Psychiatrie #32 Wochenstart


Hey,

weißt Du, was ich letztens gefunden habe… ? Ein neues Konzert von Revolverheld. In Coronazeiten. Mit Sicherheitsabständen. Alles irgendwie anders, aber doch das, was wir eigentlich zusammen erleben wollten. Darin auch eine neue Version von „Liebe auf Distanz…“ Jede Live – Version klingt ein bisschen anders. Auch, wenn es immer wieder dieselben Stellen im Lied sind, die einmal kurz das Herz umarmen und es kurz darauf zerreißen. Aber mit jeder Version doch ein bisschen von vorne.
Vor rund zwei Wochen ist das Konzert gewesen. Und mit einem Mal wird mir klar: Das ist etwas, das Du definitiv nicht mehr miterlebt hast. Nicht mehr miterleben wirst. Die Welt dreht sich irgendwie weiter. Neue Ereignisse. Neue Erfahrungen. Ohne Dich. Und irgendwie habe ich Angst, dass Du zu sehr und zu schnell in dieser schnelllebigen Welt verblasst.
Ich verspreche Dir, ich trage Dich noch ein Stück mit mir, okay? So lange, wie ich eben kann.

***
Neue Therapiewoche. Endlich Montag. Nach diesem katastrophalen Wochenende.
Eine der wenigen Wochen, in denen es noch Rückhalt gibt. Sei es von Mitpatienten, oder von Therapeuten. Wochen, in denen ich hier mit dem ganzen Mist nicht alleine bin.

Früh morgens Sporttherapie. Ein bisschen Stress. Mit zwei erfahrenen Handballspielern und mir, die sich nicht gerade als sportliches Ass betiteln würde. Läuft aber irgendwie ganz gut. Wir haben Handtrampolin gespielt. Habe ich zum ersten Mal gesehen und gemacht, aber war echt ganz nett.

Danach schnell duschen und zum metakognitiven Training. Ein bisschen was über Denkverzerrung aufgefrischt. Dann ein paar organisatorische Dinge erledigen, von denen nichts richtig geklappt hat. Die Krankenkasse hat den Kram an die falsche Adresse geschickt, die Hausarztpraxis kann den verbleibenden Tag nicht krankschreiben – oder wenn dann nur nach Gespräch mit der Ärztin, die gerade im Urlaub ist. Überhaupt fanden die den Plan direkt nach der Klinik wieder arbeiten zu gehen, sehr merkwürdig… - ist er das… ? Ich finde das irgendwie normal…(Ob man wohl morgen in der Oberarztvisite die Entlassplanung nochmal ansprechen sollte, bevor man alles in trockene Tücher packt... - oder ob das wieder die berühmt - berüchtigten Nesseln birgt...?)
Im Anschluss die Hausaufgaben für die Einzelstunde fertig formatieren, dann Schema – Gruppe und dann Einzeltherapie. Der Tag ist voll. Ziemlich voll. 

Immer ein Moment von Aufregung und Herzrasen. Warten auf die Einzelstunde...


Einzelstunde.
Herr Therapeut greift die beiden aktuellen Themen auf. Dienstplan und Familientelefonat. Er kann keine Fragen beantworten. Weiß auch nicht, wer was wohl wie gemeint hat. Wem in der aktuellen Situation mehr zu trauen ist. Aber er kann mittragen. Ein bisschen Empathie für eine Mondkind. Es ist merkwürdig, dass nur noch er übrig bleibt. Aktuell. Als realer Gesprächspartner über die Probleme. Die ich sonst mit dem Freund hoch und runter diskutieren konnte.
Herr Therapeut sagt, er sei froh über ein bisschen Wut. Ich weiß nicht Herr Therapeut… ein rebellisches Kind ist schwer auszuhalten.

