Psychiatrie #52 Mal wieder ein Brief
Und als einer von Millionen
Steh ich hier und schau nach oben
Frag mich wo du gerade bist
Und wie es da wohl ist
Und als einer von Millionen
Der an Erinnerungen hängt
Fühl ich, dass du gerade hier bist
In diesem Moment
(Roger Cicero – in diesem Moment)
Hey mein lieber Freund,
na, wie geht es Dir? Und was machst Du so… ? Gern hätte ich an dieser
Stelle eine Antwort. Gern würde ich hören, wie es mit der Organisation in den
Selbsthilfegruppen, in denen Du tätig warst, läuft. Leben die überhaupt schon
langsam wieder auf? Oder funktionieren die Online – Angebote, an denen Du
beteiligt warst? Gern würde ich etwas zum Thema Umzug hören. Oder zum Thema
Jobsuche.
Ich für meinen Teil war eben eine Runde im Wald spazieren. Gerade muss
ich mich ziemlich dazu zwingen, weil mir einfach die Kraft fehlt. Du kannst das
leider nicht mehr mit mir zusammen machen, aber während ich so lief habe ich
darüber nachgedacht, was ich gern erzählen würde und was Du wohl dazu sagen
würdest. Und aus diesem inneren Dialog ist am Ende gedanklich ein Brief
entstanden, den ich nun schreibe.
Mittlerweile ist übrigens der Herbst im Anmarsch. Zwar haben die
Blätter noch keine Herbstfarben angenommen, aber man zieht schon mal lieber
wieder eine leichte Jacke drüber. (Okay, Du wärst wahrscheinlich immer noch im
T – shirt unterwegs…)
Das Leben ist komisch ohne Dich. Und während bei uns beiden in den
Monaten vor Deinem Tod sich zwar auch innerhalb eines bekannten Rahmens laufend
alles geändert hat – wie meine Rotationen über die Stationen der Neuro – ist im
Moment Vieles im Umbruch.
Ich habe nochmal mit Deiner Mum geschrieben. Sie hat ein paar rührende
Zeilen geschrieben. Ein bisschen glaubt sie wohl tatsächlich, dass Du in mir
weiter lebst. Wir haben uns vorgenommen, dass wir uns mal treffen. Ich habe ja
immer noch kein Auto. Und… - nimm es mir nicht übel, aber mittlerweile bin ich
nicht mehr so böse, dass ich Dir Dein Auto nicht abgenommen habe. Das wäre im
Moment wohl zu schwierig für mich. Jedenfalls dauert es mit öffentlichen
Verkehrsmitteln über vier Stunden, um zu Euch beiden zu fahren. Es sind ja auch nochmal
knapp 250 Kilometer vom Ort in der Ferne aus. Ich glaube, dann muss ich daraus
einen Wochenendtrip machen und in einem Hotel schlafen. Und dann muss Deine Mum
mir den Ort zeigen, in dem Du geboren wurdest, aufgewachsen bist und in dem Du
nun begraben liegst. Schon komisch, dass wir nie da waren, während Du noch
gelebt hast. Aber bis vor ein paar Wochen hat ja auch jeder aus Deiner Familie -
inkusive Dir - weit entfernt von diesem Ort gewohnt.
Ich versuche schnellstmöglich die Kraft dafür zu finden, wenn ich
zurück bin.Versprochen.
Die potentielle Bezugsperson hat geschrieben. Mittlerweile die dritte
Mail, in der sie sich Bewertungen und Verurteilungen weit jenseits eines
vertretbaren Rahmens geleistet hat. Ich habe mal mein Hasenherz zusammengefasst
und ihm zurück geschrieben. Dass man Kritik auf mehrere Arten äußern kann und
dass seine definitiv abwertend bei mir ankommt. Und auch, dass ich mir
überlegen muss, ob das der richtige Ort und ob das die richtigen Menschen für
mich sind, wenn mein Bild dort offenbar mittlerweile so negativ ist und in mir
nur ein hochmanipulatives, egoistisches Wesen gesehen wird. Ich hätte Dir die
Mail - die schon beim Schreiben weh getan hat - gern gezeigt, bevor ich sie abgeschickt habe und wie ich Dich kenne,
hättest Du sie gefeiert für das kleine bisschen Mut mich auf die Hinterfüße zu
stellen, das sie enthält. Und bestimmt hättest Du dann wieder hinzugefügt, dass
dort nicht der richtige Ort für mich ist und ich doch zurückkommen soll.
Oh… - und gestern wäre bei uns fast Jemand über das Geländer gehüpft,
was die komplette Station ein bisschen in Aufruhr versetzt hat. Nachdem das
dann also unter Mitpatienten und im Gruppengespräch mit der Pflege ausreichend
lange Thema war und wir aufgefordert wurden uns zu melden, wenn das Thema zu
viel Druck macht, war ich dann auch mal da.
