Tag 32 / 116 Blut II und Gedanken zum PJ
Durch das erste „Innere – Script“ war ich ja ganz
gut durch gekommen, bevor ich Pharma dazwischen geschoben hatte.
Mit dem zweiten Script sieht das leider etwas
anders aus…
Heute ging es dann weiter mit Leukämien,
Myelodysplastischen Syndromen, Myeloproliferativen Syndromen und noch dem
riesigen Kapitel der Hodgin – und Non – Hodgin – Lymphome.
Ich war wirklich motiviert heute – auch wenn ich tatsächlich
mal um 8 Uhr statt um 7 Uhr angefangen habe, weil es gestern Abend etwas später
geworden ist und bin auch konzentriert voran gekommen, aber es hat trotzdem
viel, viel zu lange gedauert und ich bin mal gespannt, was ich davon morgen und
in einer Woche beim Kreuzen noch kann.
Wenn das so weiter geht... - mal im Ernst: Ich weiß doch nichts mehr im Examen. Da schmeißt man doch dann irgendwann einfach alles komplett durcheinander. Mir ist noch nicht klar, wie das am Ende funktionieren soll. Auf der einen Seite habe ich da tatsächlich ein gewisses Grundvertrauen, weil es bisher ja immer in den Prüfungen gut gegangen ist, aber auf der anderen Seite kommt es mir vor, als wäre dieses Projekt einfach eine Nummer zu groß für mein Hirn...
Ansonsten… - sobald die Bücher zu sind, schlägt
mein Hirn wieder Saltos. Wobei ich schon ganz begeistert war, dass es heute
während des Lernens zumindest bis zum späten Nachmittag mal einigermaßen Ruhe
gegeben hat. Die Thematik macht langsam so viel Druck… - das wird echt nicht so
feierlich bis Donnerstag und ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das in der
Ambulanz überhaupt ansprechen kann. Die müssen ja langsam auch die Krise bekommen,
wenn sie mich nur sehen, weil einfach immer irgendetwas ist und abgesehen davon
ist es ein ziemlich heißes Eisen.
Mir wäre es auch lieber, das wäre alles nicht da –
insbesondere nicht jetzt in der Prüfungsvorbereitung – aber es gräbt sich halt
jeden Tag etwas mehr in meine Hirnwindungen.
Ich überlege mir das noch…
Gestern Abend war ich noch bei einer Freundin.
Und so sehr es manchmal auch kritisiert wird in der
Klinik Freundschaften zu schließen, die über den Klinikaufenthalt hinausgehen,
hat man doch gemeinsame Gesprächsthemen, über die man mit anderen so nicht
reden kann.
Wer wären wir eigentlich heute, wenn wir damals
nicht so aus dem Leben gerissen worden wären, hat sie eingeworfen…
Letzten Endes ist das natürlich eine Frage, von der
es müßig ist, sie zu stellen. Aber dennoch…
Ich war zwar physisch noch dabei, aber mit meinem Kopf und
meinen Gedanken so weit weg von den anderen in einer völlig anderen Welt, dass ich vieles
einfach nicht mitbekommen habe.
Während ich mich hinter den Büchern verschanzt
habe, um dem Wahnsinn in meinem Kopf nicht zu viel Raum zu geben, haben die
anderen ihre Jugend erlebt. Freundschaften geschlossen, die vielleicht für den
Rest des Lebens halten, den ersten Freund oder die erste Freundin gefunden, die
Welt erkundet, bevor es hieß mit dem Ende der Schulzeit in den Ernst des Lebens
einzusteigen.
Während die anderen immer offener für diese Welt
geworden sind, habe ich mich immer weiter zurück gezogen, mich von sämtlichen Freunden
und Hobbies verabschiedet und bin in meine eigene kleine Welt eingestiegen.
Wieso musste das so früh passieren? Wieso hatte ich nicht wenigstens noch ein paar Jahre mehr, an denen ich mich jetzt hätte festhalten können als Zustand, zu dem ich gern zurück möchte.
