Ein paar Worte aus dem Dienst

Atmen.
Einfach weiter atmen.
Irgendwie.

Es geht doch nicht so gut nach dieser Nacht.
Die Augen immer noch geschwollen, ein bisschen blass um die Nase erscheine ich zur Visite. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen, ich bekomme kaum etwas mit, die wichtigsten Sachen hebt der Herr Oberarzt zwei Mal hervor, solange bis ich sie in rot auf meinem Klemmbrett notiert habe.

Kaum ist die Visite fertig, nimmt er mich zur Seite.
„Frau Mondkind, kommen Sie mal, wir setzen uns mal in eine ruhige Ecke.“ Wenig später sitze ich ihm gegenüber und habe keine Ahnung, wie ich das jetzt erklären soll. „Es gibt private Schwierigkeiten“, sage ich. Er schaut mich lange an. Und fragt zielsicher. „Geht es um Ihren Freund?“ Wir hatten mal kurz gesprochen im Sommer, damals als das alles noch neu war, als mir das Verliebtsein genauso in den Augen abzulesen war, wie die Traurigkeit jetzt. Ich nicke nur und muss schon wieder weinen. Er seufzt. Versucht irgendetwas aufbauendes zu sagen und merkt schnell, dass das alles gar nichts bringt.

„Ich kann die Menschen, die ich liebe, einfach nicht in meinem Leben halten. Ich schaff das einfach nicht“, sage ich. "Und dann gehen sie halt." Und einer kurzen Pause. „Ich verliere einfach zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren irgendwie alles. Den wichtigsten Menschen, den ich hatte, auf den ich hätte aufpassen müssen, die Zukunft. Eben irgendwie alles, was das Leben gut gemacht hat.“
„Ach der erste Freund war das mit dem Suizid, oder?“ Ich nicke. Dann ist es schwer, sagt er. Wenn Beziehungserfahrungen so dermaßen negativ sind.

Mit ihm geht es mal nicht um die Gründe dieser Trennung – wobei wir am Rande streifen, dass das einfach zu viel Arbeitsbelastung für eine junge Beziehung war und er das sogar nachvollziehen kann, aber auch dazu sagt, dass es in der Medizin halt einfach so ist, dass da beide anpassungsfähig sein müssen – sondern um das, was jetzt bleibt.
Und das ist – wie ich feststelle, eben fast nichts. „Dieser Mensch hat mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt. Und das war so gut, ich habe das so sehr gebraucht, endlich mal aus dieser Höhle raus zu kommen“, höre ich mich sagen. „Und jetzt kracht schon wieder alles zusammen.“ Und nach einer langen Pause. „Ich weiß, es war nur ein halbes Jahr.“ Und nach noch ein bisschen Zeit: „Aber wir waren da eben echt schnell irgendwie. Haben darüber geredet, wer bei wem wohnen möchte, dass wir eine Familie gründen wollen. Und ich hatte immer die Worte meines ersten Psychiaters im Ohr, der mal irgendwann gesagt hat, dass ich mit meiner eigenen Familie einfach nicht mehr weiter komme, aber dass ich irgendwann meine eigene Familie und mein eigenes zu Hause haben kann. Ich muss einfach mal irgendwo hin gehören dürfen.“ Und nach noch ein bisschen Stille. „Und die Männer sind halt auch nicht beliebig austauschbar. Ich würde es mit ihm wollen. Und niemand anderen.“

Manchmal ist es eben so, sagt er. Manchmal möchte ein Teil der Beziehung nicht und dann muss man irgendwann lernen, das zu akzeptieren. Auch, wenn es schwer ist. Auch, wenn man das vielleicht nicht versteht. „Als wir uns verabschiedet haben – da hätte man, wenn man uns von außen zuschaut auch denken können, dass sich da ein ganz normales Paar verabschiedet. Mit Umarmung und Kuss und allem. Und irgendwie ist das doch auch Beziehung, oder nicht?“ Er seufzt. „Vielleicht ist das Trennung „light“ oder so.“ „Ich glaub’s nicht. Obwohl es schön wäre.“

Er fragt, wer jetzt halten kann. Und stellt dann nach meinen Ausführungen auch fest, dass das eher mau aussieht. „Das war halt von Anfang an die Überlegung, dass das für den Fall, dass das schief geht ziemlich bescheuert ist, eine Beziehung mit seinem ehemaligen Therapeuten zu führen. Aber ich hab’s halt echt nicht geglaubt. Der Typ hat seine Macken, wie wahrscheinlich jeder von uns, wenn man genau hinsieht, aber ich war nie in meinem Leben so verliebt. Und so naiv wie ich war dachte ich das reicht, wenn sich zwei Menschen lieben.“

Währenddessen habe ich im Hinterkopf ein Lied von LEA auf Dauerschleife – „Fast“.
Wir hab'n alles gegeb'n, doch es hat nicht gereicht

Sag mir, hättest du das je gedacht
Dass wir zwei jetzt hier lieg'n?

