Gedanken zum Herbst



Oh ist der Sommer vorrüber

Oh – oh kann die Erde sich drehn`

Oh – Bis wir uns eines Tages

Bis wir uns eines Tages wieder sehen.



(Christoph Straub – ist der Sommer vorüber)


Als ich letztens mit meinem Fahrrad losdüsen wollte, habe ich festgestellt, dass das Hinterrad inmitten von herunter gefallenen Blättern stand.
Und wenn man sich mal so umschaut, dann werden die Kronen der Bäume schon wieder bunt.
Ich bin ja jetzt kein „Dorfkind“ mehr – also habe ich keine Ahnung, ob die Felder schon abgemäht wurden. Das war all die Jahre davor ein deutliches Zeichen, dass der Sommer sich dem Ende neigt. 



Ich habe letztens mit einem Freund darüber gesprochen, der mir dazu folgendes geschrieben hat:
„In Menschen, die zu Melancholie neigen, weckt der Herbst immer  die Sehnsucht nach bisher Unerfülltem, nach den nicht eingelösten Versprechen des Sommers.“
Irgendwie klingt das so logisch. Und wahrscheinlich ist das tatsächlich so.

Es war in der Klinik, als aus dem Winter ein Frühling und aus dem Frühling ein Sommer wurde. In meinen ersten Tagen war es noch so kalt, dass man mit Winterjacke, Schal und Mütze herum laufen musste. Über meiner Decke hatte ich immer noch eine Wolldecke und das war trotzdem zu kalt. Meistens habe ich nachts irgendwann das Fenster geschlossen, damit ich bis morgens nicht erfroren bin. Und morgens saß ich immer in einem dicken, grauen Wollpulli, den mir eine Freundin geschenkt hatte und in dem ich ein bisschen aussah wie ein Pinguin, weil er viel zu groß war, in der Morgenrunde und habe trotzdem gefroren.
Mit der Zeit kam der Frühling – der relativ kurz war – und dann kam der Sommer.
Ich kann mich erinnern, dass wir oft Eis essen waren. Dass wir auf der nahe gelegenen Einkaufsstraße durch die drückende Hitze gelaufen sind und jeder bei dem, der dann doch los gezogen ist, eine Menge Bestellungen aufgegeben hat, damit er nicht selbst los laufen musste.
Ab und zu war es sogar auf unserem Abendspaziergang fast noch zu warm.
Manchmal haben wir draußen auf einer Decke gesessen und haben gepicknickt.

Diese warmen Sommerwochen waren unter anderen genau in meiner sechsten und siebten Woche dort. Genau in der kurzen Zeit, bevor ich wieder in die Uni gegangen bin und wirklich geglaubt habe, dass ich es schaffen kann.
Ich konnte Dinge tun, die ich so lange nicht mehr getan hatte. Einfach mal in Ruhe durch einen Supermarkt gehen. Wenn etwas fehlt, einfach los gehen und es kaufen ohne vorher lange darüber nachzudenken, ob ich jetzt wohl Zeit habe Haarspray zu kaufen oder nicht. Und ohne mich stundenlang dafür fertig zu machen, dass ich es wohl das letzte Mal vergessen hatte.
Ich weiß nicht, ob es je eine Zeit gegeben hat, in der ich so oft spazieren gewesen war und ich weiß auch nicht, wann ich das letzte Mal gepicknickt hatte.
Und wenn wir abends müde waren, haben ein Mitpatient und ich auf den Sofas gesessen, haben ein Kissen zwischen unsere Schultern geklemmt und jeder hat sich von einer Seite dagegen gelehnt.

Das heißt nicht, dass diese Zeit nicht auch schwierig war. Man darf das in einem sentimentalen Rückblick nicht verharmlosen. Natürlich hatte ich damals noch das Wohn – Problem am Hals, ich musste meiner Vermieterin beibringen, dass ich da ausziehen möchte und wir hatten ein sehr langes Gespräch darüber, warum das nicht die beste Idee ist und danach war ich echt fertig.
Ich wusste gar nicht so richtig, wie es weiter gehen würde. Dass ich von der Klinik aus an die Uni gehen würde, war irgendwann klar, allerdings habe ich nicht geglaubt, dass die mir das bis Juli erlauben.

Aber ich konnte zwischendurch abschalten.
Es war gar nicht so schwer.

Und irgendwie habe ich geglaubt, dass ich es schaffen würde, das zu halten.
Dass dieser endlich „mein Sommer“ werden würde, nachdem ich mich so viele Jahre lang gesehnt hatte.
Ein Sommer, in dem man nach der Uni die Tasche in die Ecke stellen und mit den anderen an den See fahren könnte.
Ein Sommer, in dem ich ja nun – wenn auch ungeplant – noch einmal Semesterferien habe. Die letzten meines Lebens, die letzten Wochen, in denen ich um Ferien zu haben, nicht Urlaub nehmen muss.
Ich habe geglaubt, dass ich nochmal in meine Heimatstadt fahren würde, meine Oma besuchen würde, dass ich vielleicht auf Konzerte gehen würde, nochmal in den Süden fahren würde, nochmal das Meer sehen würde.
Dass ich es vielleicht zum ersten Mal schaffen würde ohne Lernsachen am Strand zu liegen und einfach nur die Sonne zu genießen. Dass Strandspaziergänge so lang werden, wie sie eben werden, wie es sich richtig anfühlt. Und sich nicht danach richten, dass ich noch Kapitel xy wiederholen kann.

Rückblickend glaube ich, dass es alles nicht geklappt hat, weil es zu wenig geplant war.
Ich wusste nicht, wann ich in meine Heimatstadt fahren würde. Ich hatte mit meiner Oma ausgemacht, dass ich das in Abhängigkeit von der Doktorarbeit spontan entscheiden würde. Es gab eine Woche, in der hatte der MTA Urlaub – meine Oma war genau da aber auch nicht da. Das war ärgerlich. Und dann kam noch der Ausschlag dazwischen, von dem keiner wusste, was es war und ich wollte keine Viecher bei meiner Oma einschleppen und danach waren nur noch einige Wochen übrig und die Laborarbeit wurde eher mehr als weniger.
Und die Sache mit dem Süden und dem Meer… - ich hatte mir gar nicht überlegt, mit wem und wie ich dahin fahren könnte. Irgendjemand würde sich schon finden, hatte ich mir so gedacht. Vielleicht meine Schwester? Wir alleine kommen meist ganz gut miteinander zurecht. Nach dem Physikum waren wir mal drei Tage zusammen in Holland – das hat super funktioniert.
(Obwohl ich mir nach dem letzten „Ausbruch“ meiner Schwester nicht so sicher bin, ob das eine gute Idee gewesen wäre…)
Aber nach ihrer Kreuzfahrt hatte sie ihren Urlaub schon hinter sich und hatte keine Lust mehr mit mir wegzufahren. Das könne man ja nach dem Examen noch machen.

Und dann… - ja, wenn ich einmal hier bin, gibt es immer etwas zu tun.
Die Scripte, die noch auf mich warteten. Am Anfang habe ich das alles ein wenig lockerer gesehen, aber am Ende wurde mir klar, dass es schon sechs Stück die Woche werden müssen und das ist halt viel Arbeit.
Und dann weiß ich ja auch, dass ich im Semester mit der Doktorarbeit nicht so weit komme, also muss ich in den Semesterferien Gas geben.

Und irgendwie… ja, irgendwie kamen dann die „alten Muster“ wieder hoch, wie meine Therapeutin gesagt hatte.
Und irgendwie wurde es wieder ein Sommer vor dem Schreibtisch. Ein Sommer, in dem ich es kaum geschafft habe Doktorarbeit und Examensvorbereitung beiden in ausreichenden Maß gerecht zu werden und dadurch jeden Tag gestresst war. Nie das Gefühl hatte, genug gemacht zu haben und sich wieder mehr und mehr endlose Gedankenschleifen in meinem Hirn breit gemacht haben, die dann auch noch notiert werden müssen.
Ein Sommer, in dem jeder Gang zum Supermarkt fest geplant wurde und es manchmal doch nicht klappte, in dem die Sache mit den Bananenpfannkuchen zum Frühstück auch eher nicht geklappt hat, geschweige denn mal ein Eis essen zu gehen oder überhaupt irgendetwas zu kochen, weil mir das ja schon zu viel ist zu warten, bis das Nudelwasser kocht…

Aber immerhin habe ich mich bemüht mit Freunden aus der Klinikzeit Kontakt zu halten und das funktioniert im Moment auch einigermaßen.
Ich befürchte nur – spätestens ab Ende Dezember – wenn der 100 – Tage – Lernplan startet, wird das auch nicht mehr klappen.

Und wie wird die Welt dann Mitte April aussehen? Wenn ich mich wieder wie ein Maulwurf aus der Erde hinaus grabe, von den Sonne geblendet werde und mich mal orientierend umschaue, wie die Welt dann aussieht? Wer wird dann noch da sein?

Ab und an glaube ich, dass dieser Klinikaufenthalt nicht meine beste Idee war. Einfach deshalb, weil er mir etwas gezeigt hat, das ich für mich selbst nicht aufrechterhalten kann.
Ich bin manchmal schon dazu übergegangen zu glauben, dass „Leben einfach so ist“. Vielleicht geht es allen anderen Menschen da draußen genauso. Vielleicht quält jeder sich am Ende durch den Tag und ist froh, ihn doch wieder überstanden zu haben.
Vielleicht schauspielert jeder Menschen da draußen so sehr wie ich, vielleicht tritt jeder Mensch da draußen ganz anders auf, vielleicht nimmt jeder diese Diskrepanz wahr zwischen dem, wie er sich gibt und dem, was in ihm selbst wirklich da ist.
Aber ich habe festgestellt, dass es so anders sein kann. Dass es das tatsächlich gibt, dass man morgens gern aufsteht.
Und ich glaube manchmal, dass die Erinnerung an Vergangenes – obwohl es gute Erinnerungen sind – schmerzhafter sein können, als wenn es diese Zeiten einfach niemals gegeben hätte.

So… - damit das Wort zum Feiertag…

Alles Liebe
Mondkind

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