Von alter Neuro - Liebe und Trennungsgedanken

Honestly, would you give all your life
If I give you all of mine?
Would you love me unconditionally
Be everything that I need
And do anything for love?
Would you stand by my side
Until the end of time?
Would you love me unconditionally
Be the air that I breathe
And do anything for us?
'Cause I would

(Connie Talbot – I would)


Neuro – Alltag. Schwer vermisst.
Heute bin ich zur Springerin auserkoren worden und doch nicht – wie ursprünglich geplant – nur in der Notaufnahme.
Ich visitiere die neuen Patienten, die die Nacht über aufgenommen wurden und plane, was wir die nächsten Tage tun müssen. Helfe ein bisschen in der Notaufnahme aus. Und während ich so durchs Haus renne, gerade noch das letzte Patientengespräch im Kopf habe und mich schon innerlich auf den nächsten Patienten vorbereite wird mir etwas klar: Heute bin ich echt mal ganz glücklich hier. Entspannt. Ohne Angst.
Und vielleicht – vielleicht kann ich doch in diesem Job bleiben. Vielleicht muss ich nur endlich mal wieder richtig Neuro machen dürfen. In meinem alten Umfeld arbeiten dürfen, das immerhin zwei Jahre sehr viel getragen hat. Und vielleicht auch bald wieder tragen wird. Heute bin ich wirklich mal gerne Ärztin. Und merke: Hey, ich kann auch doch noch etwas. Die Neuro habe ich drauf. Nur die Intensivmedizin halt nicht. Und das muss ich vielleicht auch nicht so gut können. Es reicht, Neuro zu können.

Am Nachmittag, als es schon langsam dunkel wird, schaue ich den Flocken vor dem Fenster zu, wie sie dort tanzen. Den ganzen Tag schon. Und was die Arbeit anbelangt, fühle ich gerade einen Frieden im Herzen. Ich muss nicht mehr lang durchhalten auf der Intensiv. Nur noch den Dezember. Und dann kann es nur besser werden. Und dass es heute etwas länger dauert und ich nach offiziellem Feierabend noch etwas zu tun habe, stört mich gar nicht. Lieber nette Kollegen, spannende Patienten, die nicht halb tot sind, eine Arbeit, die Sinn macht, als pünktlich gehen. Vieles auf unserer neurologischen Intensivstation stelle ich mittlerweile auch sehr in Frage. „Was ist das Wichtigste, was Du dort gelernt hast?“, fragte heute eine Kollegin. „Dass es dringend notwendig ist, eine vernünftige Patientenverfügung zu schreiben, wenn man nicht ein halbes Jahr dort liegen möchte, sich quälen möchte, um am Ende doch zu sterben. Wenn das Hirn hin ist und sich über Monate nicht erholt – es tut mir leid, aber was willst Du dann noch? Ist das noch Lebensqualität? Und das ist wichtig. Nicht das Atmen. Und klar, es gibt Fälle, in denen hat das Sinn, alles zu versuchen, das geht. Aber ich habe so viele Patienten gesehen, bei denen das irgendwie keinen Sinn macht.“




Mit dem Freund ist es unterdessen schwierig geworden. Wir haben gestern nochmal telefoniert. Mehr geschwiegen, als telefoniert.
„Wie stehst Du zum Thema Trennung?“, hat er mich irgendwann gefragt. Und obwohl ich relativ flott geantwortet habe: „In den letzten Tagen habe ich oft das Gefühl, dass wir das nicht mehr retten können“, hat mir die Frage das Herz zerrissen. Und auch er sagt, dass der Impuls aktuell in Richtung Trennung geht. Ich habe so viel geweint gestern.

