Tag 39 / 116 Abdomen II und ein wenig Vergangenheit
Mondkind ist schon weit vor ihrem Wecker wach,
dreht sich knurrend von einer auf die andere Seite und hat keine Lust
aufzustehen. Sie ist müde.
Und dennoch findet sie sich um 7 Uhr mit einem
Kaffee vor ihrem Schreibtisch wieder.
„Was machst Du eigentlich an einem Sonntag um 7 Uhr
am Schreibtisch?“, kommt ihr in den Sinn.
Seit fast 40 Tagen gab es keinen freien Tag mehr,
keinen Tag ohne Stress. Sogar Weihnachten und Neujahr hat sie sich keine Pause
erlaubt, sondern jede freie Minute in ihre Scripte investiert.
Die Frage hat sie sich lange nicht mehr gestellt.
Was sie da eigentlich genau macht. Und wieso?
Vielleicht hätte sie am liebsten eine Garantie
dafür, dass sich das Lernen am Ende auszahlt und sie zumindest das Examen
hinbekommt, wenn sonst schon nicht allzu viel funktioniert.
Aber es gibt keine Garantien. Und auch unaufhörlich
den Schreibtisch hüten, ist auch keine Garantie.
Früher hat sie sich die Frage oft gestellt – was
genau sie da eigentlich macht. Und wofür. Und sie hat jahrelang keine Antworten
gefunden und die Frage irgendwann beiseite gedrängt.
Irgendwann ist es ein Selbstläufer geworden, was am
Anfang vielleicht nur Schutz war. Damals, als die Schule zum ersten Mal nicht
mehr so lief, wie ihre Eltern das gern gehabt hätten.
Bei ihren Eltern stand die Schule über allem. Und
jede schlechte Note (wobei schlecht wahrscheinlich nicht das war, was andere
unter schlecht verstehen), hat ihr ein wenig mehr ihrer Freiheit geraubt. Es
mussten ja Konsequenzen folgen, wenn die Kinder so schlecht waren und die
bestanden darin, dass sie immer mehr lernen musste - dabei war Mondkind die Schule gar nicht so überdurchschnittlich wichtig. Und irgendwann hatte sie so
viel Angst, dass die nächste Klassenarbeit ihr wieder mehr Zeit weg nimmt (und
mehr als der Sonntagnachmittag stand ohnehin schon nicht mehr zu freien
Verfügung), dass die Noten noch schlechter wurden – nicht, weil sie es nicht
konnte, sondern weil sie vor jeder Klassenarbeit nächtelang nicht schlafen
konnte und öfter mal hyperventilierend in der Arbeit saß und gar nicht mehr
klar denken konnte.
Es gab nur einen Weg dort raus: Sie musste sich selbst
die Zeit wegnehmen, bevor andere es tun konnten. Wahrscheinlich würde es für
sie noch härter sein, wenn sie sich selbst gar nichts mehr erlauben würde, aber
sie würde den anderen nicht mehr die Macht geben, über sie zu entscheiden und
damit innerlich nicht mehr so rebellieren.
Der Anfang vom Ende.
Von heute auf morgen wurden alle Hobbies an den
Nagel gehängt – das Reiten blieb noch ein paar Wochen übrig, aber auch das
machte ihr plötzlich zu viel Angst. Nach jeder Reitstunde wusste sie, es kommt
eine Neue – schon wenn sie vom Pferd hinab gesprungen war, hatte sie Angst. Das
ging so nicht mehr. „Also Mondkind ist ja die Letze, von der ich gedacht hätte,
dass sie einfach so aufhört“, kommentierte die Reitlehrerin damals.
Eine freie Entscheidung war das ja zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr.
Die Zeit vor dem Schreibtisch und die Tatsache,
dass sie nicht mehr mit sich selbst kämpfen musste, zahlten sich aus. Die Noten
wurden besser und der Familienfrieden war wiederhergestellt.
Und aus dem Wirbelwind einer Mondkind, die gern
geritten war, gern geschrieben hatte und versucht hatte ihre Kurzgeschichten
bei Verlagen unter zu bringen und die gern auch noch Klavier spielen gelernt
hätte wurde eine Mondkind, die sich immer weiter von der Welt entfernte.
Dass Mondkind aus der Nummer nie wieder raus kommen
würde und wahrscheinlich einen neuen Kopf bräuchte, um wieder gesund zu werden,
wusste sie damals nicht.
Und heute schaut sie auf ein Leben zurück, in dem
sie am Ende nicht mal ihr Studium geradlinig durchziehen konnte. Wo lernen doch
wahrscheinlich das Einzige ist, das sie kann.
Sie schaut auf ein Leben, das sie seit Jahren nicht
mehr selbst halten kann, das seit Jahren an fremden Menschen und Institutionen
hängt, die ihre Lebensversicherung darstellen. An Versprechen, dass sie lebend wieder wo auch immer erscheint. Ein Leben, das mit der Abwesenheit dieser Versprechen und Institutionen zusammen klappen wird, weil da absolut gar nichts ist, das sie hält.
Ein Leben, in dem sie sich selbst verloren hat, in
dem sie nicht mehr weiß, wer sie ist, was sie kann und wo sie hinwill. Und in dem sie eigentlich nur auf der Suche nach Menschen ist, die sie
endlich mal so nehmen, wie sie eben ist – was nicht so einfach ist, weil sie
jede engere Beziehung auch irgendwie ablehnt.
***
Heute war Abdomen II dran – das hat sogar ziemlich
gut geklappt. Aber alle möglichen Formen von Gastritiden und Ulzera und auch
das Magenkarzinom (und alle sonstigen seltenen Karzinome, die das IMPP so gern
hat), haben wir auch schon einige Male in der Uni durchgekaut.
Dann habe ich den Tag von gestern wiederholt, was
irgendwie nicht so gut lief, aber ich war gestern mit den Gedanken auch echt
woanders… Dafür war das Kreuzen aber gut… - das hätte ich bei Gerinnung jetzt
nicht unbedingt gedacht, weil ich mit dem Thema doch ein wenig auf Kriegsfuß
stehe, aber vielleicht habe ich es jetzt auch endlich mal verstanden.
Meine Antibiotika – Zusammenfassung ist gerade auch
fertig geworden. Ich glaube, die lese ich mir einfach jeden Tag ein Mal durch
und bis zum Examen bin ich dann hoffentlich der Antibiotika – Guru ;)
Und das mit der Wiederholung von den weiter zurück
liegenden Dingen… - das muss auch strukturiert laufen. Kardio zu wiederholen
ist zwar eine nette Idee, aber die ist mehr aus einer Laune heraus entstanden,
weil mir irgendwo eine Perikarditis über den Weg lief. Ich fange nochmal ganz
von vorne an. Jeden Abend vor dem Schlafen gehen ein Kapitel gelbe Kästen (= die
wichtigsten Dinge aus dem Kapitel). Ich fange jetzt mit Ortho an…
Euch allen einen guten Wochenstart morgen!
Mondkind
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