Tag 18, 19 / 116 Kardio I und III



So… - gestern kam kein gesonderter Eintrag mehr, weil der Jahresrückblick mehr als genug war. Den habe ich zwar über mehrere Tage immer mal wieder geschrieben, aber viel hätte es ohnehin nicht zu erzählen gegeben.
Ich habe mal mit Lerntag 1 angefangen. Script 1, erster Lerntag, Thema Herz. Ich merke immer wieder, dass es die Famulatur damals in der Kardio schon gebracht hat. Ich kam relativ flott durch – das war ja auch das Ziel, weil der Abend schließlich aufgrund von Silvester gefehlt hat.
Meist machen wir an Silvester nicht so viel her. Sitzen ein bisschen zusammen und schauen die Musik am Brandenburger Tor an – obwohl ich das gestern nicht so den Burner fand ehrlich gesagt.
Und ich bin mit den Gedanken meist sowieso völlig woanders. „Es ist ja eigentlich auch nur ein Tag, wie jeder andere“ – mit dem Satz hatte mich meine Therapeutin am Mittwoch noch verabschiedet und irgendwie hat sie schon Recht. Für mich hat der Dezember aber immer ein bisschen etwas beruhigendes, weil es mir das Gefühl vermittelt, doch etwas „geschafft“ zu haben. Und im Januar fängt halt gefühlt alles wieder von vorne an.

Heute hätte ich dann eigentlich Herzrhythmusstörungen machen müssen. Allerdings liegen die Unterlagen aus dem Notfall – Seminar zu Hause – da haben wir das Thema nämlich intensiv bearbeitet. Deshalb habe ich heute mal KHK und Myokardinfarkt gemacht – das ist das dritte Kapitel. Morgen mache ich wahrscheinlich das vierte Kapitel, weil ich erst am Nachmittag wieder nach Hause komme und dann hole ich das zweite Kapitel am Donnerstag nach. Das passt auch insofern ganz gut, als dass es ein recht langes Kapitel ist und ich am Donnerstag mal ausnahmsweise einen kompletten Tage Zeit habe.

Dann wollte ich eigentlich noch Rechtsmedizin wiederholen, aber ich habe lieber Uro I gekreuzt. Irgendwie hat es mich rappelig gemacht, dass ich Angst hatte dort nichts mehr zu können. Es war etwas holprig, aber ich habe 80 % gekreuzt... ich denke, das ist passabel..

Aber morgen muss ich echt mal wieder mehr wiederholen... das läuft noch nicht so, wie es sollte. Aber nun gut. Morgen fahre ich wieder zu mir und dann sind alle Feierlichkeiten erst mal durch und ich kann auch mal wieder einen gescheiten Tagesplan verfolgen.

***

Ansonsten sind es halt schon immer dieselben Kamellen, die hier aufgewärmt werden.
Ich weiß nicht, ob ich ihnen das übel nehmen kann – wenn man aber weiß, dass wir hinsichtlich bestimmter Themen immer verschiedener Meinung sein werden, kann man sie doch auch einfach mal ruhen lassen.

„Also Mondkind, die Klinik hättest Du Dir ja wirklich sparen können. Das war unnötig.“
„Und Deinen alten Wohnort hättest Du Dir auch sparen können.“

Wieso maßen sie sich an, das beurteilen zu können? Keiner weiß, was gewesen wäre, hätte es diese beiden Stationen nicht gegeben. Insbesondere die Klinik. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das überlebt hätte.

Und selbst wenn ich es irgendwie hinbekommen hätte – es waren so viele positive Erfahrungen, die mich nachhaltig geprägt haben.
Ich verstehe nicht, wie man das immer leugnen kann. Wie man immer wieder sagen kann: „Dann wärst Du jetzt im PJ und das Examen hättest Du hinter Dir.“ Vielleicht – ja. Aber man weiß das alles nicht.
Es regt mich einfach so auf, dass hier ständig über mich und meine Entscheidungen geurteilt wird. Dass nicht einfach mal jemand sagen kann: „Mondkind, wenn es für Dich okay war, ist es in Ordnung.“
Ich glaube, das hat mich auch jahrelang davon abgehalten eigene Entscheidungen zu treffen. Ich wusste immer, dass mir eine vermeintliche Fehlentscheidung für den Rest meines Lebens vorgehalten wird.

