Psychiatrie #24 Dachterrassen - Talk
Ihr Lieben… - heute mal ein paar Worte zu verschiedenen Themen und
Eindrücken, die mich bewegen. Ist nicht super spannend. Und vor allen Dingen lang. Wer mag, schnappt
sich jetzt einen Kaffee oder einen Tee und liest sich ein bisschen durch meinen
Kopf.
Eine Bitte - können wir uns bitte alle morgen zum Blogpost lesen (bzw. für mich
schreiben) mit einem Tee an die Heizung setzen…? Und alle zusammen ein Mal kurz
– für Euch unbekannterweise – an den Freund denken und an alle anderen
Menschen, die Opfer dieser wahnsinnigen Verzweiflung geworden sind, dass sie
nur noch den Weg gesehen haben, sich selbst vom Erdball zu nehmen?
***
Wochenende. Die Station ist beinahe verwaist.
Ich habe mir einen Kaffee geholt und mich auf die Dachterrasse
gesetzt.
Ich höre den Wind in die Blätter der umliegenden Bäume rauschen, ein
paar Vögel zwitschern, zwischendurch dringen immer mal Stimmen von Menschen an
meine Ohren, ohne dass ich verstehen würde, was sie sagen.
Und ich… - ich wehre mich ein bisschen gegen die Schwere, die langsam
die Glieder hoch kriecht und sicher bald auch im Kopf ankommen wird.
Innehalten. Nachdenken. Fühlen. Oder es zumindest versuchen.
Herr Therapeut war gestern Abend noch da. („Sie kennen mich ja
mittlerweile schon eine Weile und haben sicher gewusst, dass ich noch mal nach
Ihnen schaue…“). Er hat zwei ziemlich interessante Dinge gesagt. Zum Einen hat
er mir nochmal bewusst gemacht, dass ich hier gerade erstmal sicher bin. Die
Mauern der Psychiatrie schützen wieder. Zwar wäre morgen der Tag gewesen, an
dem die Lichter für immer hätten erlöschen sollen, aber das tun sie erstmal
nicht. Und Montag sehen Herr Therapeut und ich sich. Da können wir dann – an Tag
1 nach dem geplanten Ende – wieder anfangen darüber zu sinnieren, was das Leben
lebenswert macht. Und wie ich trotz oder gerade wegen der aktuellen Situation,
für ein Leben kämpfen kann.
Und das Zweite, das er gesagt hat ist, dass ich gerade wieder zwischen
den Forderern festhänge. Zwischen dem Forderer der möchte, dass ich arbeite
(ich habe seinen Namen vergessen) und einem emotionalen Forderer, der weiß,
dass er dankbar sein sollte in der Klinik sein zu dürfen und nochmal eine
Chance auf das Leben bekommt. Ich nämlich… - ich zweifle noch daran, ob das
wirklich eine Chance ist, oder ob es das Ende nur verschiebt und mich einfach
noch ein bisschen länger leiden lässt. Und eigentlich gibt es noch einen
dritten Forderer, habe ich mir gedacht. Den Therapieforderer. Beim zweiten Mal
Schematherapie sollte man das echt hinkriegen und nicht wieder bei der
Entlassung dastehen und eigentlich immer noch nicht wissen, wie und ob das
alles gehen soll. Das stresst mich auch langsam. Und was passiert eigentlich,
wenn ich die ganzen Forderer mal los lasse und nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn
dazwischen hin und her renne?
Wenn ich die Forderer loslasse, dann komme ich glaube ich ganz, ganz
langsam hier an. Nach über drei, bald vier Wochen.
Ich merke es zum Einen an der zunehmenden Erschöpfung. Fast einen
Monat ist es jetzt her, dass die Welt stehen geblieben ist. Und trotzdem bin
ich einfach weiter gerannt. Auch in der Psychiatrie kann man sich gut genug
ablenken, um nicht auf sich selbst zurück geworfen zu werden.
Eigentlich ist alles was im letzten Monat passiert ist, eine absolute
Katastrophe. Ich habe noch versucht zumindest die Jobsituation zu retten, aber
im Prinzip war mir sofort klar, dass das jetzt kein „emotionaler Schnupfen“
ist. Allerdings hatte ich das auch dann noch nicht realisiert, als der erste
Oberarzt zu mir sagte: „Mondkind, ich glaube das wird jetzt etwas Längeres für
Dich.“
Und dann an der Familie vorbei zurück in die Studienstadt.
Geschlossene Psychiatrie ohne, dass irgendwer etwas davon wusste. Ein Umfeld,
das auch überfordert war. Die noch verbleibenden „engen“ Freunde haben sich gar
nicht dazu geäußert, „mein“ Oberarzt war – das wird mir langsam klar – auch überfordert
und deshalb wahrscheinlich vorrangig wütend. Ich hatte noch Glück, dass ich den
Oberarzt hatte, der mit mir zusammen die Epilepsie – Station aufziehen wollte.
