Erlebnisse um einen Dienst herum

Wir sitzen uns gegenüber.
Der Freund und ich.
Am Morgen vor dem Dienst.
Die Sätze, die wir seit dem Vorabend geredet haben, kann man wohl zählen.
Er sagt einfach nichts. Gar nichts. Und ich finde es immer beklemmender in dieser Wohnung.
Ich glaube ihm, dass er leidet. Sehr sogar. Deutlicher könnte sein Gesicht das nicht ausdrücken.
Schon am Vorabend habe ich versucht auf ihn einzugehen, irgendetwas aus ihm herauszubekommen außer dem Grund, warum er wieder wütend auf mich ist. Ich habe bisher in meinem Leben keinen Menschen erlebt, der so oft wütend auf mich ist, ohne dass ich eigentlich weiß warum.
Und irgendwie spüre ich mittlerweile eine sehr große Vorsicht, wenn ich ihm begegne. So oft ist das mittlerweile einfach völlig unvorbereitet eskaliert, obwohl ich mich eigentlich für sehr anpassungsfähig in dieser Beziehung halte.
 
Wir sitzen uns gegenüber und ich habe das Gefühl, als müsste ich diesen Menschen vor mir zusammenhalten.
Als könnte er jeden Moment vor mir auseinander fallen.
Und während ich ihn so anschaue frage ich mich, wo dieser Mensch hin ist, den ich damals kennen gelernt habe. Gefühlt ist davon nichts mehr da.
Ich spüre das Flattern in mir, während wir da sitzen. Wie ich mich bemühen muss, dass daraus kein sichtbares zittern wird. Wie es mir mehrere Male so kalt den Rücken herunter läuft. Wie das Herz so unendlich weh tut.
Irgendwie muss ich immer wieder daran denken, wie das damals war, als ich ihn habe irgendwo durchs Haus schleichen sehen, wenn ich seine Nummer auf meinem Telefon gesehen habe. An das erste Treffen in seiner Wohnung, als unsere Herzen uns verraten hatten, bevor wir Worte dafür finden konnten. Heute ist das eine andere Welt. Ich frag mich, wo wir uns so verloren haben. Und ich frag mich, ob wir noch mehr als die Idee sind, die wir damals hatten. Ich hoffe es, aber manchmal weiß ich es nicht.

Dienst.
Das Erste das passiert, als ich morgens die Intensivstation betrete ist, dass mich der Oberarzt bittet, heute auf der peripheren Station zu helfen. Das einzig Sinnvolle, das ich an einem Tag dort machen kann, ist Aufnahmeärztin zu sein. Und ganz tief in mir vergraben spüre ich an solchen Tagen doch noch eine Begeisterung für die Neuro, die ich auf der Intensiv fast beerdigt habe. Ich war auf keiner Station so lange und die Zeit dort hat mir langsam den Willen genommen, Neuro machen zu wollen. Aber heute spüre ich: Vielleicht ist das mit mir und der Neuro doch noch nicht verloren. Vielleicht brauche ich einfach einen Platz, an dem ich sein kann in der Neuro.

Notaufnahme. Halb 5.
Der Oberarzt, die potentielle Bezugsperson, kommt. „Mondkind, ich habe ein Geschenk für Dich für den Dienst“, sagt er. Berichtet von einem Patienten, der mit Kopfschmerzen und Schwindel von den internistischen Kollegen gefischt wurde mit einem riesigen Basilariskopfaneurysma. „Wir sind uns nicht sicher, ob das nicht doch geblutet hat, der Spätdienst soll ihn noch punktieren.“
Erstmal klagt der Patient anhaltend über Nackenschmerzen, was schon mal verdächtig ist. Der Blutdruck ist ziemlich entgleist, sodass ich die halbe Nacht damit beschäftigt sein werde, den mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Der Spätdienst hat alle Hände voll zu tun und als der Patient um 20 Uhr immer noch nicht punktiert ist, werde ich selbst aktiv in einer kleinen Lücke. Und dann sehe ich meine erste CT – negative SAB. Mir kommt massiv blutiger Liquor entgegen, die Dreigläserprobe ist ohne Diskussion positiv.
Eine Intervention mit einem Professor aus der interventionellen Radiologie ist schon für den nächsten Tag geplant, der Professor kommt extra mehrere hundert Kilometer weit angereist um das – wie der Chef sagt – größte Basilarisaneurysma, das der je gesehen hat zu versorgen, aber erstmal muss er über die Nacht kommen und ich bin ärztlich für ihn zuständig. Wenn das Ding vorher noch platzt, ist Game over, dann kann ich gar nichts machen.
„Es geht ihm klinisch gut“, wird der Chef am nächsten Morgen in der Frühbesprechung sagen, nachdem er sich nach ihm erkundigt hat. „Noch“, sagt mein Oberarzt und ich bin dankbar, dass er meine Angst der Nacht aufgreift. 


Kurzes Verschnaufen im Arztzimmer...


Die potentielle Bezugsperson nimmt mich nochmal kurz zur Seite.
„Mondkind, könntest Du Dir das vorstellen nächstes Jahr vor Deinem Psychiatriejahr noch ein paar Monate Stroke Unit zu machen?“, fragt er. Puh… - eigentlich wollte ich das vermeiden, aber ich habe durch den Buschfunk schon von zwei Kollegen gehört, dass die potentielle Bezugsperson und der dienstplanverantwortliche Oberarzt miteinander gesprochen haben und die potentielle Bezugsperson gebeten hat, mich zurück auf die Stroke Unit zu bekommen. Da kann ich ihn jetzt nicht vor den Kopf treten. Ich erkläre, dass ich gern noch auf die periphere Station gehen würde, weil mir da einfach noch Erfahrung fehlt und man ja langsam auch mal Richtung Facharzt denken muss und ich ja auch noch nie fest auf der Kurzliegerstation war. „Ich kann Dich ja mal ausleihen dorthin Mondkind, da gibt es doch immer mal Bedarf.“
Naja, ich fürchte damit ist klar, wo ich nächstes Jahr arbeiten werde. Aber gut – scheinbar ist er nicht völlig genervt von mir, wenn er mit mir arbeiten möchte.
„Und wie läuft es sonst mit Deinem Privatleben?“, fragt er. Wo wir gerade mal in der Notaufnahme im Türrahmen stehen. In seinem Büro war ich seit Monaten nicht mehr. „Naja, der Freund spricht gerade nicht mit mir. Es ist nicht einfach.“ Und nach einer Pause. „Wir müssen uns mal wieder hinsetzen und reden, wenn Sie Zeit haben. Ich bin überfordert mit ihm.“ Er seufzt. „Mondkind, ich kann Dir da wenig helfen. Aber ich habe Dir doch schon gefühlt hundert Mal gesagt, dass Du immer noch eine Therapie brauchst, wo Dein letzter Therapeut Dein Partner geworden ist.“ „Ja, aber ich kann mich doch nicht in einer Therapie über meine Beziehung auskotzen. Dafür ist das doch nicht gedacht.“ „Was denkst Du, was die Menschen da machen?“, fragt er. Und nach einer kurzen Pause. „Ich kann Dir da einfach nicht helfen Mondkind, ich bin dafür nicht kompetent genug.“ „Aber es geht doch nicht um Kompetenz. Ich glaube manchmal muss man einfach nur drüber reden dürfen. Einfach so zwischen zwei Menschen.“ „Mondkind, dass die erste Beziehung nach dieser Katastrophe ohne Hilfe nicht funktionieren wird…“, sagt er und hält kurz inne. „Wusste wohl ungefähr jeder außer mir“, beende ich den Satz und fühle die Tränen in den Augen, die ich gerade noch so dort festhalte. Er nickt. „Ich bin halt auch einfach hilflos mit ihm. Ich weiß nicht mehr, wie ich ihn anfassen soll. Ich bin so unsicher mittlerweile.“ „Und deshalb Mondkind – Therapie.“ „Das rettet uns jetzt aber auch nicht mehr. Wenn das so weiter geht, weiß ich nicht, ob wir Weihnachten noch zusammen verbringen.“ Und dann klingelt mein Telefon und beendet das Gespräch.

Morgen muss ich nicht auf der peripheren Station, sondern in der Notaufnahme aushelfen. Und ich spüre da echt Unsicherheit mittlerweile, was mich ein bisschen traurig macht. Am Ende meiner ZNA – Zeit habe ich die Notaufnahme geliebt. Die Action dort den ganzen Tag lang, das hin und her rasen, das Gefühl, dass man da wirklich etwas bewegt. Aber nachdem ich auf der Intensiv ein Jahr lang recht weit weg von der Neuro war (die Neuro – Intensiv hat – man möge es nicht glauben – halt wenig mit Neuro zu tun), spüre ich da echt viel Unsicherheit.
Ich versuche den morgigen Tag als Refresher zu betrachten. Und Samstag habe ich schon wieder Dienst... - was auch sonst. Und wenn ich Pech habe, muss ich Sonntag noch einen halben Intensivdienst übernehmen - wir werden sehen.

Und nachdem ich die ganze Nacht gerannt bin und heute Morgen so fertig war, dass ich schon etwas früher (!) heimgeschickt wurde und den ganzen Tag nicht mehr aufstehen konnte, gibt es jetzt eine heiße Dusche und zumindest mal noch einen Salat (nachdem mir der Freund letztens sein Salatdressing – Rezept verraten hat <3). Ach – und Samstag ist schon wieder Monatstag; den Brief habe ich die Tage schon geschrieben. Das wird ein mir persönlich wichtiger Blogpost.

Mondkind

 

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