Während er findet, dass ich aktiver wirke, komme ich mir zwischendurch vor, wie ein scheues Reh. Er springt durch die Themen, kramt alles aus den Ecken. Wir reden kurz über die Familie. Darüber, wie zerstreut die Wohnorte sind. Dass in jedem Landesteil wer wohnt. Jedes Familienmitglied hunderte Kilometer weg ist. Quasi für mich unerreichbar, ohne Auto. Und seitdem wir uns mehr der „kleinen Mondkind“ widmen, krakeelt die auch überall dazwischen. „Sag mal Mondkind, würdest Du das bitte nicht locker flockig mit dem Therapeuten besprechen? Und würdet Ihr bitte nicht beide darüber schmunzeln… Das ist überhaupt nicht lustig.“ Und plötzlich fühle ich mich so alleine, dass ich mich sehr bemühen muss, nicht zu weinen. Auf einmal  wird wieder so klar, wie alleine ich bin, wenn die schützenden Mauern der Klinik bald weg brechen. Und wie wenig ich einen Plan davon habe, wie das gehen soll.
Und wie sehr die Klinik gerade das Leben rettet, darauf kommen wir auch noch zu sprechen. Und auf die Frage, wie lange das wohl in der Ferne klappt. Ohne dass Herr Therapeut es sieht, kämpft es schon wieder in meinem Kopf. Das Kind, das rebelliert. Nach wie vor sagt, dass es das nicht lange aushalten kann in der Ferne. Neben mir sitzt und mir ins Ohr flüstert: „Mondkind hau raus. Sei ein Mal ehrlich. Und rette uns einfach, okay?“ Und dann springen mich Kritiker und Forderer von der anderen Seite an. „Mondkind, Du willst die doch nicht etwa dazu zwingen, Dich zurück auf die geschützte Station zu verlegen, weil man Dich mit diesen Aussagen nicht entlassen kann, oder? Du gehst zurück in die Ferne – definitiv. Und Du musst es bis ganz zum Ende versuchen. Vorher aufzugeben, weil da so ein Zwerg rebelliert – das kannst Du knicken…“ Und dann gibt es auch noch irgendeinen anderen Anteil, der dazwischen mal einwirft: „Sag mal Mondkind, weißt Du wie beschissen die Situation für die Behandler ist… Du musst Dich da schon klar positionieren?“
Ich drücke mich am Ende ein bisschen vage aus. Glaube ich. Weiß ich nicht mehr genau, ehrlich gesagt. Ich möchte niemanden auf den Schlips treten, ich möchte mich selbst nicht in die Situation bringen, mich in der Luft zerreißen zu müssen, aber irgendwie und ganz eventuell möchte ich das doch überleben.
Im Prinzip wird mir in dem Moment die Hilflosigkeit bewusst. Wenn man mich einfach so fragen würde, würde ich gern sagen: „Ja ich möchte zurück. Und ja, ich möchte Ärztin sein. Ich möchte wieder Menschen helfen, über die Flure fegen, etwas Sinnvolles tun, wieder Teil dieses Teams sein dürfen…“ Ob das wirklich so viel gesunde Erwachsene, oder mehr Schönreden von acht Jahren Medizin ist, weiß ich nicht. Wenn man die „kleine Mondkind“ fragt, dann hört man: „Mondkind, das kannst Du absolut knicken. Ich werde das nicht mit Dir machen… Definitiv nicht. Und wenn Du das versuchst, kennst Du die Konsequenzen.“

Und dann stehe ich dazwischen. Soll zwei Welten in einer Person vereinen, die sich gegenseitig ausschließen. Soll Kinder schützen, die ich nicht schützen kann. Soll vernünftige Entscheidungen treffen, obwohl das so gut wie unmöglich ist. (Herr Therapeut appelliert da natürlich an mich selbst. Proaktives Handeln, nennt Herr Therapeut das...).

Als ich nach dem Gespräch wieder auf der Station sitze, spüre ich das Zittern in mir. Und ich spüre etwas, das ich lange nicht so intensiv gespürt habe: Angst. Ich weiß nicht mal genau wovor. Vielleicht hauptsächlich vor mir selbst. Weil ich so überfordert bin. Weil ehrlich zu sein so schwer sein kann, wenn daran ein ganzes Leben hängt.
Nu ja… - ich befürchte (und hoffe…) es wird nicht das letzte Gespräch darüber gewesen sein...

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen