Erste Eindrücke der Weihnachtsreise

Es könnte so perfekt sein.
Wenn es denn echt wäre.
Aber wie so oft im Leben, hat die Mondkind das Licht kurz gesehen, ehe alles auseinander fiel.

Der Morgen begann damit, dass der Freund mich irgendwann geweckt hat und unter meine Decke gekrochen ist.
Unser Zeitplan war natürlich seit dem Aufstehen schon wieder im Verzug, aber da wir beide glaube ich insgeheim mit einer Stunde Verzögerung gerechnet hatten, waren wir dann doch fast pünktlich. Die Fahrt ins benachbarte Bundesland, in die Heimat des Freundes, ist etwas anstrengend, weil es durchgehend schüttet.
Und als wir kurz an einem Rasthof halten und ich zur Toilette sprinte, hat er sich in der Zeit auf dem Fahrersitz häuslich eingerichtet und nach einem Dackelblick seinerseits fährt er die restlichen knapp 80 Kilometer, düst ohne Navi durch die Straßen, die er seit der Kindheit kennt. Im Verlauf bin ich auch irgendwie dankbar, dass ich nicht mehr fahren muss, weil mich der konstante Starkregen wirklich erschöpft hat. Mir wird auch klar, dass das eines der letzten Male sein wird, an denen ich in meinem eigenen Auto auf dem Beifahrersitz sitzen werde.

Als wir ankommen, gibt es erstmal etwas zu essen. Es ist erstaunlich, wie gut ich hier von Anfang an integriert werde. Ich habe sehr oft Probleme, wenn ich fremde Menschen treffe, werde dann ganz still und rede sehr wenig, fühle mich sehr fremd und unwohl, aber hier werde ich sofort ganz miteinbezogen, als würde ich schon ewig zur Familie gehören. Die Eltern des Freundes sind wirklich sehr nett, herzlich und zuvorkommend und ich fühle mich hier sehr wohl.
Und wenn man das Haus hier sieht, dann versteht man, warum die Wohnung des Freundes so eingerichtet ist, wie sie eingerichtet ist. So viel von ihm finde ich in seiner Mama wieder und noch mehr in seinem Papa, der ab dem Nachmittag auch da ist. Und kaum ist er wieder in der alten Heimat, fängt er auch wieder an Akzent zu sprechen, dass ich manchmal echt die Ohren spitzen muss.

Bevor es dunkel wird, gehen wir noch eine Runde spazieren. Es gibt hier an einer Landstraße eine Kapelle, die zwischen ein paar Bäumen steht, davor steht eine Tanne, auf der eine Lichterkette hängt und die sich im Wind wiegt. Dort spazieren wir hin und teilen das Paar Handschuhe, das ich dabei habe, damit wir Hand in Hand spazieren können und die andere Hand in der Jackentasche versenken können.
Vor der Kapelle nimmt er mich in den Arm. Und dann stehen wir da, wiegen uns ein bisschen hin und her, neben mir die Tanne mit den leuchtenden Kerzen, die ein bisschen Weihnachtsstimmung vermittelt und dahinter das Geräusch vorbei fahrender Autos, die die Hektik der letzten Tage vor Weihnachten spiegeln.
Ich versuche jeden Moment in mir aufzusaugen, versuche zu vergessen, dass das hier unsere letzte gemeinsame Reise sein wird. Dass dieses Leben hier offensichtlich nicht für eine Mondkind bestimmt war, dass sie wieder mal ihre Fühlerchen in ein Leben gestreckt hat, in das sie einfach nicht gehören und das natürlich irgendwann bemerkt und unterbunden wurde. Jede Faser meines Körpers fühlt mein Gegenüber und ich frage mich, ob ich mir das wirklich demnächst so authentisch wie ich es mir erhoffe ins Gedächtnis rufen kann. Während wir zurück gehen, denke ich darüber nach, dass die meisten Menschen in meinem Umfeld, die irgendetwas vom Freund und mir wissen, mich aktuell für hochgradig bescheuert halten. Weil ich gerade den Boden dafür schaffe, dass es am Ende so sehr weh tut, dass es gar nicht mehr händelbar sein könnte. Ich denke darüber nach, dass es aber umgekehrt so viele Momente geben würde, die ich mit dem verstorbenen Freund noch gern erlebt hätte und die wir nicht mehr erlebt haben, weil er vorher verstorben ist. Und die Erinnerungen, die wir hier gerade schaffen, die kann mir niemals mehr jemand weg nehmen. Egal, wie die Zukunft aussieht und wie lang sie noch sein wird.Vielleicht kann man es - wenn man es von dieser Sichtweise betrachtet - besser verstehen, was ich hier gerade mache.


