Psychiatrie #31 Von ganz viel Wut und noch mehr Angst
Eigentlich wollte ich heute mal nichts schreiben. Ich sehe nämlich,
dass die Leser kaum hinterher kommen mit dem Lesen. Aber manche Dinge sind
einfach sowas zum Kotzen – und zwar zum Kotzen hoch zwei Millionen – dass ich
dann doch schreiben muss. Um zumindest ein winziges bisschen was von der Wut
(oha ja, die Mondkind kann auch wütend sein, wenn auch extrem selten), der
Sorge und Angst irgendwo abzuladen.
Der Morgen geht noch einigermaßen friedlich los. Ich sollte ja die
Sorgen im Schrank einsperren – also beschließe ich einen Waldspaziergang
einzulegen, um den Schrank nicht mal sehen zu müssen. Achtsames Spazierengehen.
Um mich abzulenken. Ich achte auf den Klang, den das Auftreten mit den Schuhen
auf dem Waldboden verursacht. Ich höre Grillen und Vögeln zu, lausche dem
Hufgetrappel von Pferden, die mit ihren Reitern durch den Wald traben. Und an
einer Wiese fällt mir ein, wie ich vor vielen Jahren mal mit einem Pferd im Galopp
die Wiese hinab gefegt bin und es mir ein ultimatives Gefühl von Freiheit vermittelt hat. Ich achte auf das Grün der Bäume, sehe Kastanien, die viel zu früh
vom Baum gefallen sind und deren Stacheln noch ganz weich sind.
Trotzdem lenkt das alles nur bedingt ab. Die Rückkehr in den Job macht
mir Sorgen, aber mindestens genauso viel Sorgen habe ich immer noch, den Job zu
verlieren. Insbesondere nach der Tanztherapie letztens. Da sollte ich mal
Menschen und Dinge um mich herum legen, die mir wichtig sind. Desto näher sie
bei mir waren, desto wichtiger waren sie. Und das sollte im Übrigen meine
Wertung sein – nicht die der anderen Menschen, oder der Anforderungen der
Gesellschaft. Die beiden bei mir am nächsten liegenden Menschen habe ich schon
verloren, der Job lag aber auch noch ganz nah bei mir, sowie die Stadt, in der
ich lebe. Wenn ich das verliere, habe ich nichts mehr in meiner unmittelbaren
Nähe, das bleiben kann. (Aktuell liegt da schon auch noch die Klinik, aber
nicht mehr lange. Und um das auch wirklich mir deutlich zu machen, dass das
endlich ist – und zwar schon recht bald - wollte ich in den nächsten Tagen mal
das Rückfahrt – Ticket buchen).
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Impression vom heutigen Spaziergang |
Gestern hat meine Oma mir geschrieben. Eine SMS in lauter
Großbuchstaben, dass ich sie doch unbedingt anrufen soll. Alarmstufe.
Vielleicht bin ich langsam ein bisschen paranoid, aber ich hatte irgendwie
Angst, dass wer gestorben ist. Es war aber schon spät, deshalb haben wir das
Telefonat auf heute vertagt. (Vielleicht sind Wochenenden für
Familienunterredungen auch einfach ungeeignet).
Ich glaube, da wachen langsam ein paar Menschen auf. Nachdem der Freund
sich das Leben genommen hat. Da merken sie: Oh Mist, es ist eine Krankheit. Und
die kann tödlich sein.
