Über die Weihnachtstage

Ich habe ja schon mehrere verrückte Sachen in meinem Leben getan.
Aber das hier ist eindeutig eines der verrückteren Dinge in meinem Leben.

Wenn das hier alles so okay wäre, wenn wir nicht nur noch bis morgen Abend Zeit hätten, dann könnte das eines der schönsten Weihnachtsfeste meines Lebens sein. Und irgendwie tut hier jeder so, als sei das alles nicht endlich.
Der Freund und ich haben bisher noch nicht darüber geredet, dass wir uns ab morgen einfach nicht mehr sehen werden – oder wenn dann nur noch, um irgendetwas zurück zu tauschen, wobei mir gerade nicht einfiele, was wir noch vergessen haben sollen.
Auch seine Familie bezieht mich voll mit ein, als sei das nicht klar, dass ich hier nie wieder auftauchen werde.
Als sei das hier alles ein Deckmäntelchen des Friedens, bevor dann meine Welt explodiert.

Wenn ich diese Familie hier und mich beobachte und miteinander vergleiche, dann wird mir so einiges klar. Auch so einiges an Reibereien, die der Freund und ich hatten. Pünktlichkeit schreibt hier zum Beispiel niemand groß. Egal, ob wir zum Einkaufen, zum Essen oder für sonst irgendetwas verabredet sind, grundsätzlich rechnet jeder mit mindestens einer halben Stunde Verspätung. Und was hatten der Freund und ich Diskussionen zum Thema Pünktlichkeit – wahrscheinlich kann er mich an der Stelle überhaupt nicht nachvollziehen.
Ich vermute, dass er auch vollkommen anders aufgewachsen ist, als ich. Natürlich ist zu Weihnachten in den meisten Familien alles ein bisschen friedlicher und die Konflikte, die es wohl doch überall gibt, werden nicht offen ausgetragen, aber auch was ich die Tage über einige Abenteuer der Geschwister miteinander gehört habe, scheint es so zu sein, dass die alle immer wussten, dass sie im Elternhaus einen sicheren Hafen hatte. Ich glaube, wenn man das hat, dann geht man anders raus in die Welt. Vielleicht weniger vorsichtig, weniger auf Sicherheit bedacht, weil man weiß, dass man am Ende nur sich selbst hat. Dann ist man vielleicht irgendwie experimentierfreudiger, mit mehr Flusen im Kopf und ich kann schon irgendwie nachvollziehen, dass man eine Mondkind absolut langweilig findet. Die eben eher weniger auf Risiko aus ist (okay, für so ein Denken war diese ganze Beziehung ziemlich unüberlegt, aber die Quittung dafür kriege ich ja auch gerade), keine Familie gründen möchte, bevor die Beziehung standsicher ist und ich im Notfall vielleicht auch alleine Finanzierung und Kinderbetreuung stemmen könnte und all solche Dinge. Über so etwas macht der Freund sich einfach keine Gedanken glaube ich.

Ich glaube ich fange an besser nachzuvollziehen, warum wir einfach überhaupt nicht zusammen passen. Warum das vielleicht mit einer Mondkind und dem Leben an sich irgendwie nichts werden kann.

Wenn man das hier als ein „fishing for moments“ betrachtet, wenn es darum geht die guten Momente vor der Dunkelheit einzusammeln, dann ist das auf jeden Fall sehr erfolgreich.
Ich habe mich zwischendurch mal gefragt, ob ich es bereue mit hierher gefahren zu sein und bisher kann ich das nicht behaupten. Ich genieße jede Minute mit dem Freund, auch wenn der Schmerz langsam aber sicher anfängt das Gute darin zu überwiegen. "Ehrlich gesagt habe ich gar keine Worte für den ganzen Schmerz in mir, das ist einfach das Gefühl, als würde der Körper unter dem Kopf auseinander fallen", habe ich dem Intensiv - Oberarzt erklärt und er hat mich einfach nur bestätigt. Manchmal gibt es keine Worte. Manchmal bleibt nur noch an der Heizung sirzen und Tee trinken, manchmal wäre eine feste Umarmung mehr wert, als jedes tröstende Wort.

Aber erstmal hatte ich einen wunderschönen Heiligabend. Tatsächlich lassen die mich hier für ein paar Tage Teil einer großen Familie sein.

Auch mal wieder ein altes Bild...


Und doch gibt es immer noch kein Konzept für all das, was ab morgen Abend passiert.
Dass den Freund gehen zu lassen weit über dem sein wird, was die Schultern einer Mondkind tragen können, ist denke ich deutlich. Es ist nur die Frage, was die richtigen Entscheidungen sein werden. Ob ich das unbedingt nach außen kommunizieren muss. Ob ich dem Intensiv – Oberarzt, so wir denn am Dienstag sprechen – irgendetwas davon sagen sollte, wie schwer es wirklich ist – denn dass das am Ende wieder Psychiatrie mit allen negativen Konsequenzen ohne dass es wirklich etwas bringt bedeutet – das ist klar. Oder, ob das einfach bei mir bleiben soll. Solange ich es eben tragen kann.

Abwarten. Ich habe da mittlerweile über die Jahre ein bisschen Ruhe entwickelt. Ich hänge glaube ich tatsächlich ein bisschen am Leben. Aber mir war auch immer klar, dass ich es abgeben kann, wenn der richtige Momente dafür gekommen ist.


Mondkind



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