Psychiatrie #39 Ein Brief für Dich...


Hey Du,
ich wollte Dich fragen, wie es Dir geht? Fragen, ob Du gut aufgehoben bist, wo immer Du auch bist? Fragen, ob Du den Sommer siehst? Ob Du ihn fühlst? Ob es Dir zu warm ist – wie jedes Jahr.
Und wenn Du hier wärst, dann würde ich gern fragen, ob Du mit mir eine Runde durch den Wald drehst. Ich kann nur ganz langsam gehen. Aber wenigstens überhaupt mal raus. Irgendwie. Und reden kann ich eigentlich auch nicht. Aber vielleicht erzählst Du von Deiner Woche… ?

Langsam fängt der Sommer für mich übrigens auch an, weh zu tun. So richtig. Weil klar wird, wie viel hier verkehrt läuft. Ich verpasse meinen ersten Sommer in der Ferne. Für etwas, für das es sich lohnt? Und weißt Du, ein Teil meiner Familie ist so nah hier. Ich würde so gern sagen: „Mum ich komme mal kurz, vorbei am Sonntag. Ich bring auch Kuchen mit – kannst Du dann Kaffee kochen, wenn ich komme? Und vielleicht können wir ja die Schwester fragen. Vielleicht mag die ja mal am Wochenende vorbei kommen? (Obwohl das bei der Hitze und den Meerschweinchen unmöglich ist, hunderte Kilometer zu fahren und sich das auch nicht wirklich lohnen würde…)
Aber weißt Du… - das Gespräch würde sich wahrscheinlich sowieso nur um den Job und den Ort in der Ferne drehen und, dass ich da nicht mehr hinsoll. Und außerdem könnte man darauf warten, dass Dad heraus bekommt, was Sache ist und wieder eine Ansprache hält. Schon schlimm genug, dass ich ihm gesagt habe, dass ich erwäge die Nacht nach der Entlassung bei Mum zu übernachten, bevor ich dann am nächsten Morgen in Richtung Ferne aufbreche.
Und wahrscheinlich würde das auch einfach alles zu sehr wehtun. Ich vermisse das so, so sehr. Einfach mal sonntags zusammen zu sitzen. Ein bisschen Familie.

Ich weiß, wir hätten uns verstanden. Du und ich. Deine Familiensituation war genauso beschissen. Genauso verstreut. Wir mussten uns nichts erzählen. Wir wussten, was der andere fühlt. Wir konnten uns still den Arm nehmen. Ohne Worte. Und einfach Dasein. Mittragen. Mitfühlen.

Weißt Du… - seitdem Du nicht mehr da bist, ist das Leben ein Hurrikan geworden. Dinge die monate- bis jahrelang stabil standen, sind einfach eingebrochen. Menschen, von denen ich das nicht erwartet habe, haben unglaublich verletzt. Wir haben beispielsweise so viele Stunden damit verbracht, über die potentielle Bezugsperson zu sinnieren. Haben so viele der Ambivalenzen auseinander genommen. Haben so vieles nicht verstanden.
Ich versuche seit Tagen eine Mail zu schreiben. Irgendeine sinnvolle Antwort. Die wertschätzend ist und gleichzeitig zu verstehen gibt, dass es weh getan hat. Ich weiß, dass Du mit einigen Dingen, von denen die Person geschrieben hat, auch Erfahrung hattest. Wir hätten das irgendwie zusammen machen können. Du hättest gegenlesen können. Ob man das so durch die Gegend schicken kann.

Weißt Du was… - ich frage mich manchmal, was passiert wäre, hätten wir einfach mal gemacht. Hätten wir – und insbesondere ich – sich nicht so viele Gedanken gemacht. Das war doch eine super Idee. Dass Du erstmal zu mir ziehst. Wir wären beide nicht mehr allein gewesen. Wir hätten beide das gehabt, das wir am meisten gebraucht hätten. Nur ich Esel habe gefürchtet, dass Du das dann sofort wieder als Beziehung interpretierst und ich das nicht kann. Ich glaube übrigens das ist das, was mir mit am meisten leid tut. Dass wir das einfach nicht versuchen konnten. Dass ich uns beide womöglich um viele gute Momente gebracht habe. 



