Allein
Wenn der
Himmel ohne Farben ist
Schaust du nach oben und manchmal fragst du dich
Schaust du nach oben und manchmal fragst du dich
Ist da
jemand, der mein Herz versteht?
Und der mit mir bis ans Ende geht?
Ist da jemand, der noch an mich glaubt?
Ist da jemand? Ist da jemand?
Der mir den Schatten von der Seele nimmt?
Und mich sicher nach Hause bringt?
Und der mit mir bis ans Ende geht?
Ist da jemand, der noch an mich glaubt?
Ist da jemand? Ist da jemand?
Der mir den Schatten von der Seele nimmt?
Und mich sicher nach Hause bringt?
(Adel Tawil –
Ist da jemand)
„Wir sehen
uns dann nach meinem Urlaub“, sagt sie, streckt Mondkind die Hand entgegen und
verabschiedet sich von ihr.
Mondkind
bemüht sich um ein Lächeln, ehe sie die Ambulanz mit den Hausaufgaben – Zetteln
in der Hand verlässt, die ihr ihre Therapeutin noch in die Hand gedrückt hatte.
Vollkatastrophe…- sie gibt es ja ungern zu, aber es ist so.
Wenn
Mondkind das Gebäude wieder betritt, wird es weit im November sein. Die Tage
werden kalt und stürmisch geworden sein, Mondkind wird sich langsam aber sicher
der nächsten Klausur nähern und die Welt wird sich um drei Wochen weiter
gedreht haben.
Jetzt tritt
sie hinaus in den Sonnenschein, schwingt sich auf ihr Fahrrad und fährt zurück
ins Labor.
Nach dem
Termin ist vor dem Termin und diese Landmarke, die sie gestern Abend fast
erreicht hatte und das ein wenig beruhigend fand, ist jetzt unendlich weit weg.
Jedenfalls dann, wenn man wie Mondkind, meistens nur bis zum nächsten Tag denkt.
Ihr MTA
nimmt sie einfach nur wortlos in den Arm, als sie zurückkommt. Die beiden
müssen nicht miteinander reden, um sich zu verstehen.
Und letzten
Endes – das wird Mondkind auch immer wieder klar – können die Therapeuten und
Ärzte auch nicht richtig etwas tun. Die Schwere auf den Tagen kann ihr keiner
abnehmen. Nur vielleicht ein winziges bisschen mittragen.
Mondkind
kann das gefühlte fünfhundertste Mal erzählen, wie ihre Wochen waren, wie sehr
sie sich durch die Tage gekämpft hat, als könnten die Worte, wenn sie ihren Weg
in den Raum gefunden haben, diese Schwere mitnehmen und von ihr vertreiben.
Mondkind
kann von der Angst berichten, es kurz vor dem Staatsexamen richtig zu
versemmeln, weil sie es irgendwie nicht hinbekommt sich selbst auszuhalten,
weil sie aus ihr selbst heraus springen möchte und es doch nicht geht.
Sie kann von
dem Pflichtbewusstsein berichten, von der Alternativlosigkeit, die sie
irgendwie durch die Tage zieht. Wenn sie das Staatsexamen im Frühjahr nicht
macht… - dann besteht die Chance, dass sie das nie mehr tun wird. Kein Mensch
kann 1,5 Jahre täglich ein Examen im Kopf vor sich hertragen.
Mondkind
kann den Wunsch aussprechen, das nicht alles so absolutistisch sehen zu müssen.
Dass sie gern noch etwas Zeit hätte um daran zu arbeiten die Schwere von den
Tagen zu nehmen. Dass sie vielleicht nochmal los lassen kann (und will) und
aufhören kann, sich so zu quälen. Aber
sie hat die Zeit nicht.
Aber letzten
Endes werden die Worte überhaupt nichts daran ändern. Es gibt nur zwei
Möglichkeiten. Entweder sie bekommt ihr Leben auf die Kette – oder eben nicht.
Dann ist sie
einer der traurigen Fälle, die die ganze Sache doch in den sozialen Abstieg
getrieben hat. Aber am Ende ist es persönliches Versagen, der Fall eine Akte,
die zehn Jahre lang im Archiv verstaubt und dann vernichtet werden darf und
Mondkind schlägt sich dann vielleicht gerade so irgendwie durchs Leben und kann
vielleicht hin und wieder an der Uni vorbei fahren um sich daran zu erinnern,
was eigentlich mal der Plan war.
