Psychiatrie #28 Von Dankbarkeit und Themenverteilung


Musiktherapie
Der Therapeut sitzt am Klavier, ich bin nur mit einem Mitpatienten da. Während die Klavierklänge durch den Raum dringen, spüre ich den Gefühlen und Gedanken nach. Und dann… - werde im Geiste aus Gefühlen Worte. Bis eben wusste ich nicht, was ich aus dem Salat in meinem Kopf heute schreiben möchte. Während der Therapie hat es sich geformt.

Schwebezustand.
Zwischen Stillstand und Losgehen. Zwischen Halten und Verlieren. Zwischen Hoffnung, der Möglichkeit von Chancen und der ewigen Dunkelheit. Zwischen dem Gestern und dem Morgen. Ein ganz kleines bisschen „vielleicht“. Eine Fackel, die wir ganz vorsichtig wieder anzünden.
Balancieren auf dem Bergkamm im Wind. Festhalten von positiven Momenten, obwohl ein falscher Schritt uns ins Fallen bringen würde. Hoffen, dass es hält. Dass wir uns halten.
Irgendwie spüre ich seit dieser Woche sehr, sehr viel Bemühen um mich; die Behandler haben ihr Konzept offensichtlich auch ein bisschen geändert. Es fällt schwer, dem zu vertrauen. Aber ich gebe mir Mühe.

***

Dienstagabend.
Wir sitzen auf der Dachterrasse. Ich sitze auf der Bank; links und rechts von mir eine Mitpatientin. Hinter den Häusern geht die Sonne unter, wir quatschen ein bisschen. Gerade hatten wir noch Entspannungstherapie, deshalb bin sogar ich mal ein bisschen herunter gefahren. Und für einen Moment ist es wirklich okay. Ein ganz kleiner Zipfel Leben. Vergisst man mal kurzzeitig, dass wir in einem Krankenhaus sitzen und uns eigentlich alle nicht besonders gut kennen, ist das ein gemütliches Beieinander sitzen. Irgendwann sagt wer etwas, das mich zum Lachen bringt. Und zum ersten Mal seit langem spüre ich: Das ist ein echtes Lachen. (Auf dem Fuß folgt das schlechte Gewissen, aber das beachten wir jetzt mal nicht…)

Mittwoch.
Zuerst die Skillsgruppe, danach kurze (lange) Sitzung bei Herrn Therapeuten.
Wir reflektieren ein bisschen die Imaginationsübung vom letzten Mal. Ich erzähle, dass es auf der einen Seite schwer auszuhalten ist, diese Unterstützung zu spüren und anzunehmen, weil ich auch weiß, dass das nicht bleibt. Und, dass es auf der anderen Seite so wunderschön ist, dass Mondkind – Kind nun gesehen wird – insbesondere nach diesen letzten Gedanken vor der Katastrophe, wo sie sich das ja genau das gewünscht hat.
Es gibt Hausaufgaben. Ich soll jeden Tag fünf Minuten darauf lauschen, was Mondkind – Kind zu vermelden hat, das aufschreiben und das nächste Mal mitbringen. Damit wir nicht nur wissen, was Mondkind – Kind fühlt, sondern auch was sie braucht. Allein die Ansage dieser Hausaufgaben lässt mir schon wieder die Tränen in die Augen steigen. „Ich sehe da gerade meine Chance“, sagt Herr Therapeut sofort. „Wie geht es Dir damit…?“ Da hat er das Kind wieder eingefangen und mich schon wieder zum Weinen gebracht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das Kind so nette Dinge zu sagen hat – also so höflich wie ich, ist es glaube ich nicht. Das werden wir sehen. „Wer würde es ihm verübeln…?“, sagt Herr Therapeut.
Ob er noch irgendetwas für mich tun kann, will er am Ende der Stunde wissen. Ich bin mir da nicht so sicher. Aktuell setzen sich die Suizidgedanken jeden Tag ein bisschen mehr zwischen meinen Hirnwindungen fest. Nicht so total akut. Aber so mit: „Sag mal Mondkind, also das jetzt zu machen, wäre echt unklug. In der Ferne liegt alles bereit, hier nicht. Außerdem wirst Du hier kaum ungestört sein. Und immerhin ist die Schwere gerade da, aber es ist auch noch nicht unaushaltbar. Aber ich sag Dir was – ich geb Dir in der Ferne zwei Wochen. Oder drei. Das kommt ja schon darauf an, ob der „erste Dienst“ für Anfang September bestehen bleibt, oder nicht.“ Das stresst mich natürlich extrem. Es jetzt zu sagen wäre vielleicht auch noch besser, als das zwei Tage vor der Entlassung zu tun. Aber das würde deren Bemühen hier echt torpedieren und ich möchte mir Mühe geben mich darauf einzulassen und die Therapiestunden wirklich nutzen. Und das tun wir natürlich nicht, wenn wir uns mit einem Nebengeschäft aufhalten, das sich von alleine bessern soll.  Aber ich kenne mich eben auch selbst. Weiß, dass mich dieses Thema monatelang gestresst hast, so manches Mal fast die Sicherungen durchgeknallt sind und dieser Zustand in den Wochen davor, wo es keine Rettung aus der Situation zu geben schien, absolut furchtbar war. Ich möchte das echt nicht mehr erleben, kann aber auch nicht glauben, dass das in einem Monat signifikant besser sein soll. Das ist einfach so ein Misstrauen, das sich natürlich auch aus jahrelanger Erfahrung mit dem Thema erklärt.
Jedenfalls sage ich erstmal nichts und warte ab, wie es mir die nächsten Tage geht. Ist ein bisschen gefährlich, weil wir uns erst nächste Woche regulär das nächste Mal sehen, aber immerhin – es gibt Anker. Und die liegen auch nicht in Zwei- oder Dreimonatsabständen, wie vor der Klinik. Das ist hier echt Luxus gerade, das muss ich mir auch immer wieder klar machen. 

