesem Blog, dass ein Jahr sich dem Ende neigt. Ich persönlich brauche das in den letzten Tagen des Jahres immer, die wichtigsten Stationen der vergangenen zwölf Monate noch einmal zu rekapitulieren. Zu überlegen, was ich überhaupt alles erlebt habe. Noch einmal all die Höhen und Tiefen passieren. Um nochmal kurz inne zu halten. Um ein bisschen Frieden zu schließen mit all den Situationen, über die ich mich zu dem Zeitpunkt vielleicht geärgert habe, weil es mit ein bisschen Abstand bestrachtet, vielleicht doch auch gute Seiten hatte. 

Und wer an meinem Jahr im Schnelldurchlauf gern teilhaben möchte, holt sich jetzt am Besten eine heiße Tasse Tee und fängt dann an zu lesen. Es wird nämlich etwas länger... 

***

Another year over,

a little bit stronger

a little bit wiser

than a year ago today

(Delta Goodrem – A year ago today)

Wie endete es – das letzte Jahr? Was waren Ideen, Wünsche, Pläne?
Lass uns noch mal kurz zurück schauen.
Ich zitiere mich selbst.

„Kurzer Blick auf nächstes Jahr…

[…]

Dann wäre ich nächstes Jahr um diese Zeit im PJ und würde irgendwo auf einer internistischen Station beschäftigt sein und die ersten Fühler raus ins Arbeitsleben strecken.

Die Doktorarbeit könnte im Dezember des nächsten Jahres schon ganz gut voran gebracht sein, sodass zumindest definitiv alle praktischen Anteile durch sind.

Und ich könnte nächstes Jahr in der Klinik sein (was es ausschließen würde, Examen zu machen). Da hängt allerdings schon viel dran.“

Dazu muss ich jetzt glaube ich nichts mehr sagen. Im Leben hätte ich nicht für möglich gehalten, dass es so kommt. Aber… - es war irgendwo absehbar. Damals schon. Und vielleicht habe ich sogar ein winziges bisschen gehofft, dass es so kommt. Ich hatte nur viel zu viel Angst.
Und die Doktorarbeit… - nun ja, kein Kommentar…

Januar…
So wie jedes Jahr war um den Jahreswechsel herum Klausurenzeit. Deshalb war es bis fast bis zum Ende des Januars ziemlich ruhig – abgesehen vom Lernen für die Uni war nicht viel los. Es hatte geschneit bei uns – quasi den gesamten Januar lag Schnee und es stellte sich jeden Morgen die Frage, ob ich überhaupt zur Uni kommen würde. Es gab einige Tage in denen ich tatsächlich bis zum Hauptbahnhof laufen musste und entsprechend bin ich dann morgens noch früher aufgestanden, wenn das abends schon absehbar war.
Mein Gesundheitszustand hatte sich bis in den Februar hinein ziemlich verschlechtert. Ich war quasi dauer – erkältet, die Wochenenden habe ich dann doch immer im Bett verbracht, montags war ich wieder so halbwegs auf dem Posten, bis ich Freitags wieder flach lag. So etwas hatte ich ja schon lange nicht mehr erlebt.
Es war wenig Zeit für außeruniversitäre Dinge gewesen, aber wenn ich wirklich mal ein paar Minuten über hatte, habe ich es genossen mir den Hund zu schnappen und mit ihm im Wald durch den tiefen Schnee zu waten. Das war irgendwie immer eine Art Kindheitstraum gewesen und dort in der Ecke in der ich damals gewohnt habe, hat es aufgrund der Höhenlage immer viel mehr geschneit als rund herum und es wurde endlich Zeit, den Traum zu verwirklichen.



An den Studienblock schloss sich dann wieder ein Praxisblock an. Die Tage in der Uni wurden weniger anstrengend. Wir mussten im Stationsalltag teilhaben und uns um Patienten kümmern und sicher abends auch mal etwas lesen und lernen, aber nicht vier Wochen lang in jeder freien Minute Wissen in unser Hirn stopfen.
Ich hatte auch wieder Zeit für andere Dinge und der Oberarzt, den ich in einer Famulatur kennen gelernt hatte und ich hatten es endlich mal geschafft uns zu treffen. Ich wusste selbst nicht so genau, was mit mir los war – ich war beinahe noch nie so aufgeregt gewesen vor einem Treffen, aber es war sehr schön damals und irgendwie hatte ich gehofft, dass das ein bisschen mehr und enger wird mit uns – auch wenn mir quasi von Beginn an klar war, dass das eine Illusion ist. 



Auch die Doktorarbeit rückte wieder ein wenig mehr in den Fokus.
Kurz vor Semesterferien zog dann das Labor endlich in das neue Gebäude um – mit ungefähr einem Jahr Verspätung.
Blöd nur, dass unser Chef vergessen hatte, die Räumlichkeiten bei den Behörden anzumelden und sie deshalb gar nicht abgenommen waren und folglich auch keine unserer Tätigkeiten versichert war. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als den Laborbetrieb vorerst einzustellen. 



Und dann begann das Chaos. Rückblickend betrachtet ging es glaube ich schon viel früher los, als ich das bewusst wahrgenommen habe. Ich wusste, dass im Frühling bei der Bahn gebaut wird und dass ich eine zeitlang würde zurück in mein Elternhaus kehren müssen, um mit meiner Schwester mit dem Auto zur Uni fahren zu können. Ich wusste, ich würde zwischen den Welten pendeln müssen. Zwischen meinem Elternhaus und meinem damaligen Wohnort. Zwischen zwei Orten, von denen einer mal mein zu Hause gewesen ist, und der andere Ort es hätte werden sollen, aber nie so recht geworden ist. Für mich gab es keinen Ort, an dem ich sein durfte. In mein Elternhaus gehörte ich einfach nicht mehr und mir wurde auch immer wieder deutlich gemacht, dass ich dort die Abläufe teils auch störe. Und dort wo ich damals gewohnt habe… - ich konnte mir einfach nie vorstellen, dass man sich freiwillig eine fremde Person ins Haus holt, mit der man dann dort lebt. Ich hatte immer das Gefühl, dass es die doch viel mehr entspannen muss, wenn ich weg bin.
Es gab Zeiten, in denen ich darüber nicht so viel nachgedacht habe. Aber gerade wenn dieses Thema „Pendeln zwischen den Welten“ und „Heimatlosigkeit“ wieder so aktuell geworden ist, hat es mich ganz schnell an meine Grenzen gebracht. 


Ich habe noch versucht, Halt zu finden. Ich bin einmal quer durch Deutschland zu meiner Oma gefahren – Zeit hatte ich durch den Stillstand im Labor ja nun. Das war auch eine gute Idee. Wir hatten eine wunderschöne Woche – dass es so gut läuft, hatte ich nicht erwartet. Wir haben uns gut verstanden und ich fand es so rührend, als sie einmal morgens im Schlafzimmer stand, mich geweckt hat und meinte, sie sei extra 10 Minuten gekommen, bevor das Frühstück fertig ist, damit ich noch Musik hören kann, weil ich das ja nicht so mag sofort hoch hüpfen zu müssen, wenn der Wecker klingelt. Wir hatten ewig nicht mehr Zeit miteinander verbracht, aber das wusste sie noch.
Wir haben viel unternommen in der Woche und ich habe dort auch gemerkt, wie müde ich eigentlich war, aber ich dachte, dass dieser räumliche Abstand zu meinem Chaos es vielleicht noch retten kann.

Wieder zurück war ich abwechselnd an meinem Wohn- und meinem Heimatort und nirgendwo konnte ich es aushalten. Nebenbei habe ich emsig die Skripte zusammen gefasst – so ganz dabei war ich aber damals nicht. Mitbekommen habe ich damals glaube ich nur, dass es ein völlig hoffnungsloses Unterfangen war.

Ich weiß gar nicht mehr, wie die Situation sich dann so zugespitzt hatte. Ich bin zwischen den Orten gependelt, habe noch ein Pädiatrie – Praktikum eingeschoben, nebenbei die Skripte zusammen gefasst in dem Wissen, dass ich sie nie im Leben pünktlich fertig bekommen würde und irgendwie verschlechterte sich mein Zustand immer mehr.


Und dann fiel in der Ambulanz mal wieder das Wort „Klinik“. Und diesmal blieb es nicht dabei, das als theoretische Möglichkeit in den Raum zu stellen, sondern ich musste an einem Freitagnachmittag noch warten, bis auch die Ärztin Zeit hatte und mit ihr nochmal sprechen, um dann vorerst wieder gehen zu dürfen.
Und da wusste ich schon, dass sich das kaum noch abwenden lässt.

Ostern habe ich noch in meinem Elternhaus verbracht und in der Woche danach ging die Uni wieder los. Mitbekommen habe ich nichts mehr. Ich konnte nicht mehr zuhören, nicht mehr lesen, nicht mehr lernen – nichts. Es war, als habe man sämtliches Wissen aus meinem Hirn geschmissen und ich habe es drei Freunden zu verdanken (von denen ich mittlerweile leider auch schon lang nichts mehr gehört habe), dass sie mich durch die Seminare der ersten Woche geschleift haben. 

Startklar für die Uni !
Und dann kam jener Freitag, an dem es endgültig vorbei war.
Ich habe darüber schon so viel geschrieben, ich führe es nicht nochmal aus.
Es war so viel gleichzeitig. Die Angst vor dem, wie es weiter gehen würde. Das Eingeständnis, dass das alles nicht nur eine Phase ist, dass ich nicht nur „streckenweise ein bisschen überfordert“ bin. Dass die „Überfliegerzeit“ jetzt vorbei ist.
Bis hierher war alles glatt gelaufen. Ein super Abi, ein Studium in Regelstudienzeit und nebenbei noch eine Doktorarbeit und all das trotz einer schwierigen Lebenssituation. Für mich war das nichts Besonderes, sondern einfach der „natürliche Lauf der Dinge“, aber rückblickend betrachtet war es doch eine Menge. All das brach plötzlich zusammen. Und weil ich nichts außer meine Leistungen hatte, war das eine absolute Katastrophe.
Und gleichzeitig war da noch etwas, das ich gar nicht so richtig wahrnehmen wollte – denn wie konnte ich das gut finden? Aber doch, es war da. Erleichterung. Dieser ganze Wahnsinn war vorerst vorbei. Und da war noch etwas - Hoffnung. Wenn ich das Gelände dann wieder endgültig verlassen würde, würde es mir besser gehen.

Ich glaube am Anfang war sich keiner sicher, ob ich dort lange bleiben würde. Ich wollte irgendwie, aber gleichzeitig hat es in mir nur geschrien, es hat mich so zerrissen – Aufgabe der ersten Tage war einfach nur mich selbst auszuhalten. „Wann hört das auf?“ Diese Frage hat der Stationsarzt oft von mir gehört und „Frau Mondkind, Sie müssen Geduld haben“, war die regelmäßige Antwort und ab und an hat mir ein Benzodiazepin zumindest für ein paar Stunden den Wahnsinn ein bisschen genommen.
Gleichzeitig haben wir vereinbart, dass ich erstmal eine Woche bleibe und in der Zeit überlege, ob ich mich mit dem Gedanken anfreunden kann, länger zu bleiben. Aber rational betrachtet: Hatte ich eine Wahl? Ich hatte doch im Studium in dem Zustand keine Chance mehr. Was sollte ich denn tun, wenn ich mit meinen Kräften am Ende war, aber auch nicht bereit war, mir helfen zu lassen? Wo sollte das enden? Und deshalb blieb ich.

Und irgendwann ist die Klinik zu einem zeitlich begrenzen zu Hause geworden. Nachdem ich in dem Jahr so viel hin und her gependelt war, war das der erste Ort an dem ich länger als ein paar Wochen war, bevor ich wieder weiter gezogen bin. 

Mit eigener Bettwäsche sieht es tatsächlich einigermaßen wohnlich aus ;)

Hier habe ich irgendwann die Weichen für einen Neuanfang gestellt. Ich hatte beschlossen umzuziehen, ich bin offener geworden für die Menschen um mich herum und habe Freunde gefunden. Ich habe verstanden, dass das Leben so viel mehr bietet als den Schreibtisch und ich habe erstmals angefangen meine Studienstadt zu erkunden.
Irgendwann kam der Sommer und ich habe etwas erlebt, von dem ich nicht geglaubt habe, es noch mal fühlen zu dürfen. Ich war wieder Teil der Welt, in der die anderen auch leben. Ich habe die Sonne in mir gefühlt, das schöne Wetter genossen, unsere abendlichen Spaziergänge, das Picknicken auf dem Klinikgelände, Eis essen gehen mit Mitpatienten.
Und all das ohne, dass es mich dabei auseinander gerissen hätte, dass ich trotzdem ganz woanders war, als alle anderen. Nein – ganz ruhig, ohne Stress… - einfach nur in dem Moment leben.
Es waren die wenigen Tage, die in diesem Jahr mein Sommer waren. Aber ich hatte einen. Das erste Mal seit über 10 Jahren hatte ich das Gefühl einen Sommer zumindest kurzzeitig wirklich erlebt zu haben. Einen echten Sommer. Keinen, der sich hinter irgendwelchen Praktika versteckt hat, sondern etwas, das jeder andere Mensch auch als Sommer bezeichnen würde.

Die Schlüssel zur WG. Ich war so unfassbar stolz auf mich ;)


Natürlich gab es auch schwierige Momente. Das bisherige Leben komplett über den Haufen zu werfen ist keine einfache Entscheidung und ging mit vielen Ängsten, Zweifeln und Tränen einher. Ich war froh, diese Zeit nicht allein durchstehen zu müssen, sondern zusammen mit den Mitpatienten, die mir immer wieder Mut gemacht haben und mit dem Team der Station.

Und irgendwann bin ich wieder in die Uni gegangen und so langsam kehrte der Alltag wieder ein in mein Leben. Naja… Alltag. Morgens Uni, nachmittags Psychiatrie… - inwiefern das Alltag ist?

Es war schwierig geworden am Ende. Damals hatte ich das gar nicht so ganz richtig verstanden, warum es mir wieder so schlecht ging. Heute glaube ich, dass das diese Diskrepanz war zwischen dem, was man von mir erwartet hat, dass ich vermittle und dem, was ich wirklich wahrgenommen habe. Die Uni hat mein Fell wieder dünn werden lassen, der Stress mit der Dreifachbelastung Uni, Klinik und Umzug hat mich fertig gemacht – aber (fast) ganz nach alter Manier – nicht so fertig, als dass die Uni nicht mehr funktioniert hätte.
Und das nicht kommunizieren zu dürfen und zu können (denn wer wieder in die Uni geht, dem kann es ja nicht so schlecht gehen) – obwohl ich ja nun in der richtigen Institution dafür war, hat in mir einen immensen Druck erzeugt.

Auch, dass das Thema mit den Suizidgedanken erst kurz vor meiner Entlassung auf den Tisch kam, war schwierig. Ich wusste, dass ich da eigentlich dran arbeiten muss, aber es ging nicht mehr, ohne dass ich die Uni hätte abbrechen müssen. Und das wollte ich nicht.
Abgesehen davon hatten wir einen neuen Stations- und Oberarzt und wenn ich das mit dem alten Team in 10 Wochen nicht geschafft hatte darüber zu sprechen (und den alten Oberarzt kannte ich noch viel länger), war jetzt ganz sicher nicht der richtige Zeitpunkt.

Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich raus musste. Es kam der Zeitpunkt, an dem das für mich einfach nicht mehr der richtige Ort war. An einem Nachmittag habe ich vor unserem Stationsarzt gesessen und ihm erklärt, dass es irgendwie alles nichts nützt, wenn ich versuche um Verständnis zu ringen, aber das offensichtlich keiner nachvollziehen kann und ich auch das Gefühl habe, nicht mehr alles sagen zu können, ohne die Uni zu gefährden.
Er war noch einer der ganz jungen Ärzte gewesen, der nicht versucht hat jede Aussage wieder auf irgendeine therapeutische Schiene zu schieben.
Er konnte dazu auch nichts mehr sagen. Wir wussten beide, dass das stimmt. Ich würde an der Stelle vorerst nicht mehr weiter kommen und vielleicht hatte ich auch langsam den Klinik – Koller.

Die erste Nacht, in der ich wieder mein eigener Mensch war. In der man es mir zugetraut hat, dass ich von nun an wieder alleine in dieser großen, weiten Welt zurecht komme.
Es ist schon erstaunlich, wie zerbrechlich man wird, wenn man drei Monate innerhalb von schützenden Mauern verbringt.
Ich musste erstmal begreifen, dass ich alles auch allein schaffen kann. Zwar fühlte es sich nicht gut an, aber ich kam zurecht. Die Basics haben bei mir ja immer funktioniert. Aufstehen, fertig machen, in die Uni fahren, zuhören.

Drei Wochen nach der Entlassung war die Blockabschlussklausur. Es war eine wichtige Klausur für mich, weil es die Generalprobe war, ob all die Veränderungen "uni - kompatibel" sind.

Im Sommer bin ich dann – wahrscheinlich entgegen aller guten Ratschläge – zurück in mein Elternhaus gefahren und habe auf die Meerschweinchen aufgepasst, während meine Mama und meine Schwester auf Kreuzfahrt waren.
Es war eine schöne Zeit mit den beiden Rackern. Ich bin mit den Zusammenfassungen gut voran gekommen und habe es zwischendurch genossen, mich um die Fellnasen zu kümmern. 

Midnight

Cosmopolitan


Bevor es dann in die Endphase der Lernens für die restlichen Kommilitonen aus meiner Gruppe ging, haben wir uns abends ab und an mal in der Stadt getroffen. Meistens sind sie lang geworden, diese lauen Sommernächte, die wir erst in der Altstadt und dann am Fluss verbracht haben und es kam nicht selten vor, dass ich irgendwann um 2 Uhr morgens durch eine menschenleere Uni auf dem Weg nach Hause radelte.
Es war ein völlig neues Gefühl von Leben und so manchmal habe ich mich gefragt, was ich entgegnet hätte, wenn irgendwer mir am Anfang des Jahres berichtet hätte zu welchen Uhrzeiten und mit welchem Verkehrsmittel ich durch die Uni radeln würde. Und in solchen Momenten ist mir immer bewusst geworden, wie viel ich doch auch erreicht habe.



Den Rest der Semesterferien habe ich hauptsächlich damit verbracht morgens im Labor zu sein und nachmittags zusammen zu fassen und an den Wochenenden habe ich dann das „socialising“ nachgeholt, das ich in der Woche nicht mehr geschafft habe.
Es war eine hektische Zeit. Ich war im Prinzip jeden Tag auf Achse, wollte aber allen und allem gerecht werden. Ich musste meine Doktorarbeit voran bringen und Präsenz und Interesse im Labor zeigen. Bis zum Ende der Semesterferien mussten die Zusammenfassungen weitestgehend fertig sein, weil im Dezember vor dem Start des Lernplans nicht mehr viel Zeit übrig bleiben würde. Und dann hatte ich ja nun ein paar Menschen kennen gelernt, die ich schon auch treffen wollte, aber es war eben auch viel Stress. Vielleicht hätte ich das mit dem „socialising“ nicht immer gemacht, hätte meine Therapeutin nicht bei jedem Termin gefragt, ob ich denn meinem Sozialleben nachkomme und auch hier wollte ich den Ansprüchen gerecht werden.
Ich war wochenlang jeden Tag unterwegs und erst ganz am Ende habe ich es geschafft, auch mal einen Tag zu Hause zu bleiben. Ich glaube, ich habe selbst nicht gemerkt, wie ich mir da ein bisschen zu viel zugemutet habe. Ich hätte an jeder Ecke ein paar Abstriche machen sollen. Da aber scheinbar alles perfekt funktionierte, hat gar keiner (anfangs auch ich selbst nicht) mitbekommen, dass es mir alles über den Kopf wuchs und dann zur schlimmsten Krise seit der Klinik ausartete. 




Zwar nur mit viel Starthilfe (und auch diesen Nachmittag werde ich so schnell nicht vergessen) – aber auch das habe ich geschafft und startete pünktlich und planmäßig in mein letztes halbes Semester. Auch hier hatte es zwischendurch noch tagelang Theater mit dem Stundenplan gegeben und das hatte auch wieder zu viel Streit mit meiner Schwester und Schuldgefühlen meinerseits geführt. Aber ich bin ihr dankbar, dass sie am Ende doch in den Tausch eingewilligt hat, auch wenn man das hätte unkomplizierter haben können.
Die letzten acht Wochen in dem Setting, wie wir es die letzten Jahre verbracht hatten, zogen schnell vorbei. Die Lernerei war allerdings – das muss man mal zugeben – entspannter als in manch anderen Blöcken, weil ich Praktika vorgezogen hatte. Deshalb konnte ich doch ab und an mal noch Leute treffen und bei einer Freundin einspringen, als sie krank war. Auch das war alles für mich stressig, aber ich war stolz es überhaupt getan zu haben, denn noch ein halbes Jahr davor wären solche Dinge undenkbar gewesen.

Am ersten Dezember habe ich dann meine letzte Klausur an der Uni in diesem Studium geschrieben. Die darauf folgenden Tage waren nochmal stressig. Viel stressiger als geplant. Es stellte sich heraus, dass die Zusammenfassungen doch noch nicht so weit waren, wie ich angenommen hatte, im Labor kamen plötzlich wieder neue Ideen zum Vorschein, wo ich mir doch vorgenommen hatte, die aktuellen Arbeiten zu einem vorläufigen Abschluss zu bringen, um die Arbeit vier Monate lang auf Eis legen zu können.
Aus dem Plan nochmal ein paar Tage frei zu nehmen wurde nichts und so startete denn Mitte Dezember der Lernplan.

Der Lernplan... nun ja - ich hatte mir die Sache etwas weniger stressig vorgestellt. Aber letzten Endes ist es eben sehr viel zu lernen und so "halb - präsent" sein geht eben eigentlich nicht, obwohl ich weiß, dass es nicht wenige solcher Tage geben wird. Die Puffer - Tage sind eigentlich nicht gedacht um frei zu nehmen, sondern um genau diese Tage auszugleichen.

Mittlerweile sind die schon alle bunt markiert...
Den Dezember verbrachte ich dann wieder mehr oder weniger auf dem absteigenden Ast, konnte aber dank des Kontakts in die Psychsomatik doch noch eine Gründe dafür heraus finden und somit auch Schrauben ausmachen, an denen man jetzt drehen kann. Das wird zwar eine große Herausforderung, aber unmöglich ist es sicher nicht, wenn man zumindest mal weiß, woran man arbeiten kann und ich hoffe, dass es im Januar schnell besser weiter geht. 

Kurzer Blick auf nächstes Jahr.
Ich weiß nicht, ob man das so absolutistisch sehen muss und irgendwelche großartigen Vorsätze machen sollte, von denen ich in der jetzigen Situation ohnehin nicht weiß, ob ich die einhalten kann. Oder ob ich einfach sagen sollte, dass alles okay ist, solange es mir dabei gut geht.
Geplant ist es, jetzt bis April den Lernplan zu verfolgen, dann das Examen zu schreiben und dann habe ich noch einen Monat frei. Was ich in der Zeit mache, weiß ich noch nicht.
Und dann beginnt – wo auch immer – das PJ. Vielleicht werde ich den Großteil meines Jahres sehr weit weg verbringen.
Vielleicht bin ich in 12 Monaten auch dankbar für das Jahr. Vielleicht habe ich dort unten irgendwie Fuß gefasst, Freunde gefunden, einen idealen Ort zum Arbeiten. Denn trotz aller Ängste die das jetzt mit sich bringt, hatte ich schon meine Gründe, so sehr an diesem Ort festzuhalten.
Vielleicht findet sich alles irgendwie. Ich kann mich nur erinnern, dass am Ende des Jahres 2015 die in der Ambulanz nicht so begeistert waren, dass sie mich nicht los werden (eigentlich ist das nämlich tatsächlich nur eine Durchgangsstation und ich weiß gar nicht, warum ich da jetzt so lange bleiben darf...) und ich damals im Jahresrückblick geschrieben habe, dass ich Angst habe in ein paar Monaten wieder allein da zu stehen und diese Stütze zu verlieren. Letzten Endes bin ich jetzt diejenige, die der Sache ein Ende setzt und rein rational betrachtet kann ich mein Leben auch nicht um die Ambulanz herum aufbauen. Wir werden nur kaum Zeit haben, die Sache zu irgendeinem Abschluss zu bringen. Das vor dem Examen anzugehen wird nicht funktionieren, weil mich das zusätzlich zu sehr belasten wird und danach haben wir noch einen Monat Zeit, um mich von der Ambulanz zu lösen. Es wird schon relativ abrupt werden und ich weiß, dass das für mich eine Katastrophe werden wird. Ich weiß nicht, ob ich an der Stelle zu hart zu mir selbst bin, aber da werde ich wohl durch müssen...

Und in puncto Doktorarbeit… - ich könnte sagen: Ich hoffe in einem Jahr ist das Ding fertig. Aber das schreibe ich seit 3 Jahren an das Ende des Jahresrückblickes. Es ist nicht sehr wahrscheinlich. Jedenfalls nicht mit dieser Arbeit - vielleicht höre ich ja auch mal auf den allgemeinen Rat um mich herum und beginne eine neue Arbeit während meines PJs. Ich habe ja viele lange und einsame Abende - die kann ich durchaus auch mit Fachliteratur und Datenauswertung verbringen. Nur eine experimentelle Arbeit würde ich jetzt nicht nochmal versuchen wollen. Es war zwar eigentlich mein Anspruch wenn ich das schon mache etwas experimentelles zu tun, aber letzten Endes muss man sagen, dass da halt kein Hahn nach kräht.

Für mich selbst würde ich mir einfach wünschen ein bisschen stabiler und ein bisschen glücklicher zu werden. Ich würde mir gerne auch mal schöne Dinge erlauben können, ohne dabei maximal gestresst zu sein oder die Zeit dann irgendwo anders ausgleichen zu müssen. Ich würde gerne mehr in dem Moment, mehr im Jetzt leben. Denn bei allen Zukunftsplänen, die das nahende Ende des Studiums jetzt mit sich bringt, lebe ich immer noch im Jetzt.
Ich würde mir wünschen - wo auch immer ich dann bin - einige schöne Tage im Sommer verleben zu können. Ob ich nun immer noch hier in meiner Stadt bin und mich nach wie vor mit den Kommilitonen treffe oder ganz weit weg bin und meine Nachmittage vielleicht mit einem Buch auf einer Bank an der nahe gelegenen Burg verbringe, weiß ich noch nicht. Aber die Hauptsache ist, dass es für mich in dem Moment okay ist.

Und auch wenn meine Therapeutin Tagebruch schreiben nicht für die beste Idee hält (und noch schlimmer sind Jahresrückblicke... ;) ), so wird der Blog sicher doch noch weiter Bestand haben. Denn so lange wie mein Kopf denken und meine Finger tippen können, habe ich hier eine ideale Nische gefunden. Ich kann gar nicht sagen warum, aber es nimmt Druck raus, hier jeden Abend meinem Tag Raum geben und ihn ablegen zu dürfen.
(Und an der Stelle bedanke ich mich auch für alle Mails, die mich von Zeit zu Zeit hinsichtlich des Blogs erreichen).

Wir beschreiben die letzte Seite eines Buches. Klappen es zu und stellen es in den Schrank. Wieder mal ein Jahr geschafft. Wieder mal ein Jahr überlebt.
Und ich werde mich oft zurück erinnern an die guten Momente des Jahres, an die Momente, in denen die Hoffnung wie ein kleines Licht im Dunkel zum Vorschein kam, an die Menschen, denen ich in diesem Jahr begegnet bin. An die Momente, die Wendepunkte waren und die Momente, deren Bedeutung ich erst viel später verstanden habe. An die Momente, in denen jemand mein Leben doch mal einen Augenblick mitgetragen hat und die Momente, in denen ich ganz viel Dankbarkeit gefühlt habe, dass ich sie erleben durfte.

Es hatte seine Höhen und Tiefen – dieses Jahr. Vielleicht die höchsten Berge und tiefsten Täler, durch die ich in meinem Leben je gegangen bin. Aber ich möchte trotz allem nicht missen, was ich in den letzten zwölf Monaten erlebt habe. 




„Tomorrow ist the first blank page of a 365 day book. Write it a good one“
(Brad Praisley)

Ein frohes, gesundes, glückliches und erfolgreiches neues Jahr wünsche ich allen Lesern!
Mondkind

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