Ist jetzt
wahrscheinlich ziemliches Katastrophendenken, oder?
Am Ende sind
die Möglichkeiten einfach begrenzt.
Es gibt
tausende Tricks und Kniffe, die es ein wenig einfacher machen sollen. Den Tag
mit angenehmen Tätigkeiten füllen. Nur – was ist angenehm?
Es gibt den „inneren
Waffenstillstand“, um den sich Mondkinds Ohnmacht relativ wenig kümmert oder
den „Grübelstuhl“, auf dem sie am Tag eine halbe Stunde sitzen soll, den aber
ihr Gehirn auch nur wenig interessiert. Das denkt nun mal, wenn ihm danach ist
und auch wenn Mondkind versucht das zu missachten, drängt es sich irgendwann
nur umso mehr in den Vordergrund.
Tagebucheinträge
soll sie mit positiven Sätzen beenden. Nur was soll Mondkind da schreiben, ohne
sich selbst zu veräppeln? Sie ist mit dem Fahrrad durch die Sonne nach Hause
gefahren, was eigentlich ziemlich cool sein müsste, ihr aber absolut gar nichts
gibt.
„Nach dem
Examen werden Sie das Gefühl haben, etwas geschafft zu haben, auf das Sie stolz
sein können“, gibt die Therapeutin zu bedenken. Mondkind weiß es nicht. Schon
das Abi hat in ihr gar nichts bewegt. Das waren ziemlich schräge Situationen,
wenn Mondkind völlig unbeteiligt den Fragenden ihren Abischnitt mitgeteilt hat
und die Mondkind dann mit großen Augen angeschaut haben und ihr wild gratuliert
haben und sie überhaupt nicht begriffen hat, was da gerade los ist. Die Schule war Mittel zum Zweck gewesen; das emsige Arbeiten eher ein Versuch sich abzulenken und die Noten die dabei raus kamen, waren im Prinzip nur ein Nebeneffekt.
Beim
Physikum genau dasselbe.
Was Mondkind
doch Angst bei diesen Prüfungen macht, ist die Erwartungshaltung der Anderen.
Die Eltern wollen, dass aus ihren Sprösslingen etwas wird, dass sie endlich ihr
Examen machen, endlich mal ins Berufsleben starten können. Aber für Mondkind
selbst…. Die Tage sind ja ohnehin eine Herausforderung – da macht es eine
Prüfung auch nicht mehr viel schlimmer.
„Da sieht
man mal, wie lange das schon so geht“, sagt die Therapeutin.
Was es jetzt
nicht unbedingt besser macht.
Da ist eben
einfach nichts. Und wie soll man an das Nichts dran gehen?
Das war ja
genau das Problem in der Klinik, um das wir uns am Ende immer wieder gedreht
haben und für das Keiner den Ansatz einer Lösung hatte. „Suchen Sie sich ein
Hobby.“ Ja wie denn, wenn Mondkind gar nicht weiß, was für sie angenehm ist?
Das hatte sogar der Oberdoc irgendwann eingesehen.
21 Tage bis
zum nächsten Wegpunkt. Wenn alles gut geht und Mondkind nicht zwischendurch
zusammen klappt, was einfach nicht passieren darf.
21 Tage, bis
jemand das für eine Stunde mitträgt. Diese Ohnmacht.
21 Tage für
eine Stunde. Ganz im Ernst… das ist ziemlich bescheuert. Und auch diese eine
Stunde bringt es am Ende nicht. Aber es zieht sie doch irgendwie vorwärts.
Und wenn
Mondkind nach der Stunde auf dem Weg zu ihrem Fahrrad ist, kommt jedes Mal der
Moment in dem ihr klar wird, dass sie mit all dem Mist am Ende des Tages völlig
alleine ist.
Am Ende
interessiert es niemanden, ob Mondkind es packt oder nicht.
Am Ende kann
sie nur für sich selbst kämpfen und wenn sie nach all den Jahren zu müde dafür
wird, wird es niemanden geben, der das über längere Zeit mitträgt.
Teilweise
haben das sogar Menschen versucht, denen Mondkind auch sehr dankbar ist. Aber
am Ende hält niemand das lange mit ihr aus. Nur Mondkind – die muss das 24
Stunden am Tag tun.
Mondkind
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