Psychiatrie #51 Psychiatrische Hängematte
Wie wäre das eigentlich, wenn Dinge, die gerade gut gelaufen sind, mal
eine Weile halten könnten?
Ich lag gestern Abend wirklich mal halbwegs beruhigt in meinem Bett. Bin
immer und immer wieder in Gedanken den Nachmittag durchgegangen. Erst kam Herr
Therapeut noch vorbei, dann hatte ich so ein gutes und ehrliches Gespräch mit
dem Stationsarzt, das eines der Besten war, die ich während des gesamten
Aufenthaltes hatte.
Da durfte mal alles sein, wie es eben war. Da wurde die Trauer, die
Sehnsucht nach diesem Menschen nicht nur zur Kenntnis genommen so nach dem
Motto „Müssen wir jetzt akzeptieren, dass sie darüber redet.“ Er hat
nachgefragt. Einer der Ersten. Oder der Erste überhaupt. Nach gemeinsamen
Erlebnissen, was wir zuletzt gemeinsam gemacht hatten, wie die letzten
Telefonate aussahen. Er hat selbst erkannt, dass da neben der Trauer noch so
viele Fragen sind, so viele Themen, die ein Tod unter den Umständen eben mit
sich bringt.
Es ist ein ganz großer Moment für eine Mondkind einfach mal gesehen,
wahrgenommen und akzeptiert zu werden und sicher wird dieses Gespräch eine der
guten Erinnerungen sein, die mir im Zusammenhang mit dem diesmaligen
Klinikaufenthalt als Erstes einfallen werden.
Ich habe dann gestern Abend mal versucht beim Arbeitgeber vorzufühlen,
wie es da aktuell aussieht. Der potentiellen Bezugsperson geschrieben.
Rechtzeitig. Bevor man Ende der nächsten Woche gestehen muss, dass für die
Folgewoche alles umgeplant werden muss. Erklärt, dass der Trauerprozess gerade
sehr viel Kraft kostet und sehr hakt und ich da eventuell noch ein bisschen
Zeit brauche. Aber auch gesagt, dass ich seine letzte Anmerkung, dass ich mich
darauf vielleicht einfach nur „ausruhe“ auch ins Team getragen habe und somit
dafür gesorgt habe, dass man eine Entscheidung auf vernünftigen Grundlagen
trifft und nicht nur aufgrund dessen, dass ich hier im Moment die erschütterte
Freundin abgebe.
Manchmal sollte man einfach nicht so harmoniebedürftig sein. Die Antwort
der Mail, die eigentlich nur eine Info hatte sein sollen, hatte es jedenfalls
in sich.
In der ganzen Geschichte gäbe es noch keinen „bad Guy“, also müsse er
den Part jetzt übernehmen. „Also, aktuell hast Du es gerade so hingebogen, dass…“
Hingebogen… - ist klar. Und im Verlauf der Vorwurf, dass der Freund mir dabei
geholfen habe weitere Belastungsfaktoren zu finden, damit ich von den Anderen
anerkannt und beklatscht verschwinden kann. Ich solle nicht weiterhin „rumflennen“
wegen ihm und mich nicht in die „psychiatrische Hängematte“ legen.
Wow… - ich glaube, dass es tatsächlich viele Menschen gäbe, die ich
nach so einer Mail nicht mehr anschauen würde. Aber wie sich ein Mensch, der
für mich Mentor, Vorbild und potentielle Bezugsperson war in seiner Einstellung
mir gegenüber so drehen kann, ist schon erstaunlich. Ich verstehe das auch
nicht und frage mich einfach, was ich so falsch gemacht habe. Die Ansage im Juni war noch, dass er nicht so für mich da sein kann, wie ich mir das gewünscht habe. Das war die eine Sache, aber das hier gerade... - ist etwas komplett Anderes.
