Reisetagebuch #4 Papa

Langsam spüre ich die letzten Tage in den Knochen.
Ich bin müde.
Sehr müde.

Da waren so viele neue Eindrücke und alte Erinnerungen. Ich war an so vielen Orten innerhalb weniger Tage, habe so viele Menschen getroffen, habe so viele Impulse zu meiner Situation bekommen, dass ich langsam spüre, dass ich das nicht mehr gut hören kann; ich muss es erstmal für mich selbst sortieren.

An diesem Morgen hüpfe ich noch schnell unter die Dusche, frühstücke etwas und koordiniere mich mit dem Freund, wann wir uns am Wochenende treffen wollen.
Während ich meine Nachricht tipsle, läuft gerade „Liebe auf Distanz“ von Revolverheld im Radio.
Eigentlich ist es das Lied vom verstorbenenn Freund und mir, aber in dem Moment überlege ich, ob das nicht auch die aktuelle Beziehung ist. Wir teilen nicht mehr viel, wir haben uns „immer kurz, aber nie ganz“, weil da auch zu viel zwischen uns steht. Es ist keine Fernbeziehung, aber auch eine Fernbeziehung würde vielleicht nicht sehr viel mehr Distanz schaffen.
Und in dem Moment fällt mir auch auf: Es gibt Dinge, die gehen verloren, auch wenn man das vielleicht nicht so spüren möchte. Nicht nur Weihnachten an sich, sondern die ganze Weihnachtszeit hat eigentlich etwas mit zwischenmenschlichem Erleben zu tun und das haben wir nun mal nicht. Wir haben uns seit dem ersten Advent nicht mal 24 Stunden am Stück gesehen, wir waren auf keinem Weihnachtsmarkt, haben nicht gemeinsam Plätzchen gebacken, nicht bei einer Räucherkerze auf dem Sofa gesessen. Wir haben keine echten Weihnachtspläne geschmiedet, habe keine Weihnachtsmusik gemeinsam gehört (am Besten irgendwo auf der Straße). Wir haben uns nicht mal viel gehört, seine Nummer habe ich schon lange nicht mehr auf seinem Handy gesehen und die Weihnachtszeit bisher gemeinsam einfach verpasst. Und das können auch drei Tage Weihnachten nicht so ganz beheben.
Und irgendwie wird mir auch immer mehr klar, dass wir wahrscheinlich mehr als einfach nur von vorne anfangen müssen. Am Anfang unserer Zeit waren wir einfach bis über beide Ohren verliebt. Das sind wir vielleicht immer noch, aber jetzt gibt es auch so viele Zweifel und viel Misstrauen, weil die Beziehung mehr als ein Mal fast vor den Baum gefahren wäre. 

Blick über das Heimatdorf


Gegen Mittag fahre ich zu meinem Papa.
Das Haus von meinem Papa schaut aus, als wäre es in den Weihnachtsdekotopf gefallen.
Aber irgendwie stelle ich fest, dass ich mich weder bei meiner Mama noch bei meinem Papa richtig wohl fühle. Die ticken beide so anders als ich und manchmal frage ich mich, wie die Kinder so sehr anders als die Eltern werden können. Vor allen Dingen emotional so anders. Ich will ihnen nicht zu nahe treten, aber meiner Meinung nach haben beide einfach absolut keine zwischenmenschlichen Antennen. (Manchmal wünsche ich mir das auch). Wie kann da so ein Sensibelchen wie ich raus kommen, was gefühlt jede emotionale Regung im Raum spürt (und leider zu oft auch sich selbst bezieht)?

Der Nachmittag wird dann ein bisschen ruhiger, was mir auch ganz gut tut. Wir gehen noch eine kurze Runde spazieren, mein Papa muss noch im Home Office arbeiten, ich schreibe in der Zeit ein bisschen am Jahresrückblick. Später kommt auch seine Freundin heim.
„Du Mondkind, nach sechs Monaten Beziehung muss man doch noch Schmetterlinge im Bauch haben“, sagt sie zum Thema Beziehung. „Naja… - vielleicht sind denen die Flügel abgebrochen“, sage ich irgendwann.
Und Weihnachten wollen die beiden übrigens - wie ich mir schon gedacht habe - alleine verbringen, also von daher fällt das als Option auch raus...

Ich chille mich jetzt noch eine Runde vor den Kamin bei meinem Papa und dann geht es heute früh schlafen. Morgen fahre ich zurück nach Hause. Und Samstag dann zum Freund.

Mondkind


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