Wenn es ein was Gutes an dieser Nummer gibt, dann das. Wäre das zwei Wochen
später passiert, hätte ich Niemanden gehabt, der sich in der Neuro so für mich
eingesetzt hätte und mit dem ich auf der Geschlossenen ellenlange whatsApp –
Diskussionen hatte. Ein paar Tage später ist dann auch der Seelsorger zum Glück
mit eingesprungen. Auch er war ein ruhiger Pol in der ganzen Geschichte – er hat
schon viele emotionale Katastrophen begleitet, viele Menschen sterben sehen,
mit den Angehörigen an der Trauer gearbeitet. Er macht das nicht – wie ich –
zum ersten Mal.
Hätte ich jedenfalls diese Katastrophe sofort realisiert - das wäre nicht tragbar gewesen. Dann wäre ich nicht mehr hier angekommen. Es war vielleicht wichtig und richtig so, aber langsam darf ich mal wahrnehmen und begreifen.
Hätte ich jedenfalls diese Katastrophe sofort realisiert - das wäre nicht tragbar gewesen. Dann wäre ich nicht mehr hier angekommen. Es war vielleicht wichtig und richtig so, aber langsam darf ich mal wahrnehmen und begreifen.
Zum Anderen kann ich mich vielleicht langsam wirklich ein bisschen
mehr in die Therapien fallen lassen. Ein bisschen mehr Kopf aus und Gefühl an.
Aber da müssen wir auch mal schauen, wie das nächste Woche weiter geht. So
einfach ist es nämlich nicht – einfach mal die Angst loszulassen, nicht
gehalten zu werden. Und sich zu trauen, den Halt einzufordern – das klappt im
Moment noch gar nicht.
Na, wer sieht den Mond...? 🌖 |
Wochenlang hat mich das gestresst, wo immer ich auch einen Weißkittel gesehen habe. Dann hatte ich sofort das Gefühl, auch arbeiten gehen zu müssen. Aber wenn ich meine Jobsituation mit derer der Weißkittel vergleiche, dann muss ich auch die private Situation vergleichen. Das ist natürlich schwierig, weil ich deren Privatleben nicht kenne, aber ich bin mir sicher nicht jeder hat im letzten Monat mehr oder weniger gleich zwei Menschen verloren und hatte die Idee, den August nicht mehr zu erleben.
Es ist okay. Es ist in Ordnung hier zu sein, auf der Dachterrasse zu
sitzen. Ich muss mich nicht innerlich gegen die Psychiatrie wehren, obwohl ich
doch gleichzeitig so dankbar bin, dass ich hier erstmal aufgefangen werde und
es gerade vielleicht ein minibisschen Hoffnung auf ein besseres Leben gibt. Ich
darf das zulassen und muss mich nicht dafür schämen. Im Gegenteil… - vielleicht
darf ich sogar ein bisschen stolz darauf sein, endlich Hilfe zugelassen zu haben.
Manchmal beschäftigen mich die Aussagen von Mitpatienten oder
Bekannten.
Ich habe letztens mit einer Mitpatientin aus dem letzten Jahr geredet,
als wir uns auf dem Gelände getroffen haben. Berichtete ihr, dass die Therapie
schleppend läuft. „Ja Mondkind, Du musst einfach mal ehrlich sein. Du musst
ehrlich berichten, was Dir durch den Kopf geht, dann läuft das auch. Aber wenn
Du immer am Thema vorbei redest…“
Aber was ist das Thema? Die vorrangigen Fragen sind im ersten
Themenblock: „Wie komme ich mit den Schuldgefühlen zurecht? Wie kann ich am
Besten trauern und da auch wirklich an dieses Gefühl kommen? Wie kann ich mein
Leben ohne den Freund gestalten und ihn trotzdem noch bei mir tragen?“ Den
Block bearbeite ich im Moment vorrangig mit Hilfe des Seelsorgers und versuche
hier in den Therapien ein bisschen loszulassen, um an die Trauer zu kommen. Das
wird noch sehr, sehr lange dauern, aber er hat Ideen und ich versuche das
umzusetzen – damit fühle ich mich gerade ganz gut. Im zweiten Themenblock haben
wir aber vorrangig: „Wie gehe ich mit der Suizidalität um? Wie kann ich wieder
etwas Gutes im Leben sehen? Wie komme ich da raus, wenn ich auf meiner Pro- und
Contra – Liste keine Gründe für das Leben finde außer den, das Umfeld vor dem
Verlust zu schützen? Was mache ich, wenn die Schwere im Kopf wieder so groß
wird, dass ich nicht weiß, ob ich die nächsten beiden Tage packe? Und wie gehe
ich damit im Ort in der Ferne um, wo doch alles für die Umsetzung bereit liegt?“
Ich kann mich erinnern, dass wir letztes Jahr mal ein Gespräch hatten,
in dem der Therapeut mir vorgeworfen hat, dass sich wochenlang alles um das Thema
Suizidalität gedreht hat. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass wir ein Mal über
genau diese Fragen gesprochen haben, aber es klebte immer im Hintergrund, da
hat er Recht. Ich weiß nicht, was es für ihn ist. Und, was es wirklich ist. Ich
glaube, er hat es als Ablenkung von den wesentlichen Themen betrachtet. Aber
was ist wesentlich? Was kommt dahinter? Ich kann das selbst noch nicht sehen.
