Psychiatrie #29 Trauer und Dienstplanung


Atmen.
Geht immer noch.
Wenn sonst nichts mehr geht.
Nachdem es gestern Abend mal kurzzeitig so gut war habe ich gehofft, dass das bleibt.

Frühs.
Ich beschließe heute mal spazieren zu gehen, solange wie es noch verhältnismäßig frisch ist.
Und dann auf dem Weg, explodiert der Kopf. Da ist sie wieder. Die Arbeit. Weil ich heute die neue Krankmeldung brauche. Und, weil der Arbeitgeber sich dann vielleicht doch mal zuckt. Und überhaupt. Ich kann spazieren gehen… - kann ich dann nicht auch arbeiten gehen?
Irgendwo bleibe ich stehen. Schaue über die Felder, die teilweise schon abgemäht sind. Auf die Bäume, deren Spitzen von der Sonne angeleuchtet werden. Und dann… - dann kommst Du mir wieder in den Sinn. Und, dass es so verdammt unfair ist, dass Du das nicht mehr sehen kannst. Nicht mehr fühlen kannst. Diese Sommermorgen, die diesen seltsamen Frieden bergen. Ich schaue auf die Allee, auf der ich gerade unterwegs bin. Erinnere mich, dass wir hier oft spazieren waren, als ich in der Klinik war.
Und dann lehne ich mich gegen den Baum und spüre, wie die Traurigkeit mir die Tränen wieder in die Augen treibt.
Ganz still und leise frage ich mich, wann endlich Jemand die Rückspultaste drückt. Das kann doch jetzt nicht wirklich das Leben sein. Die Realität. 



Nach dem Mittagessen schaue ich mal nach den whatsApps auf dem Handy. Eine Kollegin hat mir geschrieben. Fragt, wie es mir geht. Und fragt, wie der weitere Zeitplan aussieht. Man muss Dienstpläne machen. Die Krankschreibung ist angekommen, schlussfolgere ich.
Ich schreibe ihr kurz ein paar Sätze zurück und gehe dann in die Ergotherapie.
Dort ruft mich während der Therapie eine Kollegin an. Normalerweise gehe ich nicht dran während der Therapien, obwohl man das in der Ergo nicht so eng sehen muss, aber irgendetwas stimmt doch da nicht. Ja, das mit den Dienstplänen ist Stress, höre ich. Mit Krankheit und Kündigungen kommt man nicht mehr zurecht. Außerdem habe man Jemanden zwingen müssen auf die Station, auf der ich arbeite, auszuhelfen – Freiwillig hätten sich nicht gefunden. Keine schönen Nachrichten. Aber die Kollegin sagt, sie freut sich auf mich. Sagt, dass wir dann endlich mal etwas unternehmen müssen. Das wollten wir ja eigentlich schon vor meiner Krankheit tun. Ich verspreche, bald wieder da zu sein.

Noch später am Nachmittag bekomme ich den vorläufigen Dienstplan von der Kollegin geschickt. Ich wusste, dass ich für September drin stand. Ich hatte mich ja selbst noch rein geschrieben, nachdem man mich dazu aufgefordert hatte. Jetzt ist er schon angepasst – man hat die Dienste verschoben und mich nicht nur eingetragen, sondern auch meinen Zwei – Wochen – Rhythmus zerstört. Der erste 24 – Stunden Dienst ist in der Woche nach der Entlassung. Und der Zweite nur sechs Tage später.

Verzweiflung. Absolute Verzweiflung. War doch die Androhung des ersten Dienstes einer der wesentlichen Auslöser, wenn auch nicht die Ursache für die Krise, aus der ich beinahe keinen Ausweg mehr gesehen habe.
Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat von meinen Oberärzten. Aber irgendwie lähmt es so. Diese Hilflosigkeit. Dieses Ausgeliefertsein in diesem System. Ich muss doch erstmal wieder ankommen. Erstmal wieder den normalen Arbeitsalltag gut schaffen. Was denken die, wie man drauf ist nach zwei Monaten Krankschreibung?
(In solchen Momenten war es immer ein gute Idee Dich anzurufen, um einen Zuhörer zu haben und ein „meine Lieblingsärztin schafft das schon“ zu hören).

Ich treffe die Pflege in der Küche. „Besprechen Sie das mit Ihrem Einzeltherapeuten…“, rät die. Der dann auch tatsächlich noch in die Küche gehüpft kommt, und irgendetwas oder irgendwen sucht – aber natürlich nicht mich und ziemlich gestresst wirkt.
Aber irgendwie ist dafür ja keine Zeit. In der nächsten Stunde müssen wir die Hausaufgaben besprechen, die ultra wichtig sind. Und was soll er dazu auch sagen? Mehr als Zuhören und ein bisschen beruhigen geht nicht. Obwohl er genauso gut weiß wie ich, was für mich ein erster Dienst bedeutet. Und, dass wir in der Ferne nicht mal eine Woche Zeit haben werden, bis zur ersten Krise.

Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob das so alles Sinn macht. Unter den Umständen.

Mondkind

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