Psychiatrie #50 Von Krisengesprächen und Dankbarkeit


Was war das denn für ein crazy Nachmittag?
Jetzt sitzt Mondkind gerade auf ihrem Bett.
Tränen. Trauer, Verwirrung und tatsächlich auch ganz viel Dankbarkeit.

Achtsamkeit (also Mondkinds Heulstunde der letzten Wochen) fällt an diesem Nachmittag aus. Die Zeit nutze ich für einen kleinen Spaziergang. Weit war ich gar nicht unterwegs und langsam bin ich auch gelaufen, aber als ich wieder da bin, bin ich komplett erledigt.
Der Sturm ist weniger geworden und so richtig hat der Spaziergang den Kopf auch nicht durchgepustet. Kaum liege ich mit den geklebten Kopfhörern auf dem Bett, steigen mir schon wieder die Tränen in die Augen. Zum Glück ist die Zimmernachbarin ausgeflogen.
Plötzlich klopft es. Wer will denn jetzt schon wieder etwas – der Arzt hatte doch gesagt halb vier…?!
Und dann… - steht Herr Therapeut in der Tür.
„Was machen Sie denn hier?“, frage ich. Vielleicht etwas zu entsetzt. Beim Heulen ertappt…
„Ich wollte nach der Stunde heute Morgen nochmal nach Ihnen schauen…“, entgegnet er. Ich bin… - beeindruckt. „Und entweder ich erwische gerade einen sehr guten, oder einen sehr ungünstigen Zeitpunkt…“, ergänzt er. Dann weint die Mondkind noch ein bisschen mehr.
Ob ich etwas brauche, möchte er wissen. Viel Zeit wird er nicht haben. Jetzt die Notwendigkeit einer Pro- und Contra – Liste hinsichtlich des weiteren Aufenthalts anzubringen, ist also weder zeitlich möglich, noch möchte ich ihn sofort wieder verärgern. Jemanden, der diesen Wahnsinn mit mir aushält, brauche ich. Das kann er natürlich auch nicht machen, aber zumindest zur Minute ist er ja da. Also… - mal wieder ein Hoch auf Herrn Therapeuten.
Er fragt, ob ich noch Therapeutentee habe. Verstanden. Krisenhelfer fürs Wochenende…

Kastanie vom Spaziergang...

Wenig später ist es schon Zeit sich vor das Arztzimmer zu setzen und auf den Stationsarzt zu warten. Der dann auch recht pünktlich kommt.
Was denn das Problem ist, möchte er wissen. „Dass Sie jetzt einen Entlasstermin haben und sich nicht bereit dafür fühlen…?“, beantwortet er sich die Frage selbst. „So indirekt… - ja“, gebe ich zu. „Aber… - im Moment steht da mehr der Freund im Vordergrund…“, erkläre ich.
Und nach kurzer Pause… „Wissen Sie, manchmal hätte ich gern so eine Anleitung für das Leben. Wie man mit schwierigen Situationen, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen, umgeht. Und dann am Besten noch mit einem „häufig gestellte Fragen“ – Teil, damit man sich den Kopf nicht 27 Mal an derselben Mauer einrennt und es jedes Mal ein bisschen mehr weh tut. Aber ich fürchte… - das gibt es nicht. Und wenn, dann muss ich das selbst schreiben. Aber was auch ganz nett wäre… - wären Freunde, oder irgendwen mit dem man das besprechen kann…“ „Naja, jetzt sind Sie ja hier…“, entgegnet der Stationsarzt. „Ja, aber bisher wurde das immer recht stiefmütterlich behandelt und in die üblichen, vorher bestehenden Probleme eingereiht. Ich hatte immer Sorge davor, was passiert, wenn das Thema so groß wird, wie es jetzt ist. Das ist nun mal ein Tabu – Thema. Sterben generell und dann auch noch durch einen Suizid. Und das Meiste, was ich dazu vom Außen – abgesehen vom Seelsorger - gehört habe, war nicht hilfreich.“ Er möchte wissen, was das war und was mich da jetzt so aus der Bahn geschmissen hat. Ich berichte vom Kommentar, dass man der Meinung ist, dass das hier hochmanipulatives Verhalten ist, ich mich in der Trauer vergrabe, sodass man mir nichts mehr anhaben und keine Anforderungen stellen kann und ich den Freund damit mehr oder weniger ausnutze. (Und ich weine schon wieder…). Ich berichte, dass ich nicht mehr weiß, was ich glauben soll. Ob ich mich irgendwie selbst hintergehe, ob das alles nicht „echt“ ist, ob Trauer jetzt vorbei sein muss, oder nie hätte da sein dürfen.