Und unsre Welt ist vorbei
Ich halt's kaum aus, wie sehr ich das grad hass

Wir war'n fast wie füreinander gemacht
Fast

Der Song lief auf dem LEA - Konzert im Sommer und irgendwie hat bei diesem Lied die Seele weh getan und ich habe gehofft, dass ich das nie ernstlich zitieren muss. Und wenig später lag ich in seinen Armen, am Rand dieser Brücke mit dem rot gefärbten Springbrunnen im Hintergrund, einer der glücklichsten Momente des Jahres.

„Gerade ist Ihr Selbstwert glaube ich ganz klein geworden“, sagt mein Gegenüber irgendwann. „Naja, ich bin irgendwie mal so retrosepektiv nichts und niemanden gerecht geworden. Ich geb’s zu, ich habe nie ein Intensivbuch von vorn bis hinten gelesen, weil ich dazu einfach keine Zeit hatte. Und für den Freund hat es eben auch nicht gereicht. Und was kann ich überhaupt?“
Er sagt, dass es reicht, das ich auf der Intensivstation so treibe. Dass man nicht aufgehört hat, mich und meine Leistungen in dieser Klinik zu schätzen.

„Was ist mit Weihnachten?“, fragt er. „Sie haben doch extra noch zwei Tage Urlaub von mir bekommen.“ Ich weine immer noch, oder schon wieder. „Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt für voll bescheuert, aber ich fahre trotzdem mit ihm zu seinen Eltern. Es gab jetzt halt keine andere sinnvolle Alternative und frei habe ich sowieso. Ich hoffe halt, ich tue mir damit nicht unendlich doll weh.“ „Aber ein bisschen Hoffnung haben Sie schon noch?“, fragt er. „Naja… - wir haben gestern Abend nochmal telefoniert und irgendwie war das ein recht gutes Gespräch. Ich glaube, das war wirklich mal eine Art Austausch und den haben wir eigentlich gar nicht geführt, bevor er beschlossen hat, dass wir uns trennen müssen.
Ich weiß nicht, ob er nochmal nachdenkt. Ob das wirklich alles gar nichts wert war, was wir da hatten. Und irgendwie denke ich, vielleicht können fünf Tage Beisammensein, Zeit füreinander und die Tatsache, dass er vielleicht zu Hause ist und sich da sicherer fühlt, noch irgendetwas bewegen. Ich meine, das ist doch nicht so, dass da nichts mehr ist. Er kann doch nicht sagen, dass er mich liebt, aber keine Beziehung mit mir führen will. Das passt doch nicht. Also – in meiner Welt nicht. Aber seine Welt ist vielleicht eine andere.“

Er schaut mich skeptisch an. „Sie haben gerade Trennung light gesagt“, sage ich und muss ein bisschen lachen. „Am Ende ist es auch nur Weihnachten. Es wäre nicht das Erste und sicher nicht das Letzte, das irgendwie mehr Drama als alles andere war. Aber vielleicht gibt es auch noch ein Weihnachtswunder. Vielleicht will ich das auch nur glauben, damit das hier irgendwie aushaltbar ist." Dass ich danach schon wieder weine zeugt nicht davon, dass dieses Konzept sonderlich toll funktioniert

„Frau Mondkind, soll ich Sie nach Hause schicken?“, fragt er.
„Und wer macht den Dienst? Wir sind doch heute nur zu Zweit, wer soll den übernehmen?“

„Schaffen Sie das?“
„Ich denke es. Ich hoffe schon, dass es ein bisschen ruhig wird, aber ich kann doch nicht zu Hause bleiben, nur weil ich mich getrennt habe.“

Er bietet mir an, nochmal auf ihn zuzukommen, wenn ich den Bedarf habe.
"Ich sehe, dass es Ihnen gar nicht gut geht, aber wie ich Ihnen helfen kann, weiß ich nicht so ganz."

Ich war ja irgendwie darauf vorbereitet, dass es schlimm wird. Aber nicht, dass es so schlimm wird. Ich bin schon ein Sensibelchen, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Da ist so viel Angst mittlerweile. Dass die Menschen gehen. Und immer wenn es dann passiert fühle ich mich, als hätte ich komplett versagt. War ich gemein zu ihm? Er war oft sauer auf mich in den letzten Wochen. Und ironischerweise habe ich mich in diesen Momenten in mir gefragt, ob er mich nicht einfach mal in den Arm nehmen und festhalten kann.

Einer unserer vielen Ausflüge des Sommers...


Der Abend hat es bislang in sich.
Patienten, die sich nicht beatmen lassen, Hb – Abfall mit Blutung im Oberschenkel, die vielleicht noch operiert werden muss (ich traue mich mittlerweile zu transfundieren, aber mit viel Angst), fiebernde Patienten auf der Nachbarstation, Krampfanfälle, vegetative Entgleisungen auf der Frühreha, Delir bis es kracht.

Ich werde einfach nur weinen morgen früh, wenn ich die Nacht überlebt habe zusammen mit meinen Patienten und einfach mal einen Tag lang nichts schaffen muss (was so nicht stimmt, es gibt noch Weihnachtsvorbereitungen, aber ein bisschen kann ich es mir zumindest einteilen und muss nicht bei dem Wort Notfall springen).

 

Mondkind

 

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