Jedenfalls hat meine Oma mir erklärt, dass es absolut sicher ist, dass
alle in der Neuro sich gegen mich verschworen haben und mich jetzt indirekt
sicher dazu zwingen wollen, zu kündigen. Dass ich mir zwischendurch von
mehreren Oberärzten mehrfach angehört habe, dass ich mir keine Sorgen um den
Job machen soll, lässt sie nicht gelten. Das gehe ja wohl nicht anders, aber
ernst würde es da sicher keiner meinen. Und überhaupt sei es ja nicht unwahrscheinlich, dass mit der
Vorgeschichte der Vertrag nächstes Jahr auch nicht verlängert wird. Danke Oma
wirklich. Nächstes Kopfkino. Dass man mich aufgrund von Krankheit nicht
kündigen kann, habe ich ja jetzt begriffen, aber dass der Vertrag nicht verlängert
wird… - das überlege ich mir auch jeden Tag 20 Mal. Da kann der Chef ja lange
der Auffassung sein, dass die Mondkind eine gute und gewissenhafte Arbeitskraft
ist, wenn im Personalbüro Jemand befindet, dass der Nutzen die aufgrund von
Ausfall entstandenen Kosten nicht überwiegt, dann wird das denen egal sein. Und
dann… - vielleicht wird das ja irgendwo vermerkt und ich finde nie wieder einen
Job (und lande unter der Brücke). Man sieht… - Mondkind – Katastrophenhirn ist
wieder am Werk.
Die Begründung für die Kündigung ist dann übrigens wieder ganz super: „Also
Mondkind, wir machen uns jetzt alle solche Sorgen um Dich. Und das ist auch für
den weiteren Krankheitsverlauf von der Mama nicht gut und für Deine Schwester
auch nicht. Denen geht es dann auch allen gesundheitlich noch schlechter, wenn
die sich ständig Sorgen um Dich machen müssen… Denk mal an Deine Mutter und
Deine Schwester… “
Und dann ging es weiter mit: „Mondkind, für diese Dienste bist Du
einfach ungeeignet. Das schaffst Du nicht. Das musst Du doch einsehen…“
Spätestens das ist der Zeitpunkt gewesen, an dem ich das Handy hätte
gegen die Wand schmeißen können. Das kann doch wohl nicht deren Ernst sein. Wer
hat uns nach dem Abi vor die Wahl Jura oder Medizin gestellt? Und wer wusste
seit dem ersten Semester und spätestens seit dem ersten Pflegepraktikum, dass
es massive Probleme mit diesem Job geben wird? Und wer hat es trotzdem all die
Jahre durchgezogen, wer hat sich eine Nische gesucht, wer hat sich zehn Monate irgendwie
dadurch geschlagen und hat – laut Kollegen – keinen schlechten Job gemacht?
Dass sie sich jetzt Sorgen machen, dass können sie sich sonst wohin stecken –
abgesehen davon glaube ich machen sie sich maximal Sorgen um sich selbst. Da
hätten sie mal vor acht Jahren anfangen sollen zu denken, als uns noch die Welt
zu Füßen lag. Ich werde jetzt sicher nicht irgendeinen Laborjob machen, nur
damit es denen gesundheitlich gut geht. Meine Gesundheit war bislang auch
reichlich uninteressant. Sollte ich irgendwann feststellen, dass ich selbst ins
Labor will, ist das etwas anderes, aber ein „Ich schütze meine Familie“ wird
sicher kein Grund mehr sein. Ich habe genug geschützt. Man sieht, wo es geendet
hat. Mal abgesehen davon habe ich mir die Krankheit auch nicht ausgesucht und
kann auch ehrlicherweise recht wenig dafür.
Und überhaupt… - die ganze Argumentation, in der mir indirekt die Schuld
am Gesundheitszustand meiner Mutter gegeben wird, erinnert mich doch sehr stark
an: „Mondkind, wenn Du Pilotin wirst, sterben wir vor Sorge alle zehn Jahre
eher…“ (Wobei das weniger Sorge vor dem Herzinfarkt war, sondern eher deshalb,
weil es ein Ausbildungsberuf mit einem super Abi gewesen wäre…).
Meine Familie hat meine Kollegen und die Menschen, die mir wichtig
sind, noch nie gesehen. (Ich werde mich auch hüten…) Aber denen alle mal
gemeinschaftliche Verschwörung gegen mich zu unterstellen, ist… grenzwertig.
Sicher sind die Wenigsten begeistert, aber ich habe so viel Unterstützung und
aufrichtige Sorge nach dem Vorfall mit dem Freund erlebt – das kann nicht alles
gespielt gewesen sein. Und auch wenn die Dienstplan – Aktion sicher nicht in
Ordnung ist, aber man kann da nicht alle über einen Kamm scheren.