Heute durfte ich ein wenig mit den alten Kollegen zusammen sitzen, die ich schon eine Weile kenne. „Der aktuelle Konflikt besteht, weil ich ihn gebeten habe, dass wir vor dem Dienst zehn Minuten eher aufzustehen, damit ich nicht immer so viel Stress habe, pünktlich in den Dienst zu kommen. Ich meine, Ihr kennt die Landstraßen hier, wenn man da einen LKW – oder am Besten noch zwei hintereinander – vor der Nase hat; das ist Stress pur.“ „Und was ist das Problem?“, werde ich gefragt. „Dass er daraus ein Grundsatzding macht und mir irgendetwas über Abhängigkeit und Neurosen erzählt und dass er mit mir nicht zusammen sein könnte, wenn ich die nicht ablege.“ „Aber Mondkind – jeder normale Mensch würde doch sagen: Okay, wenn es Dir damit besser geht, stehen wir 10 Minuten eher auf.“ „Das dachte ich auch, dass das jetzt nicht so das Problem ist.“ Wir reden und sinnieren noch ein bisschen weiter. Das kann nicht das Problem sein. Das kann es einfach nicht sein. So sehr ich auch versuche das zu verstehen, aber ich kann es nicht verstehen. „Vielleicht ist das auch etwas ganz anderes…“, sage ich irgendwann. „Ich habe gestern zum ersten Mal gehört, dass es ihm sehr schlecht wegen seiner Jobsituation geht. Das hat er vorher nie gesagt. Vielleicht ist da so eine Grundanspannung, Enttäuschung, Wut, Aggressivität, dass er das einfach ein bisschen umlegt. Vielleicht merkt er das nicht mal und ich bin da gerade irgendwie ein bisschen der Prellbock.“ Kann schon sein, meinen die anderen.

„Aber Mondkind, weißt Du, was ich bei Euch auch höre?“, wirft eine andere Kollegin ein. „Was?“, frage ich. „Das ist doch voll die Rollenverteilung. Er ist der Therapeut und Du bist die Patientin. Du kannst doch nicht Deinem Partner sagen: „Du musst Deine Neurosen in den Griff kriegen, sonst können wir nicht zusammen bleiben.“ Stell Dir vor, Dein Freund wäre Elektriker. Das wäre doch auch blöd, wenn der sagen würde: „Du musst erst das Haus verkabeln lernen, bis wir ein Paar sein können, weil wenn Du das nicht kannst, kann ich nicht mit Dir zusammen sein.“ Und trotzdem wird der Elektriker seinen Beruf auch zu Hause ausüben und sich um die Elektrik in der Wohnung selbst kümmern. Niemand kann aus seiner beruflichen Haut und Dein Freund sicher auch nicht und er wird das immer ein bisschen durch eine therapeutische Brille sehen und wenn Du da mal Rat brauchst, kannst Du ihn ja auch fragen. Aber er kann Dich doch nicht ungefragt mit Diagnosen überhäufen und Dich dann auch noch damit zur Ursache Eures Konfliktes machen.“ „Das hat etwas“, gebe ich nach einiger Überlegung zu bedenken. „Das kann ich gut verstehen. Aber das lenkt halt wieder von ihm ab und dass es ihm da gerade auch nicht so gut geht und das zuzugeben würde irgendwie unsere Rollen ein bisschen tauschen. Ich meine, ich kann das total nachvollziehen – ich wäre mindestens genauso drauf wie er, wenn mir jemand meine Facharztweiterbildung weg nehmen würde. Aber er muss mit mir reden und dass nicht so drehen, dass ich Schuld bin. Er redet ja nicht, das ist das Problem und ich versuche ja schon irgendetwas aus ihm raus zu kriegen. Ich habe ihm gestern noch eine lange Mail geschrieben, was mir zu unserer Situation durch den Kopf geht und vom ihm kommt einfach nichts, außer, dass meine Worte ihn berührt haben. Ich habe keine Ahnung, was bei dem los ist.“
Natürlich lösen wir das Problem an diesem Nachmittag nicht. Aber ich bin meinen Kollegen dankbar für die neuen Impulse. Vielleicht führt ein bisschen Verständnis der Situation auch zu ein bisschen Frieden ihm gegenüber. Und ich hoffe immer noch, wir finden eine Lösung - auch wenn ich daran nicht so recht glaube.