Jedenfalls… - kaum war die Nacht zum Morgengrauen geworden, wurde aus
dem Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, das ich gestern Abend noch
vernommen hatte, Angst. Wer bin ich? Was kann ich mir selbst glauben? Bin ich
wirklich so ein hochgradig egoistisches, falsches und verlogenes Wesen, wie es
mir unterstellt wird?
Ich finde, gewisse Zeiten im Leben erfordern keinen „Bad Guy“. Wie
soll mir das helfen, wenn Jemand immer wieder drauf haut? Wenn jetzt vor der Trauer wieder die Frage nach
Berechtigung, Glaubwürdigkeit und Schuld im Raum steht. Wenn ich mich jetzt
wieder damit beschäftigen muss, ob das nicht eventuell alle so sehen wie er und
ich das nur noch nicht gerafft habe? Immerhin war der Freund hier wochenlang
eine Art Tabu – Thema.
Es stellt sich auch die Frage, wie es hier weiter geht. Was man auf
der Arbeit von mir und diesem Aufenthalt hält, dürfte mittlerweile klar sein. Ob
ich dort jemals wieder akzeptiert werde, ist mit diesen Aussagen schon jetzt
sehr fraglich. Wenn ich aber weiterhin hier bleiben sollte und damit das
Krankenhaus noch näher an die Grenze der Dekompensation bringe, an der es nach
mehreren Kündigungen einfach ist, werde ich da keinen Fuß mehr auf den Boden
kriegen.
Und wie Oberärztin und Stationsärztin hier das sehen, die nächste Woche mit
hoher Wahrscheinlichkeit wieder da sind, weiß ich auch nicht. (Meine
Zimmernachbarin hat gesagt, ich sollte schematherapeutische Aspekte und nicht
die Trauer ins Feld führen, wenn ich länger bleiben möchte. Aber langsam
sollten wir mit offenen Karten spielen – sonst würde ich ja wirklich lügen. Ich
glaube, wir haben jetzt lange genug aneinander vorbei geredet – es wäre wegen
der Trauer. Für was anderes habe ich gerade keinen Kopf und keine Kraft… und
wenn sie das hier nicht begleiten möchten oder können, dann ist das so.)
Jedenfalls sieht es meiner Meinung sehr danach aus, dass ich nächste
Woche um diese Zeit wieder in der Ferne sitze. Auf meinem blauen Sofa. Dort
vielleicht alle Blogposts der letzten Wochen durchlese. Nachspüre. Zwischen den
Zeilen. Wo insbesondere am Anfang so viel Hoffnung war. Die wenigen Tage
zwischendurch, in denen ich das Gefühl hatte, dass es jetzt ganz gut läuft.
Und dennoch mutmaßlich darauf komme, dass der Klinikaufenthalt diesmal
über weite Strecken ein einziger Kampf war. Darum mit den Themen gehört und
gesehen zu werden, die es aktuell nun mal sind. Und, dass mir das nur ganz
punktuell gelungen ist.
Und irgendwie hofft man ja doch bei jedem Klinikaufenthalt, dass man
danach mal anfängt, um die Lebensqualität zu kämpfen. Aber dafür hat es mal
wieder nicht gereicht. Wir müssen uns immer noch mit weit weniger zufrieden
geben. Wir werden – wie vorher – um das Überleben kämpfen. Jeden Tag. Schritt
für Schritt. Unter erschwerten Bedingungen – sonst würde es ja langweilig werden.
Ohne den Freund an meiner Seite, ohne potentielle Bezugsperson, ohne Herrn
Therapeut. Ohne das Wissen, dass im Notfall die Klinik auffangen kann – nochmal
geht das nicht.
Wahnwitziger Plan. Im Prinzip fast unmöglich. Aber hier auch nicht kommunizierbar,
ohne dass es am Ende ohnehin wieder bei mir landet. Das Einzige, das vermutlich
noch irgendwie klappen könnte, ist der Funktionniermodus. Augen zu und rein in
den Tunnel. Und ob es da nochmal ein Licht gibt, das ist die Frage. Vielleicht
ist auch keine Zeit, um über diese Frage nachzudenken.
Mondkind
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