Bild aus dem letzten Jahr, aber dieses Jahr sieht es hier nicht anders aus...

Musiktherapie am Nachmittag.
Neben der Schwere ist da irgendetwas anderes. Und als ich mich lange genug darauf konzentriert habe, spüre ich… - Dankbarkeit. Für so viele Menschen, so viele Dinge, die geschehen sind und… mir selbst gegenüber.
Es war noch auf der geschützten Station, als der Seelsorger mir erklärt hat, dass ich vielleicht versuchen kann, nicht nur die Trauer, das Entsetzen und die Schuld zu sehen, in die mich der Tod des Freundes gestürzt hat. Sondern, dass da vielleicht auch irgendwann etwas wie Dankbarkeit aus der Situation entsteht. Und das kann auch nebeneinander existieren, wie Herr Musiktherapeut mir später bestätigen wird. Es kann eine dramatische Situation sein und das wird sie immer bleiben. Aber wenn es schon so ist – dann darf man auch die guten Dinge sehen, die das mit sich bringt.
Und gerade… - bin ich so vielen Menschen, die mich unterstützen, dankbar und auf deren Schultern ich mittlerweile die Themen verteilt habe. Nicht jeder mag jedes Thema und nicht bei jedem ist man mit jedem Thema richtig aufgehoben – aber es jongliert sich ganz gut.

Herr Therapeut gräbt mit mir die „kleine Mondkind“ aus. Und mal ernsthaft… - dass er das mit mir nach dem Jahr, das wir uns mittlerweile kennen noch macht und immer noch nicht aufgegeben hat, obwohl ich das zwischenzeitlich längst getan habe, berührt mich unglaublich. Dass er mich all die Monate über versucht hat, hierher zu holen, auf seinem Heimweg mit mir telefoniert hat, mich zur Notaufnahme gebracht hat und das einfach alles mit mir zusammen ausgehalten hat, soweit er konnte. Und wie immer ich auch auf diese Station hier kam und ob da irgendwer irgendwo ein gutes Wort für mich eingelegt hat – das weiß ich nicht und werde es vielleicht auch nie wissen. Aber das ist eine Chance, die nicht viele Menschen hier bekommen – einfach aufgrund der Bettenkapazitäten. Und für mich ist es nochmal wertvoller, weil das die einzige Chance war, mit Herrn Therapeuten weiter zu arbeiten. Und ohne diese Vertrauensbasis, die ja schon auf einem Jahr beruht, könnten wir auch nicht mal in ein paar Wochen das Kind ausgraben.
Mit dem Seelsorger geht es mit der Trauerarbeit voran. Wir telefonieren ungefähr ein Mal die Woche, er hat immer gute Ideen und ich versuche das umzusetzen. Das ist nicht so ganz der Schwerpunkt des Teams hier in der Klinik, für mich aber trotzdem ein wichtiger Aspekt. Und auch er müsste das nicht machen – aber er geht gerade an meiner Seite durch diese schwierige Zeit.
Die Jobsituation bespricht man am Besten mit Jemanden, der von ärztlicher Seite in dem System arbeitet, viele Krankenhäuser kennt, auch schon mal vorgeschlagen hatte, mir Empfehlungen geben zu können, wenn ich noch welche brauche. Und mit Jemandem, der die Geschichte mit dem Ort in der Ferne von der Pike auf kennt. Und wer ist da besser geeignet, als der sehr geschätzte Herr Psychiater? Der sitzt seit heute mit im Boot und hat vorgeschlagen, dass wir uns nächsten Donnerstag zusammensetzen können. Super lieb und auch nicht mehr Teil seines Jobs – ich hoffe nur, da setzt mir niemand mehr einen Zusatztermin dazwischen. Ich freue mich sehr darauf, mit ihm sprechen zu können.
Und dann gibt es da noch „meinen“ Oberarzt. Der zwar keine Bezugsperson sein kann, aber immer wieder beruhigen kann. „Mondkind, ich weiß nicht, wie oft ich Dir schon gesagt habe, dass Du Dir um Deine Stelle keine Sorgen machen zu brauchst…“ Ja, Herr Oberarzt. Ich habe es noch nicht ganz verinnerlicht. Aber ich bin dabei...

Und während ich da so dem Klavier lausche, spüre ich ein Gefühl der Wärme aufsteigen. Wenn ich nur an das Heute denke, dann bin ich sicher. So sicher, wie seit Monaten nicht mehr. Und dann ist es fast so, als würde die ganze Situation mich einmal in den Arm nehmen. Und sagen: „Hey Mondkind, wir passen alle auf Dich auf. Aber lass das auch mal zu…“
Und jetzt, wo ich nicht mehr kopflos versuche bei Jedem im System meine Themen unter zu bringen, habe ich das Gefühl: Wir sind auf einem Weg. Das heißt nicht, dass der am Ende irgendwo hin führt. Aber ich befreie mich aus dem Stillstand, aus der Lähmung.

Und deshalb schließen wir heute mal mit: Danke an das Helfersystem. Das gerade eben jetzt einfach unfassbar gut funktioniert.

Mondkind

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