Wie hätte ich die Schule abgeschlossen, wenn ich
ihr nicht so überproportional viel Raum gegeben hätte? Super talentiert war ich
nicht – ich habe halt unglaublich viel gelernt für die Noten. Wahrscheinlich
wäre ich nicht so gut gewesen, wenn die Schule nicht mein Lebensinhalt geworden
wäre. Wahrscheinlich hätte ich dann auch nicht Medizin studieren können… Was
hätte ich dann alternativ gemacht? Hätte ich überhaupt studiert (so richtig Lust hatte ich dazu nämlich damals nicht...) Und wo würde ich heute leben und wie und mit wem?
Und was wären meine Tage heute, wenn sie in all den
Jahren dazwischen mehr gewesen wären, als ein Hangeln von Punkt zu Punkt? Was
wären meine Hobbies, was wären die Dinge, die mir heute wichtig wären und für
die ich heute leben würde?
Ich konnte mal meine Sorge mit dem PJ ansprechen
und bin bei ihr auf Verständnis gestoßen. Ein lapidares „Mach Dir keine Gedanken
Mondkind, das wird schon“ ist von außen stehenden nämlich immer nett gemeint,
bringt mich aber gar nicht weiter.
Letzen Endes gibt es für mich gerade keine richtige
Lösung. Ich wäre gern unabhängig von dem Gesundheitssystem. Ich würde mir gern
keine Gedanken darum machen müssen, woher ich da unten einen Psychiater und im
besten Fall auch noch einen Therapeuten bekomme. In manch stiller Stunde denke
ich mir manchmal, dass ich es vielleicht auch irgendwie so schaffe. Es wäre
nicht das erste Mal, dass ich die Medikamente einfach weg lasse und so
generell… - wenn andere das Argument bringen, dass man sich ja nur „zusammen
reißen“ müsse, könnte ich immer an die Decke gehen, denn so einfach ist es nun
mal nicht, aber ich denke mir das tatsächlich selbst manchmal.
„Mondkind – Du studierst Medizin. Du müsstest doch
am Besten wissen, dass das so nicht funktioniert“, erklärt meine Freundin ein
wenig geschockt.
Und eigentlich weiß ich es auch. Ich kann es nur
nicht akzeptieren, dass das nun mal zu mir gehört und dass ich mehr oder
weniger angewiesen bin auf Ärzte um mich herum, wo ich doch selbst bald eine
davon bin.
Letzten Endes ist es aber die Frage, was überhaupt
funktionieren kann. Gerade weil der Oberdoc dort ja schon Bescheid weiß, dass
es da mal ein Problem gab (ich hätte ihm ja schlecht berichten können, dass ich
es ohne die Ambulanz im Moment keine Woche schaffe…), wird sich wohl jemand
finden, der das Rezept unterschreibt. Was aber meiner Meinung nach nicht so
wichtig ist, weil ich von den Medikamenten nun mal keine Besserung merke.
Wirklich gar nicht.
Ein Therapeut wird sich aber in dem Nest wohl eher nicht
auftreiben lassen. Zum Einen sind die Wartezeiten deutlich zu lang, weil ich ja
erst mit der Zusage für den Platz, die erst Ende Februar kommt, loslegen kann
zu suchen (auch wenn ich schwer davon ausgehe ihn zu bekommen) und zum Anderen
hänge ich da jeden Tag bis 17 Uhr in der Klinik fest. Ich kann nicht beständig darum
bitten, eher gehen zu dürfen – insbesondere dann, wenn ich da später
tatsächlich mal arbeiten möchte. Das kommt einfach nicht so gut.
„Ich weiß einfach nicht, wie das gehen soll“,
erkläre ich ihr. „Es ist halt echt traurig, aber ohne die Ambulanz komme ich im
Moment nicht zurecht. Das heißt jetzt nicht, dass es ohne überhaupt nicht ginge
– es geht immer irgendwie, wenn es gehen muss. Die Frage ist einfach, wie hoch
die persönliche Leidensfähigkeit ist. Acht Monate sind eine lange Zeit und ich
werde das schon irgendwie überleben, aber die Frage ist in welchem Zustand…“
„Und wenn Du einfach hierbleibst…?“, fragt sie.
