Durchatmen

If you could feel what I feel, meet my monsters inside
You'd never tell me I'm selfish for wanting to die
You would let me let go
You would let me let go

You wouldn't judge me for standing out here on the ledge
Knowing that nothing below could be worse than what's in my head
Yeah, you would let me let go
But you'll never know

(Citizen soldier – Let me let go)



Pause im Sturm.
Nachdem sich die letzten Tage alles gedreht hat (an der Zahl der Blogeinträge nicht zu übersehen), komme ich heute ein mini – bisschen zur Ruhe.
Bin glaube ich mal nicht mehr Dauer – suizidal.

Vielleicht werde ich es nie lernen, wie man mit zwischenmenschlichen Verlusten adäquat umgeht.

Es geht um viel, erkläre ich meinem Gegenüber.
Um viel mehr als das, was hier gerade läuft.
Um mehr, als dass es hier eine deutliche Diskrepanz gibt. Zwischen dem, was kommuniziert wurde, und dem, was gelebt wird. Dass ich das Gefühl habe, dass er es selbst nicht weiß. Was genau er will. Und ich diese Diskrepanz dankbar annehme, um mich irgendwie selbst zu stabilisieren.

Es geht um Selbstwert und, dass ich so Vieles einfach nicht verstehe. Ich versuche alles zu geben, das ich habe und es reicht nicht. Es hat so wenig gereicht, dass ein Mensch deshalb gestorben ist. (Und genauso, wie ich damals auf der Geschlossenen saß und dachte, dass das einfach das Ende sein muss, so geht es mir jetzt). Es geht um die Frage, ob der Mondkind – Traum von einem zwischenmenschlichen zu Hause, von einer eigenen Familie, von einem stinknormalen Leben nochmal wahr werden kann. „Er war sein ganzes Leben auf der Suche und hat nie gefunden, was er gesucht hat“, sagte die Mutter des verstorbenen Freundes, was in Bezug auf mich ganz dramatisch ist, weil ich ihm nicht geben konnte, was gebraucht hätte und gleichzeitig glaube ich oft, dass ich mit demselben Gedanken sterben werde.
Es geht um Zugehörigkeit und das Schuld – Thema.
Es geht um Schmerz und um die Angst davor. Wenn Weihnachten vorbei ist, dann werden wir uns vielleicht nie wieder sehen. Und ein Leben ohne diesen Menschen kann ich mir noch nicht vorstellen. Ein Leben, das zurück gedreht ist, aber sich einfach nicht mehr zurück drehen lässt. Nach all den Erfahrungen des Sommers, nachdem es so bunt war, dass die Schwere noch weniger aushaltbar ist. Ich habe Angst vor diesem Gefühl des innerlichen Sterbens, das ich auf dem Schoß des Freundes am Sonntag schon hatte; davor, dass mein Hirn einfach komplett abdreht und in den guten Momenten habe ich wirklich Angst, daran zu sterben. Weil es nicht kontrollierbar ist für mich.
Es geht um Scham und darum, dass ich das in meinen 29 Lebensjahren noch nicht gelernt habe, wie man damit umgeht, alles wieder von vorn aufbauen zu müssen. Es geht um Antennen, die andauernd filtern, Alarm schlagen und um eine Sensibilität von der ich nicht sicher bin, ob andere die auch in dem Ausmaß haben. Und dann geht es um die Restfamilie. „Danke für die Info“, hat mein Papa gesagt, als ich ihm erklärt habe, was passiert ist. „Bitteschön“, denke ich mir – und wann kommt die Frage, wie es mir damit geht? Ist es zu egoistisch sich zu wünschen, dass die wer stellt?
Es geht darum, dass die Leute sich ihr „Ihr wart ja nur ein halbes Jahr zusammen und nicht 20 Jahre verheiratet“ einfach sparen können, wenn sie die Hintergründe nicht kennen. Weil das bei mir eben anders ist.

Es geht um Dankbarkeit gegenüber Menschen, die gerade nicht da sein müssten.
Und obwohl ich nichts erzählt habe von dieser Müdigkeit vom Leben, bastelt mein Oberarzt mir ein Notfallnetz so gut er kann. Dass ich vielleicht nicht komplett durchrausche, wenn die Seile reißen, sondern es vielleicht noch ein Mal die Gelegenheit gibt zu fragen: „Ist das so okay?“. Und obwohl ich dieses Notfallnetz nicht testen möchte spüre ich, dass es mir ein bisschen Sicherheit gibt.

Es ist interessant, dass es immer wieder dieselben Erfahrungen sind. Dass das private Umfeld einfach nicht gut halten kann, aber dass sich trotzdem immer wieder irgendwo mal ein Ohr findet und mehr braucht man gar nicht. Und manchmal bin ich beeindruckt, wie Menschlichkeit entstehen kann, wie viel Nähe dadurch, dass uns am Ende alle dasselbe bewegt.
Ob mir mal jemand gesagt hat, dass ich ein interessanter Mensch bin, fragt er mich. „Selten“ antworte ich und frage, warum er das wissen will. „Weil Sie so tief, ehrlich und selbstreflektiert sind. Weil man Ihre Seele sprechen hört.“
Und ich – ich bin gerade auch ein bisschen geflasht von meinem Gegenüber. Ich bin mir absolut nicht sicher, ob das hier alles gerade richtig ist. Ich habe mich mehrfach über die Persönlichkeit meines Oberarztes ausgelassen und dass ich mir nicht sicher bin, was hinter meinem Rücken geredet wird. Aber als er anfängt zu reden und mir zu verstehen gibt, dass er meine Erfahrungen und den damit verbundenen Schmerz aus eigenem Erleben heraus nachvollziehen kann, sehe ich einen Menschen, der hinter seiner starken Fassade unendlich verletzlich ist. Und der diese Fassade einfach vielleicht braucht, um im oberärztlichen Alltag, im Haifischbecken, das die Medizin auch oft einfach ist, zu überleben. Das kann man beurteilen, wie man will. Aber gerade bin ich einfach unendlich dankbar, dass wir hier sitzen dürfen.
Johannes Oerding sagte mal als Einleitung in seinen Song „Blinde Passagiere“: „Und am Ende glaube ich, wir wollen alle dasselbe – es ist wirklich egal wo wir herkommen und was wir machen. Wir alle wollen geliebt werden, lieben und ein zufriedenes und sicheres Leben leben.“
Und wenn da einfach nur noch pure Menschlichkeit übrig bleibt, das was uns im Kern bewegt, dann werden wir vielleicht alle wieder gleich. Egal, wie sehr wir sonst versuchen unsere Positionen zu verteidigen.

Und gerade sitze ich hier und weiß nicht mehr, woher die Tränen in meinen Augen kommen.
Irgendein Potpourri. Aus Traurigkeit (wann immer ich seinen Namen in meinen whatsApp – Verläufen entdecke, schnürt es mir die Kehle zu), aus Enttäuschung, aus Scham und Schuld und aus ganz tiefen Berührtsein über die Begegnung von Gestern und Heute. Dass der Oberarzt mich minimal stabilisieren konnte, den Kopf ein bisschen eingefangen hat, auch wenn das vielleicht nicht einfach war und ich sehr dankbar dafür bin. 


Mit Sicherheit eines der schönsten Fotos des Jahres...💜


Morgen vor einem Jahr sind der Freund und ich sich das erste Mal begegnet.
Da stand er zum ersten Mal in der Tür meines Zimmers in der Klinik und ich – ich habe mein Herz gespürt. Nach so langer Zeit, in der da nichts war, in der ich nicht mal wusste, dass ich ein Herz habe, das sich noch irgendwie regen kann, habe ich es gespürt.
Und wenn ich ihn still beobachte und dabei in mich hinein horche würde ich mich trotz aller Schwierigkeiten die wir haben, immer wieder für ihn entscheiden. Da ist einfach immer noch so viel Liebe. Wenn er mich anschaut und dabei eine Augenbraue hochzieht, dann spüre ich immer noch das Stechen in meinem Herz. Wenn er einfach von hinten ankommt und mich in den Arm nimmt, dann möchte ich ihn einfach schief von der Seite anschauen und meine Lippen auf seinen fühlen. Und wenn ich abends müde bin, dann möchte ich immer noch seine Arme fühlen, in die ich mich einrollen kann.
Er hat mein Leben so viel bunter gemacht; nur ich eben seins scheinbar nicht.

Ich weiß nicht, ob ich das hier alles überlebe.
Aber ich weiß, ich kämpfe gerade nicht alleine. Bis ins neue Jahr habe ich jemanden an meiner Seite; dann wechsle ich erstmal wieder die Station (fällt wieder gut zusammen die Änderungen in allen Bereichen des Lebens).
Morgen reden wir nochmal, wenn wir Zeit haben, hat er gesagt. „Ich bin gerne für Sie da….jederzeit….“, hat er heute geschrieben, nachdem ich nach dem Dienst komplett fertig nach Hause gewatschelt bin.

Danke.

Mondkind



P.S.
Heute war ich dann mal, nachdem ich mich kurz ausgeruht habe, mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Bin durch die Stadt gedüst, habe mir viele Gedanken gemacht, was wohl angebracht wäre, habe mir überlegt, wie ich es mit dem Freund mache, da ich eine andere Situation im Kopf hatte, als ich sein kleines Weihnachtspaket zusammen gestellt habe und habe hoffentlich einen guten Weg gefunden. Auto und ich waren in der Waschanlage, damit wir bei den ehemaligen Schwiegereltern in spe, was sie jetzt wohl nie werden, nicht komplett verdreckt ankommen.
Und jetzt… - bin ich einfach echt gespannt. 

P.P.S
Danke Euch schon mal für die ganzen Nachrichten, die mich auf so vielen Wegen erreicht haben. Das bedeutet mir sehr viel. Ich beantworte die alle nach und nach und die nächsten Tage werde ich sicher mehr Zeit haben; aktuell ist es etwas stressig.


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