Psychiatrie #38 Inszenierung... ?


Promise me that you
Will visit me on the
Nights when
I cannot see the stars
   - hope

(ryan.g.adair)


Kopf abkühlen. Emotionen herunter kochen. Während es draußen immer noch heiß ist.
Hinterfragen.
Analysieren.
Ergebnisse verschriftlichen.

Mondkind ist verstummt. Still geworden. Spricht kaum noch. Lacht kaum noch. Bewegt sich kaum noch. Schleicht.
Aufmerksame Mitpatienten kochen Tee, bringen ein paar Süßigkeiten, versuchen Mondkind aufzuheitern.
Die das dann mit einem müden Lächeln quittiert.
Sie bittet darum, einfach nur bei den anderen sitzen zu dürfen. Weil alleine zu sein mit diesem Chaos – Kopf noch schlimmer ist. In dem immer noch alles rennt, aber nichts mehr die grauen Zellen nach außen verlässt.

Sämtliche Pflichtkontakte werden zur Tortur.
Und wenn es nur Morgen- oder Abendrunde ist.
Gefühl preisgeben. Mit einer Stimme sprechen, die kaum noch existent ist. Die Pflege muss nachfragen, was Mondkind gesprochen hat. Jedes Mal. Was ihr unangenehm und peinlich ist. Aber es geht nicht anders.
Während sich der Sommer an der Welt vorbei dreht, dreht sich die Mondkind rückwärts. Vom Zustand her dort, wo wir vor ungefähr fünf Wochen waren. Nur damals… - noch mit viel Hoffnung im Gepäck, dass die Dinge besser werden. „Wir schaffen das“, hatte Herr Therapeut mal irgendwo geschrieben.

Inszenierung.
Wer inszeniert denn hier?
Und was ist inszeniert?

Die letzten zehn Monate waren ein Leben am Limit. Am Ende weit jenseits der Limits. Am Ende mit dem Wissen, dass dieses Leben im Nichts endet, wenn es noch vier Wochen so weiter geht. Im weißen Kittel über die Flure fegen. Ein offenes Ohr für Jeden. Alle Rotationen, ohne mit der Wimper zu zucken, alle Dienste, die aufgetragen wurden, durchgeführt. Leben im und für den Job, daneben gab es nichts.
Die Inszenierung eines Arztlebens, für das Mondkind vielleicht nie stark genug war. Aber das Medizinstudium sollte doch am Ende etwas genützt haben. Wollte sie sich selbst und allen anderen beweisen. Und der Job an sich ist es ja auch nicht. Nur die Überbelastung.

Die letzten zehn Monate. Eine mit dem Privatleben, das nicht mehr existierte, todunglückliche Mondkind. Zerfressen von der Angst Patienten nicht gerecht zu werden, sie indirekt umzubringen, wenn sie nicht schnell genug und richtig denkt. Angst vor den Diensten, Angst vor einer überlaufenden Notaufnahme, Angst, dass die Kollegen mangelndes Potential durchschauen. Eine Krise nach der anderen, die nicht selten in der Suizidalität geendet hat, bis das Ende des Lebens so nah war.

Inszenierung – darüber herrschen unterschiedliche Vorstellungen.
Niemand hat mein Leben gelebt. Niemand hat gefühlt, was ich gefühlt habe. Niemand war so nah dran an der Mondkind, wie die Mondkind selbst. 

Mal wieder... - vielleicht hilft es ja und bringt mir wenigstens die Stimme zurück...


Für Mondkinds gesamtes privates Umfeld ist die desolate, ängstliche Mondkind die Inszenierung. Die dann zum Vorschein kam, als die scheinbar kompetente Ärztin nicht mehr konnte. Die Familie unterstellt „Urlaub in der Psychiatrie“, nutzt die Gunst der Stunde, um Jobentscheidungen zu verlangen, die man in einer solchen Situation nicht treffen sollte, um die private Familiensituation auf den Schultern der Mondkind zu verbessern. Andere Menschen sprechen von völlig insuffizienten Erklärungen, mit denen Mondkind sich eine psychiatrische Erkrankung zurecht basteln würde und von einem Drama, das Mondkind mit den Therapeuten zelebriere. Worte, die unfassbar weh tun. Unfassbar treffen. Und eine ohnehin instabile Mondkind in die Ecke drängen.

Denn für die Mondkind ist das erfolgreiche Arztleben die Inszenierung. Vorgeben eine Person zu sein, die sie nicht ist. Das Mittragen von Patientenschicksalen, wenn sie kaum ihr eigenes tragen kann. Ein Leben mit der Angst, die alle Energiereserven auffrisst, solange bis nur noch grau auf den Tagen bleibt und eine bleierne Erschöpfung.
Oder stellt die Mondkind sich am Ende nur an? Ist das das Schicksal eines Jeden... ?

Die Frage ist… - was die die Mondkind für das Team hier in der Klinik? Die Außenwelt könnte man noch unabhängig von der Therapie betrachten, wenn man sicher sein könnte, dass hier in Mondkinds zerbrechlichem Sein keine Inszenierung gesehen wird. Aber kann man sicher sein… ? Inszenierungsvorwürfe des Außens und Geschreibsel – Verbot im Innen ist eine ungünstige Kombination. Zunächst mal ist es ein Vertrauensbruch von der Person, die versprochen hat, das Geschreibsel nicht ins Team zu tragen. (Wobei die unterstellt, dass Mondkind das gewusst habe). Und dann… - warum verbietet man das? Weil man Mondkind ihren Boden zur Inszenierung wegnehmen möchte? Oder weil Mondkind keine vorbildliche Patientin ist, die so heilt, wie man das gern hätte?
Transparent gesprochen wurde darüber nicht. Mondkinds völlig verunsichertes Hirn kann sich also seine eigene Story spinnen. Und nach so viel Gegenwind aus den eigenen Reihen – auch von Säulen die stabil standen und Halt signalisiert haben – ist die Mondkind in eine grundlegende Misstrauens – Haltung übergegangen.

Abgesehen von der fehlenden Kraft, weil man ein komplettes Zusammenbrechen des sozialen Umfeldes nun mal nicht mit einem Wimpernschlag weg steckt – kann auch jeder gesagt Satz sofort wieder einen Sturm auslösen. Deswegen lieber wenig sagen. Wenig Angriffsfläche bieten.

Und… - liebe Hoffnung,
besuchst Du mich mal… - bitte? Bringst Du ein bisschen Feuer mit, um die Fackel wieder zu entzünden? Um die Angst ein bisschen zu vertreiben. Denn wenn wir diese Krise hier nicht gelöst kriegen – und liebe Hoffnung, da sehe ich im Moment keine Hoffnung – dann sind wir glaube ich nie desolater aus  einem Klinikaufenthalt gegangen. Dass hinterher nicht mal mehr die basalen Säulen stehen – ich glaube, das ist noch nie vorgekommen.

Mondkind


P.S.  Wer jetzt hier Problem - Lösungsmöglichkeiten sieht, darf gern den ein oder anderen Tipp dalassen. Die üblichen Kommunikationswege sind ja bekannt... Ich weiß es echt nicht mehr. Ich habe nur wahnsinnige Angst, dass der Rest des Klinikaufenthaltes hier völlig den Bach runter geht, wenn ich nicht in ein paar Tagen die Kurve kriege. Was in Stille sehr schwierig ist...

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