Wir nehmen das ein bisschen auseinander. Zum ersten Mal nimmt hier Jemand das Wort „Trauerphasen“ in den Mund. Räumt ein, dass Trauer nach einem Suizid nochmal allein deshalb etwas Spezielles ist, weil es neben der Trauer noch eine Verantwortungs- und Schuldfrage gibt. Er erklärt auch noch mal, dass ich mir vermutlich keine Vorwürfe machen muss.

Dann kommen wir auf den aktuellen Knackpunkt zu sprechen. Dass mir seit zwei Wochen klar ist, dass all die Arbeit mit dem Seelsorger darauf abgezielt hat, dass ich ihn loslassen muss und ich das im Moment nicht kann. Eher habe ich jeden Tag mehr Sehnsucht, mehr das Gefühl ihn anrufen zu müssen.
Er schlägt vor, dass ich mich jetzt von der Schuld- und Verantwortungsfrage, von dem Druck der Kollegen etwas distanzieren soll. Und stattdessen überlegen soll, wo wir gemeinsam gute Momente erlebt haben, wie sich das angefühlt hat, wo im Körper ich das fühle. Und versuchen soll, diese Momente festzuhalten und nicht schon wieder Angst zu haben, dass die zu schnell zu sehr verblassen.

Er weist ausdrücklich darauf hin, dass ich versuchen soll, mich am Wochenende etwas auszuruhen, mich bei den Schwestern melden soll, wenn es mir nicht gut geht und auch Krisengespräche am Wochenende möglich seien – dann müssten die Schwestern halt den AvD anrufen. 
Auch die Frage nach den Suizidgedanken kommt und noch ist es wirklich recht ruhig, aber nächste Woche wird die Frage vermutlich etwas "heiß". Denn wie ich denen erklären soll, dass allein der Gedanke daran wieder im alten Mist in der Ferne zu sitzen ohne den Freund und ohne Helfersystem das wieder hochkochen lässt, ohne dass die sich hochgradig veräppelt fühlen, weiß ich noch nicht.

Hinsichtlich der Entlassung sagte der Stationsarzt, dass ich sicher gerade meine Berechtigung habe hier zu sein und wir schauen, wie es nach dem Wochenende aussieht. Er würde das auch gern nochmal mit der Oberärztin besprechen, aber über den Zaun brechen werden sie es nicht. Wenn es nicht geht, dann geht es nicht.
Und dann hat er mich "bis spätestens Montag" verabschiedet. Ehrlich gesagt hatte ich angenommen, dass die Vertretungszeit nächste Woche vorbei sein soll, aber hier läuft ja gerade alles ein bisschen schräg. Ich hoffe und bete jedenfalls, dass wir ihn nächste Woche noch haben – wo ich doch gerade mal Jemanden habe, der erkannt hat, dass Trauer nicht nebenbei läuft.

Als ich aus diesem Raum (mal wieder klatschnassgeschwitzt) heraus komme und wieder auf meinem Bett sitze, tut es immer noch sehr weh. Und dennoch ist da unfassbar viel Dankbarkeit. Dem Herrn Therapeuten gegenüber, dass er nochmal da war und – wo ich doch gerade noch davon gesprochen hatte – zeigt, dass ich ihm doch noch etwas wert bin, auch wenn sich viel geändert hat. Und dem Arzt, dass da endlich auch „offiziell“ Trauer sein darf. Und dass sich endlich einfach mal Jemand darum kümmert. Darauf habe ich ja jetzt auch wochenlang gewartet.
Das waren mal zwei Krisengespräche. Bitter nötig und ein bisschen Balsam für die Seele.

Mondkind

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