„Ich fahre heute zu meinem Freund Mondkind, fährst Du auch?“, fragt die Kollegin. „Nein, ich habe Dienst morgen“, entgegne ich. Und nach einer kurzen Pause. „Ich habe ihn gefragt, ob er vielleicht kommen mag, aber er wollte nicht. Das war schon, bevor wir uns so gestritten haben. Und er meinte dann, es wäre eine gute Idee, wenn ich morgen nach Mitternacht nach meinem Dienst noch zu ihm fahre. Das hat mich irgendwie echt geärgert. Ich arbeite schon den ganzen Tag, da kann er sich doch mal hierher bewegen. Aber wenn ich den Schnee draußen sehe, dann hat er Glück, dass ich es ihm augenblicklich verzeihen kann. Ich hätte ihn jetzt auch nicht durch den Schnee scheuchen wollen.“ „Ach Mondkind, so sind sie – die Männer. Mein Freund kommt auch nicht zu mir. Den muss ich auch immer besuchen. Das ist einfach so. Akzeptier das einfach.“ „Mh…“, sage ich. „Und wir haben uns auch hundertmal gestritten und getrennt und dann konnten wir doch nicht ohneeinander. Und jetzt heiraten wir bald. Das ist normal. Das wird schon alles gut gehen“, schiebt sie hinterher. „Ich bin mir nicht sicher, aber danke Dir“, sage ich. Vielleicht heiraten wir ja auch irgendwann doch noch.

Ich muss heute Nacht mal wieder ein bisschen schlafen. Das nimmt mich schon alles sehr mit. Es hat sich zwar viel zwischen uns geändert und ob das aktuell nicht mehr ein Festhalten am letzten Sommer ist, weiß ich auch nicht. Aber der Gedanke wie das sein wird, wenn wir uns (hoffentlich) ein letztes Mal in den Arm nehmen – soweit komme ich in meiner Vorstellung nicht mal. Das tut schon vorher so sehr weh, dass ich es nicht weiter denken kann. Mir wird dieser Mensch so unglaublich fehlen.
Und ich merke auch, dass all die kritischen Stimmen, die mich gefragt hatten, was ich denn mache, wenn wir uns trennen, irgendwie berechtigt waren. Ich habe die Welt heute für eine andere Zeit gehalten. Aber ich merke, dass ich viel vergleiche. Das Ende der Beziehung mit dem verstorbenen Freund und das, was der lebende Freund und ich gerade haben. Ich weiß, dass ich um zwei Menschen trauern werde und dass ich nicht weiß, ob mein Herz und meine Seele das aushalten. Dass die beide in der Phase der Trauer nochmal ganz nah an meinem Herz sein werden. Dass das unendlich schwer zu tragen sein wird. Und, dass ich alleine bin damit.
Und vielleicht bewegt sich am Ende doch alles in Kreisen. Vielleicht werde ich Anfang nächsten Jahres zurück in den Neubau rotieren und alles wird beim Alten sein. Nicht nur, dass ich wie früher über die Neuro fege. Sondern auch, dass ich jeden Abend in eine leere Wohnung komme und es nicht besonders eilig habe dorthin zu kommen.

Ich habe einen Kumpel, der ist Ergotherapeut. Ich schätze ihn sehr und er wirkt immer so sehr in seiner Mitte, wenn ich mit ihm rede. Kennen gelernt habe ich ihn in der Psychiatrie. Ich konnte nicht verstehen, wie er dorthin gekommen war. Irgendwann hat er mir erzählt, dass die Trennung von seiner Freundin ihn so mitgenommen habe, dass er die Verantwortung für sich nicht mehr tragen konnte. Verstehen konnte ich das nicht so richtig. Wie ein Mensch mit so vielen Ressourcen das nicht schafft. Mittlerweile kann ich das, denke ich, schon nachfühlen. Und wie ich da durch kommen würde, wüsste ich auch noch nicht. Dann würde wieder alles zusammen fallen. Und Ideen von zwischenmenschlichen Miteinander, von Familie und Sinn wieder in sehr weite Ferne rücken.

Erstmal heißt es heute noch ein bisschen Ausruhen, um morgen den nächsten Dienst in der Notaufnahme zu rocken. Und Montag geht es dann direkt mit einem Intensiv – Dienst weiter. Und dazwischen: Erholen. Es ist schwer genug gerade, da muss man die Luft zum Atmen gut nutzen.


Mondkind


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