Begegnungen
Eigentlich war dieser Blogpost hier gar nicht so richtig geplant.
Ich hatte schon etwas über das Wochenende schreiben wollen, aber
vielleicht morgen. Heute muss ich noch die Herzfehler im Kindesalter zusammenfassen.
Es war ein Wochenende der Begegnungen.
Und das, wo ich eigentlich schon am Freitag so platt war, dass ich das
Gefühl hatte das ganze Wochenende nur liegen zu können.
Und gestern war es auch wirklich hart. Ich hatte mich am Abend mit
einem Freund verabredet und wir wollten Billiard spielen gehen. Wir hatten uns
eine Weile nicht gesehen und angesichts der Tatsache, dass man Kontakte nun mal
pflegen sollte dachte ich, dass es mal wieder an der Zeit wäre. Und vielleicht
würde es mir ja auch ein wenig helfen. Obwohl ich das am Nachmittag, als ich
völlig erledigt auf meinem Bett lag und der definitiven Überzeugung war die
nächste Woche nicht vernünftig zu überstehen, anders gesehen habe.
Es war wirklich schwer mich aufzuraffen, aber ich habe es getan und am
Ende ist es doch ganz nett geworden und es hat mich – das muss ich zugeben –
schon ein wenig aus meiner Gedankenspirale herausgeholt. Außerdem ist Billiard
spielen ja auch gar nicht so schlecht – wenn man davon absieht, dass ich es
nicht so richtig kann.
Heute stand dann direkt das nächste Treffen auf dem Programm. Ich bin
auch immer sehr für diese total gechillten Sachen zu haben. Einfach nur
spazieren gehen und Kaffee trinken. Ich habe so selten Leute zum Reden, dass es
schon nicht langweilig wird, auch wenn wir ein paar Stunden unterwegs sind. Ich
habe nur immer ein wenig die Befürchtung, dass die anderen mein Redeschwall ein
wenig nerven könnte.
Heute ging das mit dem Aufraffen ein bisschen besser als gestern, aber
so richtig gut fühle ich mich immer noch nicht.
Obwohl die Leute in der Klinik in einem Punkt schon Recht hatten. Es
lenkt in dem Moment wirklich ab.
Die letzte Begegnung fand dann auf meinem Heimweg statt.
Der „alte“ Stationsarzt und ich sind uns über den Weg gefahren. Er war
auch mit dem Fahrrad unterwegs, aber genau in die andere Richtung. Trotz des
ganzen Patientendurchlaufs an der Klinik hat er mich erkannt und mir gewunken.
Und eine halbe Sekunde später war ich wieder ganz woanders.
Eigentlich ist es keine große Sache.
Es ist nur komisch einem Menschen im Alltag über den Weg zu fahren,
mit dem man abends um 23 Uhr noch in einem Dienstzimmer gesessen hat – er am
Schreibtisch und ich auf einem der abgeranzten Sessel in diesem Raum – und mit
ihm darüber geredet hat, ob man wohl die nächsten Wochen noch erleben wird oder
nicht. Und da ich ihn dabei nicht ansehen konnte, habe ich immer auf seine
Schuhe geschaut und könnte mittlerweile wahrscheinlich seine komplette
Schuhsammlung wieder geben. Der Mensch, von dem man dann gehört hat: „24 Jahre
sind zu früh Frau Mondkind.“ Und derjenige, der mich einfach hat eine Weile in
seinem Büro sitzen lassen, weil es sich für mich ein kleines bisschen sicherer
angefühlt hat.
Der Mensch, der mir gesagt hat, dass er am Wochenende eine Kerze für
mich in der Kirche anzündet. Ich glaube das hat er zu mehreren gesagt und ob er
es gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich fand die Vorstellung irgendwie ganz
nett.
Ein Mensch, der über den ganzen abgefahrenen Wahnsinn in meinem Hirn Bescheid weiß. Und
dennoch wirkt es wie eine ganz normale Begegnung – als würden sich zwei
flüchtig Bekannte über den Weg fahren.
Ich frage mich was passiert wäre, wenn wir kurz angehalten und er mich
gefragt hätte, wie es mittlerweile so läuft. Was ich ihm erzählt hätte?
Es läuft zumindest soweit, dass ich wieder in die Uni gehe. Ob das
deren Ziel war? Dass mich das nicht zu einem glücklicheren Menschen macht,
wussten die auch. Ich hätte ihm auch erzählen können, dass ich seine Ratschläge
umsetze. „Suchen Sie sich Freunde und ein Hobby“. „Sie glauben doch nicht
ernsthaft, dass mich das zu einem glücklicheren Menschen macht“, hatte ich ihm
entgegnet, woraufhin er mir erklärte, dass er schon daran glaube, sonst hätte
er mir das nicht vorgeschlagen. Ich hätte sagen können, dass ich gerade von
einem Treffen mit einem Freund komme und dass ich das in all den Monaten seit
der Entlassung nicht habe einreißen lassen.
Ich weiß gar nicht, ob ich ihm berichtet hätte von diesen regelmäßigen
Krisen, von der Schwere, die immer noch über mir hängt. Davon, dass ich immer
noch nicht weiß, ob ich das hier alles wirklich möchte, davon, dass ich trotz
allem nicht weiter als bis zum nächsten Tag denke, weil es immer und überall
schief gehen kann.
Davon, dass es alles nicht besser, sondern nur irgendwie anders
geworden ist.
Nicht, weil ich nicht glaube, dass er damit nicht sorgsam umgehen
kann, sondern weil genau das damals der Kern der Ratlosigkeit war. Was hätte er
dazu sagen sollen…?
Ich weiß nicht, ob es nachvollziehbar ist, aber in meinem Kopf laufen
gerade die ganzen Tage noch mal an mir vorbei, all die Begegnungen und
Gespräche, all die Hoffnung, dass irgendwann dieser Knoten platzt und ganz am
Ende das Einsehen, dass wir uns nur noch im Kreis drehen und das alles keinen
Sinn mehr hat.
Seine Sorge mich gehen zu lassen und die Sorge von uns beiden, ob das
lange gut gehen wird.
Jetzt weiß er zumindest, dass ich die Wochen nach der Entlassung
überlebt habe. Und wie ich so auf meinem Rad vor mich hin gefahren bin…
Vielleicht sah es ein bisschen so aus, als sei ich etwas im Einklang mit mir
und der Welt.
Ich mache jetzt die Wäsche und den Haushalt und springe unter die
Dusche und bis dahin hat sich mein Hirn hoffentlich beruhigt. Und dann fasse
ich die Herzfehler zusammen
Alles Liebe
Mondkind
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