Es kam dann übrigens auch die super tolle Idee, dass ich ja wieder zu
Hause einziehen könnte. Nachdem ich in einer Nacht – und – Nebelaktion von zu
Hause ausgezogen bin und lieber fast zwei Jahre lang fünf Stunden gependelt
bin, als dort weiter wohnen zu müssen – da werde ich doch nicht wieder
freiwillig einziehen.
Oh und dann folgte auch noch die Krönung mit: „Mondkind, Du solltest Dir
auch nervlich stabile Freunde suchen.“ Nicht so etwas wie der Freund, der jetzt
gestorben ist.
Das ist doch wohl nicht ihr Ernst, jetzt auch noch über meine
Freundschaften zu richten. Er war der beste Freund, den man haben und sich
vorstellen konnte. Und niemals im Leben hätte ich ihn allein gelassen, weil es
ihm schlecht geht. Das wäre dasjenige gewesen, das ich nicht hätte mit mir
vereinbaren können. Er war mein Anker, mein Fels in der Brandung und ich war
Seiner. Und wäre er noch hier, hätte ich ihn schon sieben Mal angerufen. Meinem
Ärger Luft gemacht. Irgendwann hätte ich wahrscheinlich auf der Wiese gesessen,
wir hätten Mondkind – Katastrophenhirn eingefangen und ich hätte einsehen
müssen, dass alles halb so schlimm ist, solange wir uns haben und immer noch
zusammen nachdenken können, wie man aus den Situationen raus kommt und uns
gegenseitig aus dem Matsch ziehen können.
Meine Oma merkt irgendwann auch, dass es keinen Sinn hat. Dass ich
nicht einlenke. „Mondkind, ich bin wirklich enttäuscht. Du bist uneinsichtig.
Das hätte ich nicht von Dir erwartet…“
Und jetzt sitzt eine Mondkind am Schreibtisch, die wütend ist. Aber
viel mehr als das, ist sie traurig, fühlt sich sehr allein und hat wahnsinnige Angst.
Vor allen Dingen Angst.
Wer sagt hier die Wahrheit? Wem kann man noch trauen? Und was ist,
wenn der Ast „Job“ von meinem Baum abbricht? Normalerweise gibt es da ja noch
andere Äste wie „Hobbies“, „Freunde“ und
„Familie“ – nur das es das bei mir eben nie gab. Der Ast „Job“ ist für mich
alles zugleich gewesen. Wenn der abfällt, bleibt nichts mehr. Und so sehr wie
ich mich auch über die Worte meiner Oma aufrege, habe ich doch auch Angst, dass
sie stimmen – die Frau muss immerhin Lebenserfahrung haben. Was ist, wenn die
wollen, dass ich da kündige? Was ist, wenn ich durch die Psychiatrie alles
verliere, das ich mühsam versucht habe aufzubauen? Was ist, wenn in ein paar
Wochen nichts mehr bleibt? Was ist, wenn ich allgemein nicht genug für diesen Job bin? Vielleicht hätte ich stärker sein müssen. Vielleicht
hätte ich das alles ohne mit der Wimper zu zucken aushalten müssen.
Und wo kann ich dann hin, wenn nichts mehr bleibt? Wer ist dann noch
bei mir? Wo doch die beiden wichtigsten Menschen, die mal hatten an meiner
Seite bleiben wollen, beide nicht mehr da sind. Ich habe schon Vieles alleine
schaffen müssen. Ehrlich gesagt das Meiste in meinem Leben. Insbesondere,
seitdem ich mich vor meinem Auszug vor Jahren auf die Hinterfüße gestellt habe.
Seitdem ist es ein Leben in einer Extremsituation. „Sie sind ja auch in einer
schwierigen Situation“, war der Lieblingssatz von Frau Therapeutin. Sie hat
gesagt, es wird irgendwann ruhiger werden. Wenn ich angekommen bin. Und jetzt…
- hängt dieses „Ankommen“ wieder mehr am seidenen Faden, als es die letzten
Monate hing.