„Die Idee da runter zu gehen, ist doch in einer ganz anderen Zeit entstanden,
in der es noch nicht absehbar war, dass Du hier irgendwann Fuß fasst und in der
das alles noch so weit weg war, dass Du bis dahin auch hättest viel stabiler
sein können.“
„Das habe ich mir auch schon gedacht“, antworte
ich. „Vielleicht ist es auch ein bisschen blöd, aber das nicht zu tun, gleicht
für mich einem persönlichen Versagen. Denn letzten Endes würde ich ja nicht
hier bleiben, weil mir die Stadt so gut gefällt, sondern weil ich mir das
einfach nicht zutraue und das kann man auch nicht schönreden.
Und zum anderen – selbst wenn ich hier bleibe: das
Konzept Ambulanz funktioniert nicht mehr. Auch hier bin ich bis 17 Uhr im
Krankenhaus und dann habe ich bis zur Uni 40 Minuten Fahrzeit. Das funktioniert
eben auch nicht. Zwar ist dann die räumliche Nähe zur Ambulanz da, aber ich
kann halt nicht hin und dann bringt das auch nichts…“
„Und wenn Du vor dem PJ nochmal eine Pause
einlegst, nochmal Therapie machst und das PJ danach angehst. Das bringt doch
dann allen mehr…“
Darüber habe ich in der Tat auch schon nachgedacht.
Das Ding ist, dass ich überhaupt nicht weiß, wie die in der Ambulanz das
einschätzen. Auf der einen Seite heißt es, dass ich das PJ fernab der Heimat
auf jeden Fall hinbekomme –die sehen das Problem überhaupt nicht. Auf der
anderen Seite ist aber so gut wie in jeder Stunde die Klinik ein Thema und so
manchmal frage ich mich, was passieren würde, wenn ich mal nicht nur
irgendwelche Halbwahrheiten raus hauen würde, weil Klinik jetzt vor dem Examen
mal so gar nicht geht und ich da nichts riskieren möchte, sondern wirklich
ehrlich wäre.
Ich habe einfach Angst, dass die mir vorwerfen es
zu übertreiben, wenn ich jetzt sage, dass man ja vor das PJ nochmal einen
Klinikaufenthalt schieben könnte. Zumal es dafür glaube ich ohnehin etwas spät
ist, weil auch hier die Wartezeiten ja irre lang sind, wenn es nicht akut ist.
Man müsste sich auch überlegen, wo man das macht.
Ich denke, es hätte nicht so viel Sinn nochmal auf die Station zu gehen, auf
der ich war – auch wenn ich den Oberarzt dort sehr schätze. Es hat viel bewegt
– äußerlich gesehen – aber letzten Endes ist es mir dort mit Hilfe der
Therapeuten auch nicht gelungen, die Schwere und die Leere von den Tagen zu
nehmen. Da müsste vielleicht nochmal neuer Input her in Form von anderen
Therapeuten und vielleicht auch anderen Therapieformen.
Wenn ich das nochmal angehe, sollte es diesmal ja
wirklich damit enden stabil zu sein – ansonsten schiebt es alles nur ein wenig
auf, nützt aber im Endeffekt auch nichts.
Ich weiß es nicht. Zur Zeit bin ich was das Thema
anbelangt recht überfordert. Ich wusste ja, dass es mir mitten in meine Prüfungsvorbereitung
rein rutscht und jetzt beschäftigt es mich quasi durchgehend…und so richtig gibt es da gerade keine Lösung, mit der ich mich anfreunden könnte...
So... und jetzt muss ich noch ein bisschen kreuzen und die Wiederholung von gestern angehen...
Alles Liebe von einer müden Mondkind
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