Und auch sonst… empfinde ich das hier einfach alles als bizarr.
Küche aufräumen zum Beispiel. Natürlich beteilige ich mich daran, die Küche in Ordnung zu halten und nach dem Essen aufzuräumen, wenn ich hier Gast bin.
Aber dann kommt halt die ganze Zeit nur: „Mondkind, Du hast den Löffel falsch herum in die Spülmaschine getan.“ „Mondkind, Du hast den Müll nicht richtig zugemacht.“ (was übrigens nicht stimmte). „Mondkind, Du hast vergessen die Tasse unter die Kaffeemaschine zu stellen.“
Und wenn ich dann mal dezent anmerke, dass ich es nicht so gut finde, dass hier nur herum gemeckert wird, wenn ich helfe, dann heißt es: „Aber wir reden doch ganz normal miteinander.“
Nee – irgendwie nicht. Also zumindest empfinde ich das nicht so.

Und auch sonst ist das Problem, dass wir auch inhaltlich einfach gar nicht miteinander reden können – abgesehen von ein bisschen Small – Talk. Das funktioniert einfach nicht, weil alle Seiten so mit sich selbst beschäftigt sind, dass da für den Anderen kein Platz mehr ist. Die Aufrechterhaltung eines vermeintlichen Alltags ist hier mit all den Verdrängungsmechanismen so schwierig, dass es einfach nicht geht.
Die Psychologen könnten das jetzt bestimmt alle besser erklären als ich. Ich fühle nur diese Spannung hier und finde es immer beeindruckend, wie andere Menschen aus meinen Erzählungen ein Bild von der Familiendynamik zeichnen, das ich selbst immer nicht hin bekomme. Die genauen Gründe warum ich es hier damals nicht mehr ausgehalten habe, kann ich immer noch nicht nennen. Aber vielleicht bin ich einfach zu sehr darin verstrickt, um das objektiv und distanziert von außen betrachten zu können.
Und das kann ich den beiden vielleicht auch nicht übel nehmen. Mir macht es nur letzten Endes klar, dass – selbst wenn sie für mich da sein wollten – das einfach nicht können und ich letzten Endes doch alleine bin. 

Und ganz zum Schluss gibt es ja auch noch das Anorexie - Problem meiner Schwester (auch wenn sie das anders sieht). Aber wenn sie da demonstrativ im T - shirt mit ihren Streichholzärmchen am Tisch sitzt und eine halbe Stunde an einem halben Brötchen nagt - da geht mir echt fast die Hutschnur hoch. Natürlich sage ich dazu nichts. Ich weiß, dass sie irgendwo auch nicht so viel dafür kann und dass jegliche Diskussionen auch sinnlos sind, weil sie wirklich gar keine Einsicht zeigt.
Und andererseits muss ich sagen, dass mich das schon auch irgendwie triggert. Ich habe ja auch mal wesentlich zu wenig gewogen, habe mich aber nach meinem Auszug von zu Hause relativ schnell berappelt. Das war - auch wenn es ab und an am Rande angemerkt wurde - nie wesentlicher Therapie - Bestandteil.

Und wenn ich mich so in meinem alten Zimmer umschaue, dann liegt an einigen Stellen schon noch der Staub der letzten Jahre. Es gibt so viele Erinnerungen. Und ich frage mich ein bisschen, wann genau dieser Zeitpunkt war, an dem es so gekippt ist. Und warum. Und manchmal frage ich mich: Warum gerade ich? Und warum so früh in meinem Leben? Warum hätte ich nicht erst ein bisschen leben können und dann, viel später erst in diesen Strudel geraten können?

Eine Freundin hat mir gestern Abend noch geschrieben. An ihre Neujahrswünsche hat sie  angefügt, dass sie hofft, dass wir uns im neuen Jahr weiterhin so gut verstehen und dass sie mich sehr gern hat.
Und gerade von ihr fand ich das besonders schön. Sie hat einfach sehr viel miterlebt dieses Jahr und ist große Teile des Weges ein bisschen mitgelaufen. Sie war die erste, die mich in der Klinik angeschrieben hat und hat mir dann auch mit dem Umzug viel geholfen, immer mal nachgefragt, wie es mir geht und wir haben uns auch ab und an getroffen. Sie war es auch, die mir den Kontakt in die Psychosomatik besorgt hat und die mich mit Unterlagen für das Examen versorgt hat.
Meiner Meinung nach ist die Beziehung etwas einseitig. Ich versuche immer so viel es geht auch von meiner Seite aus hinein zu geben, aber das Ding ist, dass sie nun mal schon weiter ist als ich. Ich habe gerade nicht sehr viel, das ich da geben kann – außer mich selbst.
Oft habe ich die Befürchtung, dass kein Mensch der mich kennt, so viel Negativität mit aushalten kann. Ich verstehe überhaupt nicht, warum sie an dieser Freundschaft festhält. Es gibt so viele Leute, die einfacher sind als ich. Die nicht ständig abstürzen, die man nicht fünf Mal fragen muss, ob wir zusammen einen Kaffee trinken, damit es dann ein Mal klappt. 

Alles Liebe
Mondkind

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