Vom Damals und Heute

 Stille.
Ganz tiefe Stille.
Und dennoch rennt mein Hirn Schleifen. Hier kommt keine Ruhe rein. Offensichtlich. Der Blog explodiert. Meine Gedanken auch.

**

Als sei ein „ich denk gerade an Dich“ oder „Wie geht’s Dir eigentlich?“ schon zu viel. Das Übertreten einer unsichtbaren Grenze. Als wäre das plötzlich irgendwie unanständig. Als sollte sich das Gehirn, das Denken unf Fühlen von Heute auf Morgen umstellen.
(Vielleicht denkt er auch schon gar nicht mehr viel an mich…)

Ich weiß nicht, ob wir uns entschieden haben, ohne dass wir etwas gesagt haben. Eigentlich war mit dem Freund vereinbart, dass wir uns nochmal zusammensetzen und reden (wir müssen uns auch definitiv noch mal sehen, um die Schlüssel zurück zu tauschen), aber er redet halt einfach nicht mit mir. Ob wir uns am Wochenende sehen oder nicht… - wer weiß das schon.
Ich weiß allerdings auch noch nicht, wo ich Sonntag bin. Ob ich in die Studienstadt fahre oder nicht, ist immer noch nicht geklärt, aber wenn, dann wohl ab Sonntag. Aber was wohl definitiv nicht passieren wird ist, dass ich morgen nach dem Dienst zu ihm fahre, erstmal ein paar Stunden schlafe und dann Zeit mit ihm verbringe.

Es ist so merkwürdig, die Dinge nicht mehr teilen zu können. Langsam sickern die ersten Details zum Rotationsplan durch und der Freund und ich hätten endlich mal unsere Urlaubsplanung machen können. Ich hatte gestern auf der Arbeit sofort kurz den Gedanken ihm zu schreiben, aber wahrscheinlich interessiert es ihn auch einfach nicht. Wichtig scheint es nicht mehr zu sein.
(Ich befürchte meine Zufriedenheit mit diesem Rotationsplan wird sehr gering sein, aber wir warten mal, bis er draußen ist. Vielleicht ist das für mich auch alles nicht mehr relevant…)

Die Kollegen nehmen positiv wahr, dass ich wieder flexibler werde. Früh- gegen Spätdienst tauschen kann, eher zum Dienst kommen kann, auf der peripheren Station bis in die Puppen sitzen kann, wenn es sein muss. Die Mondkind macht wieder das, was man von ihr kennt.

Gerade die Abende haben es in sich. Alle Kanäle sind auf laut gestellt, falls der Freund doch mal zu der Idee kommt, ein whatsApp zu schreiben, anzurufen oder eine Mail zu schreiben. (Am Ende haben wir ab und an Mails geschrieben, weil sich das einfach gut eignet, um nochmal den eigenen Standpunkt zu erläutern).
Diese Situation hier erinnert mich an die Zeit vor zweieinhalb Jahren. Sehr sogar. Als ich wochenlang gewartet habe. Auf Antwort. Und sie nie bekommen habe, weil der Mensch, auf den ich da gewartet habe, einfach nicht mehr auf dieser Welt war.
Ich glaube, ich werde aus dieser Nummer nie raus kommen. Die Schuld wird bleiben. Und mittlerweile die noch größere Überzeugung, dass es so etwas wohl nie wieder im Leben geben wird.





Ich denk an den Sommer und die Pirouetten, die wir gedreht haben.
Ihr werdet sie alle im Jahresrückblick nochmal lesen.
Ich denk an die vorherrschende Frage – damals, als das alles eher noch Idee war - ob es geschickt ist, so viel für eine Beziehung her zu geben. Die potentielle Bezugsperson war damals sehr skeptisch. Ich glaube, er war froh, dass ich endlich mal einen Therapeuten habe, mit dem ich gut zurecht komme, von dem ich profitieren kann. Und dass mir das neue Helfersystem erstmal genug Halt gibt, um im Leben zu bleiben. Die Idee, das gerade eben erst etablierte Helfersystem wieder aufzugeben, damit der Therapeut mein neuer Partner wird, hat er sehr kritisch gesehen. Und gleich gesagt, dass wir wohl ein riesiges Problem bekommen, wenn diese Beziehung nicht funktioniert. Und, dass das wohl für mich lebensgefährlich wird. (Manchmal ist er nicht auf den Kopf gefallen, der Herr…). Jetzt wo es so gekommen ist, ist er still geworden und das ist okay.
Und ich – ich war damals so überzeugt, dass das klappt. Seitdem vor zweieinhalb Jahren das Licht in meinem Leben endgültig ausgeknipst wurde, hatte ich nicht mehr so viel Leichtigkeit gefühlt. War nicht mehr ich selbst gewesen. Habe die Welt nicht mehr wahrgenommen. Es waren in diesem Frühling schon fast zwei Jahre, in denen ich fast jede Minute aufgeben wollte. Und mich trotzdem von Tag zu Tag gezogen habe – hauptsächlich meinem Umfeld zu Liebe. Aber es war unglaublich viel Leid. Eigentlich viel zu viel, um das auf zwei Schultern zu stellen.
Den Frühling zu sehen, das Licht nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren, sich als Teil der Welt, des Geschehens zu fühlen, war nach all der Zeit so viel Wunder und hat mich in Bezug auf meine Lebensplanung Purzelbäume schlagen lassen. Flucht nach vorne. Das Alte zurück lassen. Neu anfangen. Nochmal leben. Endlich.

Wir haben beide viel hergegeben. Für diese Beziehung. Der Freund und ich.
Der Freund hat seine Ausbildung aufs Spiel gesetzt (wobei ich bis heute der Meinung bin, dass er das in seinem Ausbildungsinstitut einfach nicht hätte an die große Glocke hängen müssen; Menschen wissen ja nur das, was man erzählt). Ich wusste immer, dass es sein kann, dass ich eine Trennung nicht überleben werde. Und trotzdem war ich der Meinung, dass es sich für mich lohnt. Denn vielleicht trennen wir uns ja auch einfach nicht. Vielleicht – und ich war damals sehr überzeugt davon – funktioniert das ja mit uns. Und wenn nicht… - dass ich mit meiner Lebenssituation besonders alt werde, glaube ich ohnehin nicht. Dazu habe ich mich viel zu sehr verlaufen.

Aktuell fühlt es sich ein bisschen an wie damals.
Ich dachte ja schon, dass ich die „ersten Dienste“ nicht überleben werde, weil ich nachts eher reihenweise die Patienten umbringen werde aus zu viel Unwissen heraus. Und dann gehe lieber ich vorher und dann sollen die Leute Dienste machen, die es können und den Menschen helfen. Ich werde nie vergessen, als der dienstplanverantwortliche Oberarzt mich am Anfang des Sommers 2020 angerufen hat. Dass dieser Anruf bald kommt, wusste ich, aber das war der Moment, in dem er dann kam. Ich stand neben dem Patienten, war gerade fertig mit meiner Lumbalpunktion, hatte die Nadel aus dem Rücken gezogen und den Tupfer auf die Einstichstelle gedrückt, als das Telefon klingelte. „Dann eben Ende Juli“, habe ich mir gedacht, während er mir sagte, dass ich ab August „erste Dienste“ mache. „Das ist dann noch ein halber Sommer“, war der nächste Gedanke. Der Patient, der krankheitsbedingt kognitiv etwas eingeschränkt war, hat trotzdem sofort bemerkt, dass das kein gutes Telefonat war.
Und dann kam alles anders, weil ich Anfang Juli vom Tod des Freundes erfahren habe und dann sowieso in der Psychiatrie war. Und ein bisschen Hoffnung hatte.

Schon die letzten Monate war diese Beziehung ein Spiel mit dem Feuer. Ich habe immer mal still hinterfragt, ob ich damals auch darüber nachgedacht hatte, dass aus den Höhenflügen des Frühlings so schnell ein Ende werden kann.
Mein Spielraum ist da mittlerweile auch nicht mehr hoch. Ich weiß, dass ich mich jetzt wieder monatelang mit dieser Trennung auseinander setzen könnte, nebenbei nochmal die Trennung vom verstorbenen Freund durchleben könnte. Dass ich unendlich viel leiden könnte, um eine geringe Chance zu haben, dass es irgendwie und irgendwann doch noch okay wird. Aber ich habe dazu mittlerweile weder Lust noch Kraft. Ich bin die meiste Zeit meines Lebens gefallen und ich kann einfach nicht mehr.
Damals, vor mehr als zwei Jahren, war das noch sehr schlimm. Hat mich auch sehr hilflos gemacht. Ich konnte da ja schlecht drüber reden, ohne in der Psychiatrie zu landen. Heute bin ich da in mir sehr viel stiller, sehr viel mehr okay. Da ist eine Akzeptanz entstanden dafür, dass sich das wahrscheinlich am Ende doch nicht vermeiden lässt, egal wie sehr ich das zwischendurch geglaubt habe und im Herbst ganz erstaunt festgestellt habe, dass es gar kein Thema mehr ist, wo mich das doch so lange durchgehend begleitet hat.

Offiziell entschieden ist hier immer noch nichts.
Vielleicht wird es eben auch eine stille und leise Entscheidung ohne dass wir nochmal miteinander geredet hätten und irgendwann treffen wir uns einfach noch irgendwo zur Schlüsselübergabe. Was den Dezember und Weihnachten anbelangt, wird das aber wohl eine Katastrophe werden. Selbst wenn wir uns nochmal zusammen raufen, wird es wahrscheinlich Monate dauern, bis es da von meiner Seite aus wieder ein Basisvertrauen in uns geben kann und ehrlich gesagt halte ich das auch für nicht richtig, Weihnachten mit seiner Familie zu verbringen. Ich weiß gar nicht, was die für ein Bild von mir haben – sicher nicht das Beste. Jedenfalls erzählt man im Streit selten Dinge neutral und dort bin ich bestimmt auch die Schuldige, dass das hier alles nicht funktioniert hat und das Kind darüber hinaus seine Ausbildung verloren hat. Das muss ich mir nicht geben über die Feiertage.

Ich muss los.
Letzter Dienst vor dem Urlaub, die letzten beiden Stunden morgen mit der potentiellen Bezugsperson – ich hoffe ohne Drama – und dann werde ich so froh sein, die Arbeit für eine Woche nicht zu sehen. Wobei es direkt nach dem Urlaub – was dann schon die Weihnachtswoche ist – sofort mit einem Intensivdienst weiter geht.
Und irgendwann kurz vor Weihnachten werde ich auch nochmal ganz still werden. Und mich daran erinnern, dass das Leben nochmal die Pause – Taste gedrückt hat, dass ich letztes Jahr zu Weihnachten zumindest einen Platz hatte, an dem ich sicher sein konnte und dass das schönste Geschenk wohl letztes Jahr die Hoffnung war.  

Mondkind

Bidlquelle: Pixabay

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