Tag 38 / 116 Abdomen I



Jetzt habe ich es in der ganzen Kreuzerei doch tatsächlich vergessen, mir die Haare waschen zu gehen und muss sie jetzt deshalb föhnen, bevor ich ins Bett gehe…

Ich glaube so langsam komme ich hier in einem gewissen Motivationstief an. Ich meine… - im Prinzip ist es ja ohnehin fragwürdig, wie viel Sinn das Examen in der jetzigen Situation noch hat, aber da ich ja sowieso nirgendwo Ruhe finde außer vor meinem Schreibtisch, denke ich darüber mal nicht so viel nach…
Aber das Kreuzen, das zermürbt mich wirklich. Ich vergesse echt schneller als ich lerne. Manchmal frage ich mich, ob das anderen wohl auch so geht? Ich verbringe ja wirklich viel Zeit vor den Büchern – der Blog ist eigentlich neben den notwendigen Dingen zur Selbstversorgung tatsächlich das Einzige, das ich mache (und auch das geht schneller, als es vielleicht wirkt, weil ich fast genauso schnell tippe, wie ich rede…) und es scheint trotzdem zu wenig zu sein.
Also… es ist keine ganz große Katastrophe, ich bin selten unter 80 %, aber mir ist das viel zu viel Raterei…
Heute waren Leukämien, myelodysplastische und myeloproliferative Syndrome dran und ja… - das ist ein schweres Thema, wie ich finde. Aber die fragen halt auch Dinge, das ist nicht mehr normal. Ich kann doch nicht für jede abgefahrene Leukämieform das Therapieschema im Kopf haben. Und selbst wenn ich später auf der Hämatoonkologie arbeiten wollte, wäre ich als Berufsanfänger ohnehin die Letzte, die da irgendetwas zu entscheiden hätte.

Jedenfalls fand ich das heute zumindest mal ein wenig beruhigend, als ich in einem Kommentar zur Frage folgenden Satz fand:
"Inwieweit die genaue Kenntnis der bei verschiedenen Malignomen eingesetzten Substanzen für Medizinstudenten bzw. Berufsanfänger entscheidend ist, sei dahingestellt."
Das ändert halt leider trotzdem nichts daran, dass ich das in drei Monaten alles wissen muss…

Und zur Kardio – Wiederholung bin ich heute auch noch nicht gekommen… - das kommt gleich wahrscheinlich noch…nach dem Haare waschen... und nachdem ich die Erkenntnisse aus dem heutigen Kreuztag noch formatiert abgespeichert habe. Ich kann das nicht alles abschreiben - ich brauche echt einen Drucker. Wahrscheinlich fahre ich Donnerstag ins Labor - obwohl ich es lieber sofort ausdrucken würde, denn dann fange ich ja wieder an das durchzugehen und ich habe keine Zeit... 
Ich bin ein bisschen durch glaube ich...

***

Ansonsten habe ich mir heute mal wieder so meine Gedanken gemacht…
Vielleicht sollte ich heute mal – auch wenn ich das Wort hasse – eine Triggerwarnung davor setzen… Das sei hiermit getan…

Wie läuft das eigentlich mit Beziehungen jeglicher Art? Letzten Endes ist es doch so, dass man – für Leute, an denen einem wirklich etwas liegt – einen Teil seines Herzens abgibt. Man freut sich und man leidet mit dem anderen, machmal intensiver als für sich selbst.
Aber viele Freundschaften und Beziehungen halten nicht ewig. Irgendwann trennen sich die Wege, irgendwann wandelt wieder jeder auf seinen eigenen Pfaden. Und vorher bekommt man den Teil seines Herzens zurück, das man damals verliehen hat. Sei das nun, weil man im Streit auseinander gegangen ist, oder weil sich die Leben in komplett verschiedene Richtungen entwickelt haben und man sein Stück Herz - beinahe ohne es zu merken - zurück bekommen hat.

Wenn sich nun jemand freiwillig dafür entscheidet aus dem Leben zu gehen, dann fehlt dieser Schritt. Es passiert etwas, das für andere komplett unverständlich ist, das sie nicht nachvollziehen können und da vorher keine Gelegenheit bestand die Herzen zurück zu tauschen, entsteht da eine große Lücke, die vielleicht immer bleibt, weil der Mensch der gegangen ist, die geliehenen Teile des Herzens mitgenommen hat.

Und das ist wahrscheinlich genau das was die Leute meinen, wenn sie sagen, Suizide seien egoistisch.

Dramatisch ist das ohne Frage und wahrscheinlich ist das einfach für alle Beteiligten eine ziemlich missliche Lage. Denn man entscheidet das ja nicht aus einer Laune heraus. Das Letzte, das ich wollen würde wäre es, anderen Menschen weh zu tun und sie genau in die Lage zu bringen, in der ich mich seit Jahren befinde.
Und gleichzeitig stelle ich mir die Frage, warum ich denn nur für die anderen leben soll.
Egoismus kann man schon von zwei Seiten betrachten finde ich. Der eine lässt die Angehörigen zurück, aber genau die können in Voraussicht ihres Schmerzes auch nicht sagen: „Tu einfach, was für Dich richtig ist und wenn das der Weg ist, dann ist das okay.“ Das würde nie jemand sagen.

Im Prinzip ist meine Lage ziemlich beschissen.
Ich habe mal eine Weile nachgedacht, von wem ich ein Stück Herz habe. Und im Moment fällt mir da keiner ein. Ein bisschen schwierig ist das mit der einen Freundin, die mir auch die wahtsApp bezüglich des Sturms geschrieben hat. Ich glaube unterbewusst versuche ich sie genau wegen dieser Sache ein wenig auf Abstand zu halten. In meinen Augen ist das noch nicht zu eng geworden - gerade so grenzsituationsmäßig.

Aber wahrscheinlich habe ich doch Teile von Herzen ohne das zu wissen und noch viel wichtiger: ohne, dass die Betroffenen das selbst wissen. Ich glaube auch für meine Familie wäre das eine Tragödie. Im Moment kommt da keine Unterstützung – ganz im Gegenteil. Ich wäre ja schon froh, würde man mich einfach mal respektieren. Aber wahrscheinlich würde sich das nach diesem unumkehrbaren Schritt ändern – das ist die ganze Tragödie daran. Wenn ich genau wüsste, dass es nicht so ist, würde mir das leichter fallen, aber ich bin mir eben fast sicher, dass denen dann etwas auffällt. Und das soll keine Trotzreaktion werden, um die Leute wach zu rütteln - dazu wäre dieser Schritt doch ein bisschen zu radikal - im Prinzip ist das überhaupt nicht erwünscht. Es hat nur leider oft den Effekt.

Keine Ahnung, ob irgendjemand versteht, was ich hier eigentlich sagen will. Für mich fühlt sich das so ein bisschen an, als wäre ich gefangen. Wenn es nach mir ginge, dann müsste ich das hier wirklich nicht mehr weiter führen und ich finde 12 Jahre und alle möglichen Versuche es doch noch hinzubekommen reichen, um das beurteilen zu können.
Aber was ist, wenn da doch jemand ist, den das zu sehr mitnehmen würde? Ich möchte wirklich nicht dafür verantwortlich sein, dass jemand in dieselbe Lage gerät wie ich und in meine Lücke sozusagen nachgerückt wird, weil ich so eine Art von Leben wirklich gar niemandem wünsche.


Alles Liebe von einer nachdenklichen Mondkind (die jetzt Haare waschen geht und dann heute wirklich mal Kardio macht...)

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