Ich frage mich manchmal, was ich in diese Freundschaft gegeben habe. Und, ob es genug war. Wir haben uns beide gegenseitig zugehört, waren immer füreinander da und Du warst der Erste, für den ich freie Zeit geschaufelt habe, auch wenn ich eigentlich keine hatte. Aber habe ich Dir oft genug gesagt, wie wichtig Du für mich bist? Ich weiß, dass Du es oft gesagt hast. Dass ich die wichtigste Person in Deinem Leben sei. Wenn ich recht darüber nachdenke, hat es mich erstaunlich überfordert. Ich weiß nicht, ob ich dazu jemals irgendetwas Sinnvolles gesagt habe. Weil ich es auch nicht glauben konnte. Was konnte ich Dir schon geben? Ich konnte doch nur ich selbst sein. Und mit dem ganzen Medizinkram konntest Du doch wenig anfangen – auch wenn ich natürlich wenn es mal eine medizinische Frage gab, geholfen habe, wo ich konnte.

Und weißt Du was… - ganz genau jetzt bräuchte ich Dich hier. Ganz nah neben mir. Und eine kleine Motivationsrede hinsichtlich der Klinik. Die bräuchte ich auch. Du fandest das immer sinnvoll. Konntest mich immer aufbauen, wenn ich gerade den Klinikkoller hatte. Und den habe ich gerade ganz gewaltig.
Weißt Du, was eigentlich für dieses Wochenende geplant war…? - ich wollte an den Fluss. Nur irgendwie… - reicht dafür die Kraft gerade so gar nicht. Und außerdem… - hätte ich das doch so gern mit Dir gemacht.

Ich wollte eigentlich auch Deine Mum mal etwas fragen. Seit über einer Woche schon. Nämlich, wo Du jetzt eigentlich bist? Und wo ich Dich besuchen kann? Meinst Du, das ist zu indiskret? Aber ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich zurück fahre, Du irgendwo hier in der Nähe Deine letzte Ruhe gefunden hast und ich nicht da war. Und wenn ich komme, dann bringe ich eine Blume mit, okay? Und die Briefe… - die lasse ich dann bei Dir, okay?

Du glaubst nicht, wie sehr Du hier fehlst. Und, wie sehr ich darum kämpfe, nicht den gleichen Weg gehen zu müssen, den Du gegangen bist. Auch, wenn es ein ziemlich stiller Kampf geworden ist.

Ganz viel Liebe
Mondkind



P.S. 
Sorry Leute... - ich weiß, dass das im Moment alles viel zu viel ist, um es alles zu lesen. Und auch alles viel zu traurig ist. Aber es muss irgendwo hin, wenn ich schon nicht reden kann. Und im Moment auch nicht mehr will. Auch, weil ich einfach das Gefühl habe, dass die ganzen Verluste erstmal verarbeitet werden müssen und die wenigsten Menschen verstehen, was ich hier gerade mache. Das ist okay - wer es nicht erlebt hat, kann das vielleicht nicht so nachvollziehen. Und jeder Mensch erlebt seine eigene Lebensgeschichte aus der eigenen Perspektive.
Also Ihr müsst das alles nicht lesen. Ich glaube, der Blog ist einigen Menschen in letzter Zeit zu viel geworden. Das ist okay. Ihr könnt ja irgendwann wieder kommen, wenn die Zeiten wieder ruhiger werden. Es ist eben nur "mein" Raum. Und den brauche ich gerade einfach sehr. Aber wenn Euch das zu sehr mitnimmt... - tut es Euch nicht an.


Bildquelle: Pixabay

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