Psychiatrie #37 Reflexion und Realitätsabgleich


Ein Blogpost für die Mondkind.
Nichts Neues.
Nur ein bisschen Reflexion. Ein bisschen Erinnerung. Ein bisschen Rekapitulieren. 

***

Anfang Juli. Die nächstgrößere Stadt. Hauptbahnhof. Warten auf den Bus. So fast zerbrechen. Weil ich doch hier immer mit dem Freund telefoniert habe. Wenn ich auf den Bus gewartet habe, der mich in die Studienstadt bringt. Gefühle ausschalten. Funktioniermodus. Es geht nur so.

Fragen. Ist das richtig? Wann werde ich wieder zurückkommen? Und wie wird es mir dann gehen? Kann mir die Klinik helfen? Ist das vernünftig, jetzt auch noch den Job aufs Spiel zu setzen? Wo doch schon das Privatleben auseinander bricht und die Jobsäule alles ist, was bleibt.
Aber wenn ich jetzt nicht hier stünde, auf dem Weg in die Studienstadt, würde ich das nicht überleben. Also… - wenn ich der Hoffnung Rechnung tragen möchte, habe ich keine Wahl.

Vorwärts. Einfach nur vorwärts. Nicht nachdenken.
Mit Herrn Therapeuten in die Notaufnahme gehen. Spüren, dass er da ist. Ich bin nicht alleine, ich kann nicht mehr fallen. Mit jedem Schritt mehr Herzrasen. Aber ich komme aus der Nummer nicht mehr raus. Diesmal nicht. Und irgendwie ist das doch auch okay so, oder? Ich will das doch überleben.

Geschützte Station. Ambivalente Gefühle. Auf der einen Seite eingesperrt. Ist eben so. Da gibt es auch nichts zu beschönigen. Auf der anderen Seite spüre ich auch den Schutz, den die geschlossenen Türen bringen. Es kann nichts passieren. Ich kann gerade nicht sterben mit diesem Hirn.
Und… - es gibt keine therapeutischen Ansprüche. Ich muss da nichts leisten. Ob ich irgendwelche geistigen Höchstleistungen vollbringe oder nicht, interessiert keinen.
Verwahrstation. Warten, bis die Medikamente den Kopf abgekühlt haben. Warten, bis es besser wird. Einfach nur existieren. Mehr geht auch nicht.

Erster Morgen auf der neuen Station. Ein Samstag. Zunächst in einem Einzelzimmer. Rückkehr der Privatsphäre. Für kurze Zeit. Ganz viel Erleichterung. Ganz viel Hoffnung. Auf die Wende.
Ganz viel Therapiemotivation. Das muss man doch hinkriegen. Das mit dem Leben. Und wie hatte Herr Therapeut nicht irgendwann mal gesagt: Diesmal werde der Start einfacher, weil man mich ja kenne und schließlich auch schon klar sei, wer mein Einzeltherapeut werde. 

Einer der Spaziergänge...

Realität. Sieht so ganz anders aus.
Nach wenigen Tagen steht das Entlassdatum. Und stresst mich zu Tode. Jegliche Diskussionen darüber bringen nichts, außer Ärger. Fast zwei Wochen bin ich damit beschäftigt, ehe ich das akzeptiere. Fragen, die das mit sich bringt, ticken aber im Hinterkopf. Wieso? Stellt man es in Frage, dass ich hier eine Berechtigung habe? Haben am Ende einige Leute Recht, die behauptet haben, dass ich mir mit völlig insuffizienten Erklärungen eine nicht existente Krankheit zurecht bastle? Dass ich eine Drama inszeniere, das die Therapeuten längst durchschaut haben und mich dementsprechend hier lediglich dulden? Ich weiß es nicht. Tiefes Misstrauen.
Herr Therapeut. Lässt sich davon nicht beirren. Arbeitet sich durch mein Geschreibsel, greift immer wieder die Punkte auf, die weh tun. Spricht mich darauf an. „Vertrauen Sie mir…“ Starker Satz. Und ein Versuch meinerseits.
Imagination. Lasse ich das jetzt zu, den Therapeuten durch mein Leben springen zu lassen…? Wir wollen ja gesund werden… - also ja. Und dann… - dieses eigenartige Stechen im Herz. Nächste Stufe des Vertrauens erreicht.

Zwischendurch läuft das mal gut. Ich habe meine Themen verteilt. Nicht jeder mag jedes Thema. Trauerarbeit machen die hier einfach nicht. Also auslagern an den Seelsorger. Über die Arbeit wollen sie hier auch nicht reden. Also auch auslagern. Und Herr Therapeut hat die wundervolle Idee mit der „kleinen Mondkind" zu arbeiten. Aber das erfordert ganz viel Vertrauen. Weil da ganz viel hoch kommen wird. Aber gut… - geben wir uns Mühe. 

Umstellung des Therapiekonzeptes. Man möchte, dass ich mehr fühle. Ich weiß nicht, ob ich das möchte. Weil da so viel ist, das weh tut. Aber wenn man das hier für den richtigen Weg hält… - Zeit, sich darauf einzulassen. Und ich stehe ja stabil. Das Helfersystem funktioniert einwandfrei.
Sobald Herr Therapeut die „kleine Mondkind“ anspricht, rollen die Tränen. Und es ist okay.

Nur wenige Tage danach crasht das System.
Zuerst sagt der Seelsorger, dass er jetzt erstmal Urlaub hat – somit müsste man die Trauerarbeit wieder in der Klinik integrieren, was mutmaßlich nicht funktioniert. Dann kommt der Dienstplan dazu, danach fällt es mir auf die Füße, dass ich bei der Neuorientierung im sozialen System ausgerechnet erstmal Halt bei der Familie gesucht habe. Als nächstes fällt mit einer Mail in der Nacht eine der letzten stehenden Säulen und dann bricht das Helfersystem in der Klinik zusammen. 

Die Katzen - Momente bleiben...

Ehrlich gesagt hat das sehr viel Mut erfordert, sich auf so viel einzulassen. Sowohl emotional, als auch organisatorisch. Wochenlang zu fehlen, den Job zu riskieren, ins Krankengeld zu rutschen (dessen Organisation bis heute noch nicht geklärt ist), ewig die Privatsphäre aufzugeben, den ersten Sommer in der Ferne verpassen, das erneute Pendeln zwischen den Welten. Aufgrund Jedes von diesen Gründen alleine könnte ich die Wände hoch gehen.  Aber die Hoffnung war stärker als der Rest. Hoffen, das kann Mondkind gut. Musste sie auch lange. Als die Realität so dunkel war.
Und ehrlich gesagt muss ich gestehen, dass ich geglaubt habe, dass wir ein bisschen dort anknüpfen können, wo wir letztes Jahr in der Klinik aufgehört haben. Das hat das Team von mir erwartet und ich umgekehrt vom Team. Da war Geschreibsel zwischen dem Therapeuten und mir geduldet, weil man wusste, dass ich nicht reden kann. Dass der Rest des Teams seine Nase da hinein steckt, war mir ehrlich gesagt nicht bewusst – da hätte man anders schreiben müssen. Aber da das jetzt offensichtlich weite Kreise gezogen hat und von oben entschieden wurde, das Geschreibsel nicht mehr zu dulden, muss sich auch Herr Therapeut fügen. Er kann sich schlecht für den Patienten entscheiden – das würde ich in seiner Situation vermutlich auch nicht tun. Immerhin bin ich für ihn ein Job. Er wird wissen, dass er mich da ein bisschen hängen lässt, das Vertrauen, das ich ihm entgegen gebracht habe, empfindlich aus dem Gleichgewicht bringt. Denn jetzt stehe ich hier. Wo wir die „kleine Mondkind“ ausgegraben haben. Kann die Emotionen kaum händeln und jemanden der mitträgt, gibt es eben nicht. Warum die Sorgen, die immer an die Tür klopfen im Zusammenhang mit Vertrauen auch jedes Mal Realität werden müssen... ? Ich weiß es nicht. Aber ich hätte mich nicht so in diesen Menschen fallen lassen dürfen.
Auch war letztes Jahr eine Abmachung, dass man auf mich zukommt, wenn es mir schlecht geht und ich dadurch sehr still werde. Mittlerweile habe ich die Stimme fast verloren. Ein bisschen wie damals, als Herr Therapeut und ich in der Notaufnahme saßen, ich so viel im Kopf hatte und nicht reden konnte, weil ich nicht mal dafür Kraft hatte. Da sind wir jetzt wieder. Ich kann einfach nicht. So sehr, wie ich auch will. Es wird aber Niemand auf mich zukommen, das ist mir auch klar. Also aushalten. Schreiben. Therapeutentee. Warten, bis es besser wird. Hoffentlich. In ein paar Tagen. Etwas anderes kann man nicht machen.

Und ganz langsam die Erkenntnis. Ich hätte das nie machen sollen. Dann hätte ich jetzt eine ganze Menge Sorgen weniger, hätte nicht die Familie und einige andere Menschen das nächste Mal gegen mich aufgebracht und hätte zumindest keine Sorgen mit dem Job. (Vermutlich hätte ich halt weder Sorgen noch Licht in meinem Leben… - aber nun denn…)

In drei Wochen um diese Zeit werde ich die Studienstadt verlassen. Wissen, dass es jetzt funktionieren muss, wenn es weiter gehen soll.
Wie es mir damit geht, möchte ich nicht wissen. Aber da die Zeit nicht stehen bleibt, werden wir nicht umhin kommen, das zu erfahren. Früher oder später...

Mondkind

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