Psychiatrie #40 Wochenstart und "meine" Schema - Stunde


Heimweh. Wohin auch immer.
Klinikkoller. Und ultra genervt von allem. Still sitzen und nicht angesprochen werden. Das geht noch.
Verluste. Von so viel zwischenmenschlichen Halt, der getragen hat.
Hoffnungslosigkeit. Nachdem es zwischendurch so viel Hoffnung gab.
Angst. Davor, die Berechtigung für all die Gefühle nicht zu haben.

Beschreibt es ganz gut. Diesen seltsamen Mix.

Hey Du,
ich hab Deine Mum gefragt. Wo Du jetzt bist.
Sie hat es mir verraten. Dein Heimatort. Zweieinhalb Stunden mit dem Auto von meinem Wohnort in der Ferne entfernt. Der Ort, den meine ehemalige Vermieterin glaube ich auch ganz gut kennt. Kreise schließen sich. Irgendwie. Irgendwann. Immer. Auch ein Grund, in der Ferne zu bleiben. Obwohl Du für mich immer hier gelebt hast. Die Ecken hier gekannt hast. Die ganzen kleinen Cafés, die ich niemals wahrgenommen hätte, hättest Du sie mir nicht gezeigt..
Deine Mum ist umgezogen. Hat sie mir erzählt. Vom Norden in den Süden. Damit Du nach Hause kannst, in die Straßen Deiner Kindheit; zurück in den Süden und sie bei Dir sein kann. Es ist so… - befremdlich, dass ich mir ihr darüber spreche, wo und wie Du beerdigt bist. Beerdigt… - so langsam sinkt es auch mal in mein Hirn. Das ist kein Blöder Scherz, kein Test, oder was auch immer. Du bist tot. Und es ist so verrückt, dass Deine Familie nach Deinem Tod wieder zusammen rückt. So verrückt, wie viel sich löst, das Du Dir so sehr gewünscht hast. Und, dass Du das nicht mehr erleben kannst. Es tut mir einfach unfassbar leid für Dich…Die Situation heute wäre schon eine ganz andere gewesen als die, die Du so auswegslos erlebt hast.
Oh und Sie hat gefragt, ob sie mich zwischendurch mal fragen kann. Was ich so mache, wo ich bin. Irgendwie rührend. Ich glaube, wir haben beide das Gefühl, Du lebst sein Stück durch die anderen. Durch die Geschichten, die es zu erzählen gibt. Über Dich.

Du fehlst. Du fehlst so sehr, wie Du es Dir vermutlich nie hättest ausmalen können.
Ganz viel Liebe
Mondkind



Die Woche startet für mich sehr früh. Nach einer kurzen Nacht sitze ich um sechs Uhr mit der Katze auf der Dachterrasse. Um diese Zeit ist es mittlerweile schon wieder dunkel draußen. Heute springt  sie mir mal wieder auf den Schoß. Rollt sich dort zusammen. Lässt sich von mir kraulen.
Ein bisschen Frieden an diesem Morgen. In all dem Trubel und all dem Schmerz. Nur der Kater und ich. Wir beide atmen. Er schnurrt vor sich hin. Und ich spüre seinen Herzschlag, der mich unfassbar beruhigt. Es gibt nicht nur Tod, Enttäuschung und Schmerz um mich herum. Manchmal kann man das Leben förmlich fühlen.

Irgendwann kommt Leben auf die Station. Der Kater verzieht sich und ich muss auch schnell meinen Joghurt löffeln und danach zum Sport gehen. Eigentlich wäre ich ja am liebsten nicht hingegangen. Wenn ich jetzt meine nicht vorhandene Kraft auch noch im Sport verpulvere… Aber irgendwie ist Absagen ja nicht so meins – die Therapeuten geben sich ja auch Mühe für uns. Also gehe ich. Und bin an diesem Morgen die Einzige.
Ich darf aussuchen, was wir machen. Eigentlich wäre mir sehr nach einer Runde Volleyball. Aber… - zu schwach auf die Knochen. Also entscheide ich mich für Federball. Und der Sporttherapeut ist zum Glück auch so nett und scheucht mich nicht ganz so sehr durch die Halle, sodass es eine relativ ruhige Sportstunde wird.

Danach ist metakognitives Training. Die Therapeutin, die das heute mit uns macht, war lange im Urlaub und merkt als Erstes an, dass ich wohl beim Friseur war. Es ist schon eine Weile her, aber sie war wohl seitdem nicht da. Und ich bin ganz berührt von so viel Aufmerksamkeit…
Eigentlich war ich in diesen Stunden in der letzten Zeit immer recht aktiv, aber heute schaffe ich es nicht irgendetwas zu sagen. Was mich ärgert, aber es geht eben nicht. Irgendwie.

Kaum bin ich wieder oben, fragt mich ein Mitpatient, ob wir eine Runde spazieren gehen können. Kurz, sage ich. Viel Zeit habe ich nicht. Wir laufen ziemlich schweigend. Es geht uns beiden nicht besonders gut. Bis er plötzlich stehen bleibt. Mich anschaut. In den Arm nimmt. Anfängt zu weinen.
Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll. Was ist das jetzt? Verzweiflung? Vertrauensbeweis? Auf jeden Fall schlüpfe ich innerhalb einer zehntel Sekunde in den Arbeitsmodus. Versuche einen Menschen zu halten, streiche ihm beruhigend über den Rücken, obwohl ich mich selbst kaum halten kann. Da können wir ja schon mal üben. Für die Realität, die da bald wieder kommt. Er bedankt sich.
Danach schreibt mir noch eine Mitpatientin aus dem letzten Jahr, dass sie gerade in der Ambulanz sitzt. Also treffen wir uns auch noch kurz und quatschen zehn Minuten, ehe ich dann zu Herrn Therapeuten muss.

Therapiestunde. Unerwartet früh heute. Normalerweise ist die nachmittags und ich habe über Mittag Zeit mir Gedanken zu machen, was ich da eigentlich besprechen möchte. Aber… - ob ich da heute auf einen sinnvollen Zweig gekommen wäre…?
„Ich glaube, ich kann heute nichts Sinnvolles sagen. Irgendwann sehe ich vielleicht wieder Menschen, die ich gerade in meinem Leben haben möchte. Und irgendwann sehe ich vielleicht wieder eine Perspektive für die Zukunft…“, ist irgendwann nach fast 50 Minuten meine Zusammenfassung.
Wir springen durch die Themen in der Stunde. Ein bisschen. Ich erläutere, warum es mir meiner Meinung nach so schlecht geht. Weil das soziale Umfeld zusammen gebrochen ist. Weil ich Angst habe, nicht berechtigt hier zu sein und das viel zu sehr generalisiert habe, dass ein paar Menschen der Meinung sind, dass ich hier eine Inszenierung betreibe. Weil mich das irgendwie aus der Bahn geschmissen hat. Dass Menschen, die ich so lange kenne, denen ich so sehr vertraut habe, so grenzüberschreitend waren. Und, weil ich Angst habe. Dass ich es einfach nicht auf die Kette kriege. Dass ich jetzt das dritte Mal in der Psychiatrie sitze ist eine Tatsache, die ich nicht abstreiten kann. Was ist, wenn die Menschen Recht haben und ich einfach irgendwie wirklich nicht lebensfähig bin?
Oh… - und einen Punkt lasse ich aus. Weil ich weiß, dass Herr Therapeut nicht mehr im Hintergrund so nah bei mir ist, wie er es vorher war – was ich bis vor Kurzem gar nicht so genau wusste. Und das wahrscheinlich nun auch nie mehr sein wird. Aus Gründen, die ich nicht kenne und natürlich mache ich mich selbst dafür verantwortlich - ich sehe hauptsächlich meine mangelnde Heilungsgeschwindikeit als Grund.
Herr Therapeut versucht zu retten, was man retten kann. Was aber heute wirklich nicht viel ist. Ich versuche irgendetwas Sinnvolles zu sagen. Aber heute… - ist da nur Negativität und Müdigkeit in meinem Kopf. Es tut mir unglaublich leid um diese Stunde, die diese Woche auch die Einzige bleiben wird, aber da ist einfach nichts in meinem Kopf. Absolut nichts.
Am Ende möchte er wissen, was mir denn jetzt akut helfen könnte. Auf zwei Dinge komme ich. Wenn jetzt irgendwer wirklich für mich da sein könnte. Klar ist Herr Therapeut das aktuell noch in einem zeitlich sehr begrenzten Rahmen. Aber ich meine jetzt mal so privat. Und zum anderen: Wenn man den Druck raus nehmen könnte. Denn jetzt stresst langsam extrem, dass ich in genau drei Wochen funktionieren soll. Und so geht es einfach nicht. So gerne wie ich auch wollte. So gern, wie ich morgen wieder arbeiten gehen wollen würde und endlich wieder ein nützlicher Teil der Gesellschaft sein wollte. Es würde mir helfen, wenn man mir die Zeit zum Gesundwerden geben könnte, die ich wirklich brauche. Was denn die Zeit da tun sollte, will er wissen. Die Zeit an sich… - gar nichts, entgegne ich. Aber wenn ich meine Tagebucheinträge so rückwärts lese… - dann ist durch all den Druck zeitgerecht heilen zu müssen von der ursprünglichen Therapiemotivation nicht mehr viel übrig geblieben.

Vor der Schema – Gruppe sitze ich noch kurz auf der Dachterrasse. „Mondkind, das ist dann heute Deine Stunde…“, sagt ein Mitpatient. „Na ich weiß nicht. Ich will niemanden seinen Raum wegnehmen…“, entgegne ich. „Nee Mondkind, Du brauchst das jetzt…“
Herr Therapeut fragt, wer ein Thema mitgebracht hat. Es schweigen alle eine Weile. Ich möchte wissen, ob wer mehr Redebedarf hat, als ich. Und als schon jemand fragt, ob Herr Therapeut nicht Ideen habe, schalte ich mich ganz zaghaft ein. „Wir könnten da mal… - über das Thema Krankheitsakzeptanz reden…“, sage ich. Und komme mir in dem Moment richtig bescheuert vor. Ich kann doch schon so kaum reden – muss ich da unbedingt die Stunde an mich reißen… ? Und als ich das dann ausführen soll, fehlen mir auch erstmal die Worte. Sie sind einfach weg. „Ich habe meine Worte heute nicht ganz so auf der Palette“, erkläre ich entschuldigend, was niemand wirklich kommentiert. Aber ich glaube, ich habe noch nie desolater eine Stunde an mich genommen. Und dann führe ich ganz langsam aus, dass sehr viel Kritik aus dem sozialen Umfeld kam bis hin zu der Tatsache, dass mir eine Inszenierung der Krankheit unterstellt wird und ich seitdem irgendwie Angst habe, hier völlig unberechtigt zu sein, weil das natürlich genau in die Schiene von Kritikern und Forderern schlägt. Und ich irgendwie mal dahin kommen muss das als Krankheit zu akzeptieren und dann solche blöden Kommentare auch einfach überhören muss.
Es kommen wirklich so liebe, mitfühlende und aufbauende Kommentare von den Mitpatienten und irgendwann geht es dann darum, was man denn der „kleinen Mondkind“ jetzt am Besten sagen könnte. „Sie in den Arm nehmen“ und „Ihr sagen, dass sie sich alle Zeit der Welt nehmen darf“ (wenn es denn mal so wäre…) waren die beiden wärmsten und erhebendsten Kommentare.
Dann machen wir noch eine Imagination zum Thema, die mich dann endgültig so fast raus haut. Ich bin von oben bis unten völlig durchgeschwitzt; die Klamotten sind nass und kleben an mir, in weine leise vor mich hin, versuche die anderen nicht zu stören (Merke an mich selbst: Nimm Taschentücher mit, wenn Du sowas vorhast…) und spüre, wie ich dezent in die Hyperventilation rutsche. In der Situation bin ich so dankbar, dass Herr Therapeut im Raum ist, mittragen und auffangen kann. Es kann nichts passieren. Mir kann nichts passieren. (Ich glaube so hat er mich bisher noch nicht mal im Einzel erlebt... Mondkinds sonst so gut funktionierende Selbstbeherrschung ist mal so ziemlich flöten gegangen...)

💕


Jetzt muss man natürlich das, was dort gesagt wurde, noch glauben. Klar, wir Psychos unter uns haben schon Verständnis für uns und die Therapeuten auch. Aber in der großen weiten Welt… ? Ist das geringer.
Aber es ist okay, dass ich hier bin. Und ich bin nicht auf das Verständnis meiner Umwelt angewiesen, auch wenn es hart ist, dass ein Mensch den ich so lange kenne, solch verletzende Dinge äußert.
Ich bin immer noch extrem überfordert und gerade sind all diese Sätze, Forderungen und Kritiken wieder so nah dran an mir. Aber wir haben heute einen sehr lieben Pfleger im Spätdienst – falls akut noch etwas sein sollte.

Oben auf der Station klopft mir ein Mitpatient auf die Schulter. „Hast Du gut gemacht Mondkind“. Und mit einer Mitpatientin entsteht danach noch ein langes Gespräch. Dass die Aussagen doch sicher im Einzel nochmal Thema werden, sagt sie. Woraufhin ich entgegne, dass wir dafür gar keine Zeit haben. „Mondkind, Du hast echt viel zu viele Themen…“, sagt sie. „Wie willst Du das denn in der Zeit, die Dir noch bleibt, bearbeiten…?“ „Das frage ich mich seit Beginn des Aufenthaltes. Wobei es immer mehr, statt weniger wird“, entgegne ich. Wir reden über das Entlassdatum. „Mondkind, ich habe Dich bisher nur gestresst erlebt. Das blockiert Dich glaube ich total, dass Du hier irgendwie so durch rennen musst. Aber die setzen Dich doch nicht auf die Straße, wenn Du noch nicht so weit bist, oder?“, fragt sie. „Ich weiß es nicht…“, entgegne ich. Auf der Tafel im Pflegezimmer steht hinter meinem Namen schon ein neuer Name. Das heißt, dass es eigentlich in Stein gemeißelt ist, sagte mal ein Mitpatient.

Für heute reicht es. Morgen haben wir wieder unsere Lieblingsveranstaltung – Oberarztvisite. Ich muss mir mal überlegen, was ich sagen will. Und, ob ich den Mut haben möchte nochmal anzusprechen, dass ich es einfach zu früh finde, in knapp zwei Wochen gehen zu sollen und dass da noch so viel ungeklärt im Raum hängt. Weil das weitere Händeln der Jobsituation immer noch unklar ist, ich gerade erst begreife, dass der Freund wirklich gestorben ist und ich noch keine Ahnung habe, wie ein Leben ohne ihn aussehen soll. Und, weil ich danach halt auch einfach alleine bin. Da ist keiner mehr, der mit mir geht. Weder im Vorder- noch im Hintergrund. Und diesmal muss es irgendwie gehen. Ein vierter Klinikaufenthalt geht echt nicht. Das macht weder mein Umfeld mit, noch mein Arbeitgeber. Diesmal muss ich es irgendwie so richtig hinkriegen. Und zwar schnell.

Mondkind

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