Psychiatrie #46 Ohnmacht


Wir sind 'n kleiner Teil des Ganzen
Doch können das Ganze, das ganze nicht mehr teilen
Sind so unendlich viele Menschen
Aber viel zu oft allein

Wir sind wie blinde Passagiere
Treiben einfach so umher
Auf 'ner kleinen blauen Kugel
Durch das große, schwarze Meer
Wir sind wie blinde Passagiere
Wissen nicht, wohin es geht
Und wenn man irgendwann aussteigt
Will doch jeder sagen
Wir ha'm geliebt, wir ha'm gelebt

(Johannes Oerding - Blinde Passagiere)

Ich muss es nochmal zitieren.
Dieses Lied.
Tag 1.
So ungefähr fühlt es sich an. Tag 1 nach der Katastrophe.
Nur, dass man da abends in seiner Wohnung zusammen brechen durfte. Während hier kein Raum dafür bleibt. Dass man nachmittags Herrn Therapeuten in der Leitung hatte, der einfach mal kurz dran geblieben ist. Und jetzt ist er hier. Eine Etage unter mir. Und hat keine Zeit.
(„Diese Woche habe ich ganz wenig Spielraum…“
„Okay… - dann verschwinde ich jetzt wohl besser“, habe ich erklärt und die Bürotür hinter mir zugezogen).

Ich weiß nicht mehr, wohin mit dem Druck. Wohin mit den ganzen Ambivalenzen.
Auf der einen Seite, möchte ich unbedingt, dass Menschen hier sind. Hier bei mir, ganz nah. Die mich am Besten in den Arm nehmen, solange festhalten, bis das Herz wieder etwas mehr im Takt schlägt.
Auf der anderen Seite wäre alles, was man jetzt sagen könnte, irgendwie falsch. Unangebracht. Weil keiner in dieser erschütterten und zerrütteten Welt steht, in der ich stehe.

Atmen. Überleben. Mehr ist es nicht. Und das funktioniert auch nur, weil ich gerade in der Klinik sitze und ziemlich wenige Möglichkeiten habe, irgendetwas anzustellen. Es wird jeden Tag ein bisschen unaushaltbarer.

Wie soll ich so leben? Ohne diesen Menschen? Und wie soll ich akzeptieren, dass wir – wie Johannes Oerding so schön singt – alle nur im Leben danach suchen, irgendwann glücklich zu werden, akzeptiert und auf irgendeiner Ebene geliebt zu werden. Und er das nicht hatte. Und ich diejenige war, die ihm das verwehrt hat.

Montag. Muss es doch Hilfen geben. In einer Psychiatrie. Denkt man so.
Gibt es aber nicht.
Herr Therapeut und ich haben Termine gemacht. Mittwoch frühs. Das kollidiert mit zwei anderen Terminen. Aber die werden schon merken, dass ich da nicht erscheine. Ich habe keine Kraft mehr, hier irgendetwas umzuschieben. Das müssen die planen. Ist ihr Job. Nicht meiner. 
Ich bin hier manchmal auch einfach nur Patient. (Am Rande bemerkt hat mich das glaube ich am Stationsarzt letzte Woche so beeintruckt. Bei ihm war ich keine "Kollegin", sondern einfach mal Patientin. Und durfte einfach mal hilflos sein...)



Heute in der Schema – Gruppe habe ich die Katastrophe mal gruppentauglich angedeutet. Allein das auszusprechen, hat glaube ich die sämtliche verbleibende Kraft in Anspruch genommen. Aber helfen kann da keiner. Man registriert stumm. Sagt, dass die Ohren offen waren. Aber die Möglichkeiten scheinbar beschränkt sind. Da kann keiner helfen. Zumindest tut es keiner.

Die Oberarztvisite fällt morgen aus, weil die Oberärztin krank ist. Ansonsten hätte man denen vorschlagen können, dass sie mich erstmal mit Tavor zuknallen sollen. Und zum Thema Suizidalität müsste ich – so denn Jemand fragen täte – langsam auch etwas anderes sagen. Und ich wünschte, es würde einfach mal Jemand fragen. Dass dieser Wahnsinn hier einfach mal aufhört.

Das wird alles noch sehr, sehr lange dauern mit den Hilfen diese Woche.
Zumindest… - für diesen Zustand sehr, sehr lange.

Heimweh. Lass mich einfach mal nach Hause kommen. An irgendeinen Ort. Wo immer das ist. Lass bitte nur irgenwo irgendeinen Menschen sein, der jetzt einfach gerade mal da sein kann. Nur für ein paar Minuten. Dann gehe ich auch alleine weiter. Versprochen.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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