Und was machen wir jetzt…? - durchhalten bis Montag. Therapeuten - Tee soll ja bei akuter Dekompensation ganz hilfreich sein. Aber bei den
Therapien ist diese Thematik auch nicht sehr gern gesehen… Es haben aber
bislang glaube ich auch die Wenigsten verstanden, was diesem Job und dem Ort in
der Ferne für eine persönliche und emotionale Bedeutung zukommt. Die
Tanztherapeutin war jedenfalls sehr erstaunt über meine Ausführungen.
Mondkind
Mir fehlen ehrlich gesagt die Worte bei den Aussagen deiner Oma. Es tut mir wirklich unfassbar leid, dass du in solch einem Haushalt groß werden musstest, wo Realitäten so verzerrt werden und bei diesem "was sollen nur die Nachbarn (bzw. hier Kollegen) denken"-Gerede kriege ich das blanke Kotzen - Entschuldigung für die Wortwahl.
AntwortenLöschenAber du kannst stolz auf dich sein, wie weit du dich schon von ihnen abnabeln konntest und bemerkt hast, wie toxisch diese Personen sind. Du hast so, so viel geschafft, auf das du stolz zurückblicken kannst und das, obwohl dir immer wieder solche Steine in den Weg gelegt wurden! Ich würde gerade am liebsten selbst gerne mit deiner Oma telefonieren und sie zusammen scheißen, so viel Müll am Stück kann doch gar nicht aus einem Mund fallen!! Unfassbar. Deine Wut ist sowas von berechtigt! Ich kann deine Sorgen über den Job auch gut nachvollziehen, hoffe aber, dass du irgendwie ein bisschen mehr "wird schon gut gehen"-Gedanken lernen kannst... Du bist nämlich eine super engagierte Mitarbeiterin, von dem was ich hier so lese!
Ich denke ganz oft an dich und deinen Blog hier und bitte, wenn du das Bedürfnis hast zu schreiben, tu es! Auch wenn ich aktuell nicht schaffe, alles zu lesen, bin ich trotzdem immer froh ein Lebenszeichen von dir zu sehen! Außerdem hilft es ja vor allem dir, deine Gedanken zu ordnen.
Ich sende dir liebste Grüße und weiterhin Kraft!
Hey,
Löschendanke für das liebe Kommentar.
"Wird schon gut werden"... - das ist tatsächlich kein so sehr mir vertrauter Gedanke. Eine Kollegin versucht gerade wirklich mir ein bisschen Mut zu machen, dass es schon alles gut gehen wird, aber im Moment bin ich echt die Panik in der Person. Ich kann das halt überhaupt nicht einschätzen, was in deren Augen eine engagierte Mitarbeiterin ist und wie hoch die jetzt diesen Ausfall hängen werden.
Ich bin im Moment echt froh, dass ich noch hier in der Klinik bin und man solche Gespräche nachbesprechen kann. Da muss ich echt noch lernen mit solchen Dingen umzugehen, wenn ich wieder alleine bin. Es fällt halt schwer der eigenen Familie weniger Glauben zu schenken, als den Aussagen der Kollegen, bzw. vertrauen Menschen in der Ferne. Ich bin mir sicher, dass so etwas mich da alleine komplett raus gehauen hätte - mittlerweile hat es da mit der Pflege schon zwei Gespräche drüber gegeben... (am Wochenende haben die schon mehr Zeit und mehr Augen dafür, wenn es einem schlecht geht, weil die Station generell recht leer ist...)
Ja Du hast Recht, der Blog ist natürlich in erster Linie für mich - deshalb nutze ich ihn im Moment auch so exzessiv; trotzdem möchte ich natürlich auch irgendwo versuchen ein zusammenhängendes Bild zu vermitteln und da muss man schon auch gelegentlich etwas filtern und sich bemühen mal nicht jede Grübelschleife zu verschriftlichen.
Ich bin gespannt, wie alles was hier seit Donnerstag passiert ist, dann in der nächsten Woche aufgefasst wird. Es stehen einige Gespräche an - das bleibt mal spannend...
Mondkind