Interessant fand ich übrigens die Aussage, dass man versucht
Verlegungen auf die geschützte Station zu vermeiden. Das Gefühl hatte ich ja
nun letztes Jahr nicht, weshalb ich da vorsichtig geworden bin, aber nun denn.
Jedenfalls habe ich mal angemerkt, dass das Thema mich ja nun auch
ständig begleitet – das erste Mal präsent war, als ich gerade mal elf Jahre alt
war. Und damals wusste ich noch nicht mal, was das sein soll, dass das einen
Namen hat und Symptom einer Krankheit sein kann. Auch habe ich es damals geheim
gehalten und wollte sicher niemanden instrumentalisieren, so wie mir das heute
gern unterstellt wird. Und… - eigentlich hätte ich ja – wenn das mit Dir nicht
passiert wäre – heute gar nicht mehr hier sein sollen. Aber nachdem das mit Dir
passiert ist… - weiß ich einfach nicht, wie realistisch die Einschätzung ist,
im Leben der Anderen keine Rolle zu spielen. Du hättest mich ganz sicher sehr
vermisst, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Und dann habe ich auch erwähnt,
dass ich einfach keine Ahnung habe, wie das werden soll, wenn ich nächste Woche
wieder auf meinem blauen Sofa in der Ferne sitze, es keinen nennenswerten
Therapieerfolg gegeben hat (außer, dass ich das geplante Ende erstmal überlebt
habe), die Arbeitssituation mindestens genauso überfordernd bleibt und ich dann
auch noch alles ohne Dich lösen muss. Und – dass mir das Thema eigentlich mehr zu
Liebe der anderen – gar nicht mehr so egal ist, wie es mal war. Ich habe wieder Angst davor. Für mich lebe
ich sicher (noch) nicht, aber ich möchte auch nicht, dass Jemand so leidet, wie
ich aktuell.
Ich hoffe, das ist angekommen. Und wird nochmal aufgegriffen im Lauf
der Woche.
Aber ich bin mir sehr sicher… - würde ich Dir das erzählen, wärst Du
auch stolz auf mich.
Der Stationsarzt von letzter Woche war übrigens sehr nett und hat mich
dazu aufgefordert über das Wochenende nochmal an Situationen zu denken, die
richtig schön waren. Und nachzuspüren, was das für ein Gefühl ist. Und weißt
Du, was ich gern noch ein einziges Mal erleben würde… ? Uns beide auf einem
Bahnhof in einem Ort in der Mitte zwischen hier und der Ferne. Wie ich aus dem
Zug purzle, wie Du mir mit dem Rucksack über der Schulter und einem Kaffee in
der Hand schnellen Schrittes entgegen läufst und wie dann erstmal eine Umarmung
fällig wird und wir uns fühlen wie so ein Paar, das sich monatelang nicht
gesehen hat. Okay, letzteres stimmte meist… Allein für diese Momente haben sich
diese Touren gelohnt. Ich glaube, so etwas nennt man Glück. Und wie wir dann
den ganzen Tag einfach nur spazieren gehen, zwischendurch im Café sitzen und
reden konnten und uns am Ende des Tages gefühlt immer noch nicht alles erzählt
hatten.
Weißt Du… - das habe ich ja schon mal irgendwo gesagt: Wenn Dein Tod
etwas lehren kann, dann ist es wohl, dass man immer Zeit finden sollte für die
Menschen, denen man einen Teil des Herzens abgegeben hat. Wie oft haben wir
darüber geredet, dass wir das nochmal machen sollten. Mit dem Treffen in einer
Stadt zwischen uns, die Szene mit dem Bahnhof, das Bummeln durch eine Stadt, zu
der die einzige Verbindung von uns beiden war, dass sie für beide Seiten gut
erreichbar war. Und jetzt wird diese Stadt immer für uns beide stehen. Ein Leben lang.
Ich vermisse Dich unendlich doll. Und diese Sehnsucht, dass Du einfach
noch ein einziges Mal hier bist und ich Dir nochmal ein paar Dinge sagen kann,
die Du mit ins Grab nehmen solltest, wird jeden Tag größer. Damit kann ich wirklich nicht gut umgehen.
Ich bin gespannt, wie die nächste Woche wird. Ob es mir endlich mal
wieder etwas besser geht, was für eine Entscheidung hinsichtlich meines
Verbleibens in der Klinik getroffen wird und wie die potentielle Bezugsperson
im Weiteren so mit mir umspringt und ob wir vielleicht kurz davor sind, schon
wieder ein Kapitel zu schließen, wenn wir jetzt nicht die Kurve kriegen.
Ganz viel Liebe
Mondkind
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