Altes Bild...


Dennoch spüre ich immer wieder dieses Stechen im Herzen. Die Traurigkeit und die Ohnmacht, die schon anklopfen. Noch haben wir ein paar Tage, denke ich mir. Ich soll mich nicht schon jetzt stressen. Insgeheim bin ich heute mehrmals dankbar dafür, dass der Intensiv – Oberarzt und ich für Dienstag verabredet sind, denn dass aus diesem tiefen Frieden hier, der Dankbarkeit für diese Momente in den nächsten Tagen noch etwas ganz anderes werden wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Standfest zu bleiben, wird vielleicht noch die Hauptaufgabe je weiter es in Richtung Montag geht.
Ich überlege mir, wie das wäre, wenn wir uns nicht getrennt hätten. Wenn wir jetzt eben zum ersten Mal Weihnachten bei seinen Eltern feiern könnten. Und während wir später beim Abendessen sitzen frage ich mich, ob seine Eltern wohl überhaupt schon wissen, dass wir offiziell gar kein Paar mehr sind. Ich glaube, man würde es immer noch nicht denken, wenn man uns sehen würde. Es fehlen ein paar Kleinigkeiten. Ein Kuss vor der Kapelle hätte das Ganze noch gekrönt. Auf den letzten Autofahrten hatte der Freund auch die ganze Zeit die Hand auf meinem Bein liegen. Aber das sind schon eher dezente Versuche der Abgrenzung. Ansonsten läuft eben alles weiter, wie bisher. Obwohl es mir jedes Mal bewusst ist, wenn ich ihn ansehe. Dass das hier keine Zukunft mehr ist.
Ich glaube, ich war nie so leichtsinnig. Nie so naiv. Mir ist das auch alles irgendwo klar. Und dennoch habe ich in meinem Leben immer wieder so viel verloren, dass ich diesmal so sehr wie nie versuche, das Gute vor dem Fallen mitzunehmen. Das Fallen kommt sowieso. Egal, ob es vorher noch mal gut war oder nicht. Über die Tiefe des Falls kann man sich dann unterhalten. Aber das wäre auch ohne Weihnachten hier sehr tief gewesen. Das habe ich ja Sonntag schon gespürt. Eigentlich möchte ich das nicht mehr erleben. Aber das werde ich. Und viel zu oft alleine. Ohne eine Hand auf meiner Brust, die mich versucht wieder zurück zu einem normalen Atemrhythmus zu bringen. Ohne ein schlagendes Herz neben mir. Draußen mit Kopfhörern auf den Ohren auf dem Wintergarten um die Verbindung zur realten Welt durch die Kälte die dort herrscht nicht völlig zu verlieren, das war eine oft benutzte Strategie, als ich im Winter um den verstorbenen Freund getrauert habe. Ich kenne das alles zu gut.


Den Abend verbringen wir im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend. Der Freund, seine Eltern und ich.
Ich bin sehr gespannt, wie die nächsten Tage sich hier entwickeln werden. Morgen Nachmittag ist der Freund erstmal auf einem Klassentreffen. Mal sehen, was ich hier alleine machen werde. Zu tun habe ich genug. Über das Drama der letzten Tage ist der Jahresrückblick sehr in den Verzug geraten.


Mondkind


P.S. Bilder kommen vielleicht, wenn ich hier mal wlan habe. Aber dazu muss ich auch erstmal welche machen ;)

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