Ein perfekter Augenblick



„Haltet bitte jetzt die Zeit an,

brenn Dich in meine Seele ein

Dieses Gefühl – es sollte für immer so sein

Genauso soll es sein

Es ist gut so, wie es ist

Es gibt nicht, das ich vermiss`

Ein perfekter Augenblick

Perfekt für mich“

(Teenage rockstar – Perfekter Augenblick)


Ich war mir nicht so sicher, ob das Treffen zwischen dem Oberdoc und mir heute etwas werden würde. Seinem Instragram – Account war seit dem Wochenende zu entnehmen, dass er krank ist und auf einem Foto liegt er wie ein sterbender Schwan auf seinem Bett…
Das Wetter hatte am Nachmittag zum Glück beschlossen so höflich zu sein und den Regen zu verbannen.
Ich hatte mich entschieden ein kariertes Hemd anzuziehen und trug darüber meine neue Herbstjacke – das war von den Temperaturen her auch tatsächlich die klügere Entscheidung (und sie sieht nun mal auch besser aus).

Der Herr war drei Minuten zu spät, aber er kam.
Wir begrüßten uns mit einer Umarmung und ein bisschen war es in dem Moment, als würde all die Zeit, die zwischen unserem letzten Treffen vergangen war, in dem Moment dahin schmelzen.
Darauf folgte ein „Wie geht es Dir?“, in seinem typischen Tonfall.

Wir beschließen ein wenig die Straße entlang zu gehen. Er meint, er kennt da das ein oder andere Lokal, in der wir uns setzen könnten. Aber eigentlich – so merkt er an – müsste ich die Ecke ja viel besser kennen.
Während wir an den Baustellen der Uni vorbei laufen, erkläre ich ihm, was alles derzeit neu- und umgebaut wird. Es interessiert ihn, denn auch er hat hier schon gearbeitet.
Übrigens wirkt er gar nicht so furchtbar krank.

Und irgendwie wird mir langsam klar, dass wir einen Umgang miteinander gefunden haben. Es fühlt sich einfach okay an, das als eine Freundschaft anzusehen – als eine recht Gute sogar – aber eben auf der Ebene Freundschaft. Und ich glaube – für ihn war das vielleicht schon immer so – dass es den Umgang damit einfacher macht.

Wir haben uns eine Menge zu erzählen. Er erklärt mir endlich, was er in seinem neuen Job macht und ich wollte mich eigentlich ein wenig zurück halten, die Doktorarbeit zu thematisieren, da das die meisten, die nicht im Thema sind, nicht so sehr interessiert. Aber er möchte alles gerne wissen und es ist schön mittlerweile auch mal erzählen zu können, dass wir endlich etwas sehen und über den Fauxpax mit dem Eindeckmittel von gestern, kann auch ich schon wieder mitlachen.
Neben vielen anderen Dingen sind auch Studium und PJ ein Thema. Ich erkläre, dass es schwierig mit den Stundenplänen war in der letzten Zeit und er bittet mich, ihn auf dem Laufenden zu halten und ihm am Montag zu schreiben. „Das möchte ich wirklich gerne wissen.“ Ich glaube das ist das, was ich an ihm so gern mag. Klar, wenn das am Montag nicht klappt, kotze ich mich auch schonmal ungefragt bei Leuten aus – man braucht ja nicht immer eine Einladung, aber bei ihm merkt man einfach dieses Interesse so sehr, wie bei fast keinem anderen Menschen.
Bezüglich PJ war die neueste Idee gewesen die Neurologie doch ans Ende zu hängen, weil ich dort ja ohnehin eine Bleibe brauche. Dann könnte ich hier die Wohnung schon aufgeben und müsste nicht doppelt Miete zahlen. „In der Prüfungszeit keine eigene Wohnung zu haben, ist aber schon blöd“, merkt er an. „Das stresst doch noch zusätzlich.“ Und auch danach ginge das alles nicht so schnell. „Kannst Du das Zimmer nicht untervermieten?“, fragt er. Kann ich schon ja – aber wohin mit all den Sachen? „Du kannst auch ein paar Kisten bei mir in den Keller stellen“, bietet er an. „Solange Du sie wieder abholst.“
Darauf werde ich vielleicht tatsächlich zurück kommen.

Die Klinik streift unsere Erzählungen nur am Rande. Das ist ja alles ein Teil von mir und ich möchte das auch gar nicht leugnen und wenn es an diesem Abend Themen gibt, die damit im Zusammenhang stehen, ist das okay. Er fragt mich, wie ich den Umzug bewältigt habe und natürlich habe ich ihm da erzählt, dass da auch viele Mitpatienten geholfen haben, dass es alles stressig war, weil ich an dem Wochenende nicht zu Hause übernachten durfte und ich trotzdem stolz war, dass ich am Ende meine lila Wand hatte. „Du hast eine lila Wand?“, fragt er ein wenig entsetzt. „Ja“, gebe ich zurück. Er möchte wissen, wie die aussieht und ich verspreche, ihm später ein Foto zu schicken.

Irgendwann kommen wir darauf zu sprechen, dass der Lernplan keine Pausen vorsieht und das schon alles ein wenig anstrengend wird, was ihn zu der Frage bringt, wann es mir denn das letzte Mal so richtig schlecht ging. „Das ist leider noch gar nicht so lange her – das war erst letzte Woche“, antworte ich. „Oh…“, gibt er zurück. „Ich hoffe, Du hast es einigermaßen überstanden“, sagt er. In seiner Stimme schwingt ein wenig Sorge mit, aber ich glaube er ist dann auch immer ein wenig überfordert damit, wie weit er fragen darf (und ich damit, wie viel ich erzählen darf). „Ja, es läuft wieder“, sage ich. Ganz richtig ist das nicht, aber ein Weg mit dem wir beide zurecht kommen und mit dem es möglich ist, dass ein Psychiater und eine psychisch belastete Studentin eine Freundschaft führen können.
Ich kann ihm jetzt halt echt nicht erklären, was da los war. Nicht, weil ich ihm nicht vertrauen würde damit sorgsam umzugehen, sondern weil es uns beide einfach überfordern würde.

Auf dem Rückweg fällt unser Gespräch auf Verkehrsmittel. Er erklärt mir, dass er versucht habe Bahn zu fahren, was angenehmer sei, aber blöd, wenn man mit einem Patienten unterwegs ist. Und ich berichte von meinem Rad und den Schwierigkeiten der letzten Zeit und über die Nummer mit der Luftpumpe und dem Ventil lachen wir beide.
„Jetzt bringe ich Dich aber noch zu Deinem Fahrrad“, sagt er.

Wir verabschieden uns mit einer Umarmung und er wiederholt noch einmal, dass ich ihm Montag schreiben soll.


Für mich ist es okay. Ich glaube dadurch, dass ich im Inneren ja wusste, dass das mit uns und einer Beziehung nie etwas werden wird, habe ich mich schon innerlich ein wenig damit angefreundet. Und so wie es jetzt ist zwischen uns beiden, ist es okay. Wenn man von der Klinik und der psychischen Situation absieht, haben wir auch über sehr private Dinge gesprochen und ich fand es beeindruckend, wie tief eine Verbindung doch irgendwo sein kann, wenn wir doch sehr häufig nur über Mails kommunizieren.
Es war wirklich – und so etwas aus meinem Mund – ein sehr schöner und gelungener Abend.

Alles Liebe
Mondkind

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