Jedenfalls landen wir so wahrscheinlich immer bei der Jobsituation.
Weil wir uns da auf „wichtig“ einigen können. Der Job ist immerhin die
Existenzgrundlage. Aber ob das jetzt wirklich das wesentliche Thema ist, das
weiß ich nicht.
Worüber reden wir also, wenn wir uns am Montag sehen? Was ist ehrlich?
Was ist wichtig? Was bringt mich in der Therapie voran? Wie kann ich die Stunde
sinnvoll für mich nutzen? Und wie kann ich das so gestalten, dass Herr
Therapeut nicht enttäuscht ist und glaubt, ich würde die Therapiezeit nicht
nutzen?
(Also an alle therapieerfahrenen Leser – Anregungen sind willkommen;
die üblichen Kanäle kennt Ihr ja…)
Zum Zweiten sagte letztens eine Mitpatientin zum Thema Umzug zurück in
die Studienstadt: „Mondkind, das ist ganz einfach. Du läufst zu Deinem
Therapeuten und fragst ihn, ob er einen ambulanten Platz für Dich frei hat. Und
wenn ja… - dann kommst Du her…“
Ich habe eine Weile gebraucht bis ich begriffen habe, dass sie das in
dem Moment durchaus ernst meinte. Als ich noch studiert habe und über die
Ambulanz der Klinik angebunden war, war das tatsächlich mal Thema. „Kann ich in
den Ort in der Ferne gehen, wenn ich dafür mein therapeutisches Helfernetz
aufgebe?“ Es hat ewig gedauert, bis die Therapeutin und ich darüber gesprochen
haben. Ihre Meinung dazu war klar: Ich soll mich bloß nicht von einer Ambulanz
oder einem Therapeuten abhängig machen.
Seitdem sind Helfernetzwerk – Aspekte aus solchen Überlegungen raus.
Und irgendwie hat sie ja auch Recht, ist mir aufgefallen. Therapeuten können
kündigen, umziehen, selbst krank werden oder sonst was. Und dennoch hat diese
Ambulanz mir vermutlich das Leben gerettet. Und die Klinik hier gerade auch. Wo
ein Leben ohne verlässliches, professionelles Helfernetzwerk beinahe geendet
wäre, haben wir gesehen.
Ich soll mir laut der Bezugspflegerin bis zum nächsten Termin nächste
Woche Gedanken über eine endgültige Entscheidung hinsichtlich des Ortes in der
Ferne machen. Und nachdem das so klar schien, wenn man sämtliche Aspekte der
Erkrankung raus lässt, lässt mich das doch nochmal inne halten. Ist das nicht
vielleicht genauso naiv wie letztes Jahr zurück zu gehen und zu glauben, dass
das schon irgendwie funktionieren wird? Und gibt es eine Alternative? Erstmal muss
ich sowieso zurück. Und die Tage und ersten Wochen nach der Entlassung sind
immer die Schlimmsten.
Zum Thema Vertrauen habe ich mir auch nochmal Gedanken gemacht. In
Verbindung mit dem Entlasstermin, der mich so beschäftigt. Ehrlich gesagt habe
ich keine Lust mehr, mich damit zu stressen. Und wovor ich bei der ganzen Sache
eigentlich Angst habe ist, dass die mich so halb suizidal entlassen. Ich möchte
hier nicht ewig bleiben. Ich kann hier auch nicht ewig bleiben. Bis jetzt
toleriert der Arbeitgeber das ganz gut – ich glaube langsam beruhigen sich die
Gemüter auch wieder. Jedenfalls habe ich ganz am Ende der Woche noch eine Mail
von „meinem“ Oberarzt bekommen, in der doch allen Ernstes stand: „Wir rechnen
hier fest mit Deiner Rückkehr und freuen uns auf Dich, aber nimmt Dir die Zeit,
die es braucht.“ Da habe ich doch tatsächlich erstmal eine Runde geweint vor
Erleichterung.
Aber jedenfalls – nachdem der Herr Therapeut ja zumindest seiner
Aussage nach so froh war mich endlich einfangen zu dürfen, nachdem das
schließlich monatelang alles eher rückwärts und bergab lief und wir uns fast
sieben Monate Gedanken um das Thema Klinik gemacht haben, wird er mich doch
nicht in den Ort in der Ferne zurück schicken, wenn er nicht sicher ist, dass
ich das schaffen kann. Ich glaube, ich muss mal langsam lernen, dass ich hier
nicht alleine kämpfe. Nicht ich gegen den Rest der Welt, wie das sonst so oft
der Fall ist. Ich habe Verbündete an meiner Seite. Jedenfalls ein paar Wochen
noch.
So… - das war dann mal das Wort zum Wochenende. Bevor morgen der Tag
kommt, der ganz viel Kraft braucht. Ein bisschen was von der des heutigen
Blogposts. Wobei morgen „nur“ der Tag der Info war. Gelesen habe ich sie
tatsächlich erst am 3. Juli. Morgens. Und wusste nicht, dass ich genau einen Monat
später regulär bei Herrn Therapeuten sitzen darf. Na das wird wieder ne Therapiestunde...
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen