Tag 28 / 116 Pharma IV Teil 1 und Ambulanz



So… heute dann mal der Tag der Tage…
Unitechnisch ist nicht viel gelaufen. Ich habe es echt versucht so viel zu machen, wie es ging, aber ich habe kein ganzes Kapitel geschafft. Ich habe ja gehofft, dass ich für Pharma doch keinen Tag länger brauche, aber den brauche ich nun wohl doch definitiv. Eigentlich war der für die Antibiotika gedacht, aber nun gut…

Gekreuzt habe ich auch. Herz V.
Es lief einigermaßen. Ich hatte schon die Befürchtung – nachdem das gestern so eine Katastrophe war – dass es heute auch nicht klappt. Ob nun aufgrund meiner Verfassung oder weil man so einfach nicht vernünftig lernen kann… aber die Frage stellte sich ja nicht…

Jetzt wiederhole ich gerade noch Pharma von gestern… wenn ich das jetzt noch schaffe, dann geht es sogar bilanzmäßig am Ende doch noch irgendwie…

***
„Wie geht es Ihnen?“
„Unverändert…“ Das ist relativ diplomatisch ausgedrückt. „Ziemlich beschissen“ hätte es wohl eher getroffen, aber so etwas bringt Mondkind ja nur schwer über die Lippen…
„So wie letzte Woche – also eher schlecht…“, schlussfolgert die Therapeutin.
„Kann man sagen… ja…“
Und nachdem wir das geklärt hätten: „Und wie geht es Ihnen körperlich? Sie sehen nicht gut aus, wenn ich das mal so sagen darf…“
„Naja, da hakt es im Moment auch ein wenig…“, berichte ich – und führe das nach einer kurzen Pause noch ein wenig weiter aus, auch wenn es mir unangenehm ist.

Ich gebe mir einen Ruck und bringe meine Themen an. Wenn ich jetzt noch warte bis sie das Gespräch in die Hand nimmt, springt sie wieder auf irgendeinen Zug auf, der im Moment überhaupt nicht wesentlich ist.
Ich versuche es immer zuerst ohne Zettel, habe ihn aber zur Sicherheit in meiner Tasche.
„Ich weiß, wir haben noch nie über dieses Thema geredet – es läuft sonst halt immer so ein bisschen im Hintergrund. Es wird schon mal aktueller, dann aber in den Semesterferien und klar – das ist auch nicht schön, gefährdet die Uni aber nicht…“
Ich habe total Angst, dass sie mir gleich vorwirft aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, denn es ist schon ein bisschen so. Es ist eine blöde Situation. Schwierig, aber nicht schlimm, wie der alte Oberdoc zu sagen pflegte.

Sie spricht davon, dass Examenszeit immer eine schwierige und sehr extreme Zeit ist. Da funktioniert man nicht mehr ganz rational – insbesondere, wenn man ohnehin schon angeschlagen ist. Und da können auch kleine Dinge – insbesondere wenn es mehrere kleine Dinge seien, einen ganz schön aus der Bahn schmeißen.
Und sie hat wirklich Verständnis für das, was ich ihr erzähle. Ich erkläre, dass ich Angst habe es zu lösen und das jetzt auch wirklich nicht machen kann. So viel Ausfall wie das durch Panik produzieren würde, kann ich mir nicht leisten… und doch reden wir darüber. Überlegen, wann es am Besten einzubauen ist in den Tagesplan, wie es vorzubereiten ist und wie man es ein kleines bisschen erträglicher gestalten kann.
Und am Ende bin ich wirklich motiviert, mich darum zu kümmern.

Es geht nochmal um meine aktuelle Verfassung.
„Es ist schon rational bei mir angekommen, was wir letzte Woche besprochen haben. Ich weiß, dass es Perspektiven gibt, dass das PJ eine Chance werden kann, dass ich es schaffen kann und man das alles positiv sehen kann. Aber ich kann das gerade wirklich nicht für mich annehmen, so sehr ich es auch versuche.
Es wird doch nie aufhören. Selbst wenn ich jetzt wieder auf die Füße komme – allerspätestens nach dem Examen klappt es das nächste Mal alles zusammen und das kann ich mir wirklich nicht auf Dauer antun. Ich sehe da keine Perspektiven mehr für mich.“
„Nein, das sollen Sie sich auch nicht ewig antun. Aber Sie sollen das auf einem konstruktiven Weg lösen.“ Sie erklärt mir, dass ich im Moment ein bisschen in einem Tunnel gefangen bin. Dass mein Blick relativ eng und negativ geworden ist und ich da im Moment so drin hänge, dass ich gar keine Chance habe, das objektiv von außen zu betrachten. Aber irgendwann werde ich meinen Blick auch wieder ein wenig heben können und nach links und rechts schauen und sehen können, dass da auch noch etwas anderes, als nur Negativität ist.
„Solange wie noch jemand da ist, der mir das immer wieder vermitteln kann, stütze ich mich manchmal einfach darauf, dass die Menschen um mich herum vielleicht Recht haben. Also wenn Sie das sagen… - vielleicht vertraue ich Ihnen einfach mal.“
„Tun Sie das… es wird besser…“

Bisher habe ich mich ja ganz gut gehalten, aber jetzt bricht es doch über mich herein. Diese ganze gefühlte Ausweglosigkeit im Moment, dazu noch allerhand Probleme, die plötzlich wirklich riesig zu sein scheinen. Für mich ist das gerade alles so real, ich kann da auch nicht einfach so raus springen.
Ich weine wirklich fast nie in der Therapie. Da kann mir vorher und hinterher die Decke auf den Kopf fallen, aber sobald ich mich in die Öffentlichkeit bewege, habe ich das normalerweise im Griff. Heute aber nicht.

„Ich bin so dankbar für die Tagebucheinträge aus dem Sommer“, sage ich.
„Was war denn da?“, fragt sie.
„Naja… diese wenigen Tage, die mein Sommer waren. Ich habe geglaubt so etwas nie wieder erleben zu können und im Moment… ist das so weit weg, dass ich das auch schwer vorstellbar finde…das ist eine ganz andere Welt gewesen.“
„Aber es gab sie… Sie kriegen das auch nochmal hin…“

Weiterhin über Negativität zu reden, hat gerade wenig Sinn – deshalb schlägt sie vor noch eine kleine Übung am Ende der Stunde zu machen und einen „sicheren Ort“ zu erstellen. Ich habe das ja noch nie im Einzel gemacht. Wir haben das mal in der Klinik gemacht mit unserem Stationspsychologen in der Gruppe (Geschichten erzählen konnte er in der Tat ganz gut…) und es war eine ziemlich komische Situation und auch nochmal so emotional…
Aber ein idealer Ort… er muss ja nicht real sein in der Übung, er darf auch zusammen gewürfelt oder auf einem anderen Planeten sein, aber es gibt meinen idealen Ort auch in der Realität. Auch wenn ich ihn dann anders abgrenze und mit anderen Wesen fülle („ich würde Ihnen empfehlen, keine Menschen zu nehmen…"  ;)    ), als ich ihn einst kennen gelernt habe…  ich weiß gar nicht, ob es mir gut tun würde nochmal dahin zurück zu kommen. Aber er hat viel für mich geändert damals…

***
Ich war dann heute Nachmittag – so das mit Matschhirn eben möglich ist – wirklich motiviert, habe mich gleich mal um die Wäsche gekümmert und auch versucht das andere Problem in Angriff zu nehmen. Leider ist das versicherungstechnisch nicht ganz einfach. Ich hatte noch eine Freundin gefragt, aber die hatte so schnell keine Zeit sich damit auseinander zu setzen, was auch vollkommen okay ist. Ich wollte es nur eigentlich heute in die Wege leiten, um sofort Nägel mit Köpfen zu machen und mich nicht nochmal umzuentscheiden.

Also habe ich dann zähneknirschend doch bei meiner Mutter angerufen. Schwerer Fehler… statt mir zu helfen, konnte sie natürlich wieder bestens diskutieren und nach dem Telefonat --> nächster Zusammenbruch. Sehr gut…
Es ist irgendwie tatsächlich nicht so einfach, bürokratisch gesehen. Es ist ja nie irgendetwas einfach und es wäre ja auch schließlich ein bisschen zu viel Luxus, wenn man einige Dinge mal ziemlich unproblematisch aus der Welt schaffen könnte und sich schon mal drei Zusammenbrüche pro Tag sparen könnte.

Es fühlt sich gut an die Sache mit der Hoffnung gerade wem anders übertragen zu können. Ich kann mich noch an eine meiner ersten Tage in der Klinik erinnern. Es gibt Sätze, die bleiben. Ich hatte ein ziemlich anstrengendes Gespräch mit unserem Stationsarzt und am Ende meinte er: „Das ist völlig okay, dass sie die Hoffnung gerade nicht haben. Aber wenn Sie die nicht haben, dann tragen wir die eine Weile für Sie.“

Auf den Gedanken muss man sich glaube ich ein bisschen einlassen, aber ich finde, das kann wirklich befreiend sein. Ich muss gerade nicht darum ringen, ob ich nun Hoffnung habe oder nicht. Meine Therapeutin macht sich mit Sicherheit keine Gedanken darüber und der Stationsarzt hat das wahrscheinlich auch nicht getan, aber es entbindet ein wenig von dieser Pflicht zwingend irgendwo etwas finden zu müssen, das einen vorwärts zieht.

Und irgendwie geht es am Ende wahrscheinlich darum jeden Tag ein Stück vorwärts zu gehen - manchmal auch in dem Glauben, dass es ohnehin sinnlos ist. Oder vielleicht auch mal stehen zu bleiben, aber nicht rückwärts zu gehen.
„Immer nach vorne, ruhig und gerade.“ Das war auch mal so ein Satz. Dann kommt man irgendwann an.

Alles Liebe
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen