Von müssen und können



Wenn ich an Montag denke, macht sich langsam ein mulmiges Gefühl in meiner Magengrube breit.
Ab Montag steht für eine Woche Blockpraktikum auf einer geriatrischen Station auf den Programm. Es wird eines von unzähligen Praktika sein, die ich schon absolviert habe. Längst hat sich eine Routine entwickelt, wie man sich auf neuen Stationen benimmt, nach wem man fragt und dadurch, dass wir nicht die ersten Studenten dort sind, ist allen Beteiligten auch relativ klar, was in der Woche auf Studenten und Lehrende zukommt.

Und dennoch ist es anders, als es in den vergangenen Wochen war.
Für die Bescheinigung am Ende der Woche ist es zwingend erforderlich ausnahmslos jeden Tag zu erscheinen, sowie einen Vortrag und eine mündliche Prüfung zu absolvieren. Theoretisch müssen zwischendurch auch Patientenvorstellungen gehalten werden. Da ich aber in den vergangenen Jahren mehr als genug davon gesammelt habe und die für die Zulassung zum Examen schon ausreichen, bin ich davon befreit.

Im Prinzip wird die Woche sich nicht sehr von einer Woche im Labor unterscheiden – außer, dass ich natürlich nicht so liebe Menschen um mich herum habe. (Auch Geriater können mit Sicherheit nett sein, aber meist lassen die Ärzte es einen doch spüren, dass man sie im Grunde nur bei ihrer Arbeit behindert).

Ich glaube, ich habe ein Problem mit dem Umstand so vieles zu müssen.
Ein normaler Mensch mag sich morgens wenn er aufsteht nicht allzu viele Gedanken darüber machen, ob er den Tag auf die Reihe bekommt oder nicht. Bei mir sieht das anders aus.
Wenn ich für mich selbst beschlossen habe früh ins Labor zu fahren und dort bis nachmittags zu mikroskopieren, anschließend noch einzukaufen und den Haushalt zu machen, ist das zwar auch ein straffes Programm, aber eines, das ich mir selbst auferlegt habe.
Wenn ich morgens merke, dass es so überhaupt nicht geht, komme ich eben ein paar Minuten später. Wenn ich einen schlechten Tage habe und mit keinem reden mag, dann bin ich eben mal recht still im Labor. Das wissen alle dort.
Und wenn es im Lauf des Tages alles zu fragil werden sollte und ich mir selbst auch gar nichts mehr zutraue, gehe ich eben eher, lege mich auf mein Bett und halte es dort aus, dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Dass ich eher nach Hause fahre passiert nicht oft, aber es kommt vor.
Ich kann alles, aber ich muss gar nichts. 

In solchen Praktika geht das nicht.
Ich habe zu einer bestimmten Uhrzeit pünktlich da zu sein. Meistens stelle ich den Wecker dann rund 20 Minuten früher, falls ich wirklich nicht aus dem Tee komme.
Und der Tag muss auch unabhängig von meiner Fragilität überstanden werden und auch möglichst so, dass es keiner merkt.

Das funktioniert häufig, aber eben nicht immer und wenn es schief geht, dann geht es meistens richtig schief.
Ich kann mich noch erinnern, dass wir mal ein Praktikum ausgerechnet in der Psychosomatik hatten. Ich war an diesem Morgen ohnehin unglaublich wackelig auf den Füßen gewesen. Das war einer dieser Tage, an dem ich niemanden hören und sehen und auch mit niemanden sprechen wollte und mir die ganze Welt da draußen einfach nur Angst gemacht hat, weil das so überhaupt nicht zu bewältigen schien. Dann hatte noch die Bahn Verspätung und ich hatte auch vergessen, einen Zettel zu drucken, musste deshalb noch in der Bibliothek vorbei und kam – gerade noch so pünktlich, aber psychisch völlig am Ende – ins Seminar gerast.

Wir sollten an diesem Morgen Gesprächsführung mit Patienten üben. Da keiner das freiwillig vor der Gruppe mit einer Schauspielpatientin tun wollte, wurde ein Student ausgelost und das war dann ausgerechnet ich.
Diese Schauspielpatienten neigen immer sehr zur Übertreibung. Es ging darum, dass sie sich über Schlafstörungen beklagte und unbedingt ein Medikament haben wollte. (Sehr authentisch fand ich es nicht… - wenn ich ein paar Nächte lang hintereinander noch weniger schlafe als sonst, habe ich garantiert keine Kraft mehr dafür, beim Arzt noch die gesamte Praxis zu unterhalten).
Eigentlich habe ich mich echt gemacht und bin gar nicht mehr schlecht in solchen Gesprächen. Fünf Jahre Studium haben da wohl doch einiges bewegt.
Aber an dem Morgen kam ich mit ihrem lauten Tonfall, mit ihrer vehementen Forderung und ihren Anschuldigungen sie in ihrem Anliegen nicht ernst zu nehmen, überhaupt nicht zurecht. Mir fehlten auch für alles die Worte, einen Satz zu basteln dauerte unglaublich lange, zu denken dauerte noch länger und so lief die ganze Situation ordentlich aus dem Ruder.
Irgendwann hatte ich einfach nur noch so viel Panik im Kopf, dass ich – und es passiert wirklich selten, dass im Alltag die Maske fällt – echt angefangen habe zu weinen. Was die Sache noch schlimmer gemacht hat. Natürlich haben die das dann abgebrochen, aber immerhin saß die gesamte Seminargruppe um mich herum und auf die Dozenten muss das gewirkt haben, als hätte ich überhaupt keine Ahnung.
Ungünstig war, dass es ausgerechnet in der Psychosomatik passierte. Die wollten das hinterher mit mir nachbesprechen und haben mich gefragt was da los war und ich konnte das natürlich nicht erklären, ohne meine eigene Situation darzulegen. Das hätten vielleicht die Psychosomatiker sogar nachvollziehen können, aber das wollte ich halt definitiv nicht und dann musste ich mir irgendetwas Alternatives einfallen lassen.

Das ist jetzt nun gerade ein extremes Beispiel. In abgemilderter Form kommt das öfter mal vor. Ich werde da halt in Situationen hinein geschmissen, von denen ich von vornherein weiß, dass ich das gerade nicht händeln kann. Manchmal muss ich Kritik für mein Handeln einstecken, ab und an bekommt es aber auch wirklich keiner mit.

Das Problem ist, dass so etwas grundsätzlich halt immer passieren kann. Das weiß ich abends noch nicht, wenn ich ins Bett gehe. Morgens beim Aufstehen wird mir dann schon klar, dass jegliche zwischenmenschliche Interaktion mich an dem Tag überfordern wird und ich mir auch sehr wenig zutrauen werde (ein Zugang zu legen kann da schon mal zu einer Riesenaufgabe werden), aber wenn ich zu den Veranstaltungen muss, dann muss ich das irgendwie hinter mich bringen.

Wobei sich die ganze Sache auch auf die private Situation übertragen lässt. Wenn ich beispielsweise am Wochenende zu meinem Vater fahre und aber merke, dass es wirklich gar nicht geht, weil ich einfach nicht Bahn fahren kann, keinen Menschen sehen will, mich nicht für meine Laune rechtfertigen will, sondern einfach nur in Ruhe in meinem Zimmer gelassen werden will, komme ich aus der Nummer auch nicht mehr raus.
Genau dasselbe gilt für Verabredungen. Einerseits bin ich echt ein Fan vom Planen, andererseits schiebe ich endgültige Zusagen immer so weit wie möglich raus, denn Absagen ist halt auch immer blöd. Das machen die Leute zwei oder drei Mal mit und dann ist auch Feierabend.

Ich glaube das ist zum Beispiel so eine Sache, die im PJ auf mich zukommen wird und die jetzt noch keiner bedenkt. Das wird ein riesiges Problem werden, denn da muss ich ganz viel. Und da helfen eben ab und an die nettesten Menschen um mich herum auch nicht. Ich hatte das in meiner Neuro – Famulatur – dem Ort, an dem es mir grundsätzlich so gut gefallen hat, dass ich da später mal arbeiten möchte – auch eine Woche lang. Da konnten die Kollegen noch so nett sein – für mich war das jeden Morgen eine Qual.
Die Famulaturen haben mich immer gestresst und ich war immer froh, wenn ich den Monat ohne größere Schäden überstanden hatte.

Ich weiß halt nicht wann es kommt und wann es aus dem Ruder läuft. Das macht allerdings solche Wochen – die sich vom Arbeitspensum gar nicht so sehr von anderen Wochen unterscheiden mögen – viel, viel anstrengender und stressiger.

Alles Liebe
Mondkind

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