Nachtgedanken

Schreiben.
Einfach schreiben, bis die Seele leer ist, bis da keine Worte mehr sind.
Obwohl es nichts gibt, das diesen Schmerz auch nur ansatzweise spiegeln und wiedergeben könnte.

Irgendwann die Nacht habe ich dann doch mal zwei oder drei Stündchen geschlafen. Keine Ahnung, wie oft ich aufgewacht bin auf einem klatschnassen Kissen
Mit viel Schmerzmedikation intus (dass mich die Tränen fast meinen Kreislauf gekostet haben, ist auch schon eine Weile her) und ein bisschen Bedarfsmedikation aus alten Zeiten, die für Notfälle immer noch hier liegt. Zumindest hatte mir Frau Therapeutin zugestanden, dass eine Trennung eine Akutsituation wäre – egal, wie lange wir zusammen waren, das sie extra betont, es ginge um die Intensität, die es war. Und das legitimiert dann alles, was irgendwie hilft. Der Freund hatte gesagt, es gibt Zeit zum Trauern, aber de facto gibt es die eben nicht. Heute ist Dienst.

Irgendwo im Hintergrund lief die halbe Nacht Alexa Feser mit dem Album A!. Das war meine Dauerschleife des Frühlings, ich habe diese Songs so oft gehört auf dem Weg in die Nachbarstadt. Die Zeit, in der das Leben nochmal bunt geworden ist.

Ich hab immer wieder gedacht an den Moment nach dem Konzert heute Nacht. Als der Freund und ich die erste große Krise hatten. Und damals noch beide für uns gekämpft haben. Als er mir entgegen gelaufen kam, als ich mein Herz gespürt habe und kurz darauf ihn, sein Herz schlagen gefühlt habe, seinen Geruch in meiner Nase hatte.
Und das war auch der Moment in dem mir klar war: „Ich möchte mein Leben nicht mehr ohne diesen Menschen leben. Und wenn einer von uns beiden gehen muss, dann wird er das sein müssen. Ich werde nicht gehen.“ Und das heißt nicht, dass er nicht so seine Macken hat. Aber man kann sich den Partner nicht schnitzen. Mein Herz und meine Seele hatten sich einfach entschieden, auch wenn der Freund mir das bis zum Ende nicht geglaubt hat.
Es war aber auch der Moment in dem mir klar geworden ist, dass ich eine Trennung nicht überleben werde. Er hat mein Leben so sehr auf den Kopf gestellt, dass ich das nie mehr werde zurück drehen können, in das was es war. Es ist nicht nur so, dass wir nach einer Trennung keine Therapie mehr machen können, das hat er immer wieder betont – nichts würde sich nach dieser Beziehung wiederherstellen lassen. Und dennoch wusste ich auch, dass jeder nach einer möglichen Trennung, wenn es kein Wir mehr gibt, seine eigene Verantwortlichkeit hat. Er für sich und ich für mich. Und was jeder daraus macht, ist ihm selbst überlassen. „Es war von Anfang an klar, dass eine Trennung eine Option bleiben muss“, sagte der Freund letztens fast vorwurfsvoll. Es ist immer eine Option; Garantien gibt es keine. Und über Konsequenzen muss er sich ja nur seinerseits Gedanken machen. Ich werde ihn nicht stalken, er kann in Ruhe sein Leben leben und mehr ist für ihn eigentlich nicht mehr wichtig.

Ich mache mir Gedanken.
Wo wir uns so sehr verirrt haben.
Wir haben gestern nochmal drüber geredet.
Zum Einen hat mir Frau Therapeutin glaube ich – vielleicht ohne, dass sie das wollte – zu viel Sicherheit vermittelt. Ich hatte doch ein Konzept im Gepäck und unlösbar sind unsere Probleme nicht. Und wir haben doch beide so viel für diese Beziehung aufgegeben, dass es doch nur konsequent wäre, nicht das Handtuch zu werfen, sobald es ein bisschen schwer wird. Überzeugt hat ihn das aber alles nicht. Ich finde, ich bin in diesem halben Jahr über viele Schatten gesprungen, habe mich versucht auf vieles einzulassen und so schlecht war das alles nicht zwischendurch. „Aber Mondkind, in den letzten Wochen ist es mit Dir immer schlimmer geworden“, sagt der Freund. Ja, das ist mir auch aufgefallen und ich denke ich weiß auch warum, aber ich habe mich nie getraut das zu referieren. Eben weil ich immer Angst hatte, dass er dann zu Trennungsgedanken kommt. Und vielleicht hätte es ein Darüber reden gerade verhindert…?

Es war schwierig. Seitdem ich auf zwei Dienstplänen stand, war es schwierig. Seitdem eigentlich keiner der höheren Etage mehr eine Ahnung hatte, wie viele Dienste ich mache. Nicht so selten mal drei in einer Woche. Dazu sind diese Intensivdienste absolute Hochspannung. Dann so viele spontane Dienste den ganzen Herbst. Uns ist ein Wochenende nach dem anderen kaputt gegangen, ein langes Herbstwochenende ist dann irgendwie auf 12 Stunden zusammen geschrumpft. Und wenn ich dann bei ihm war, dann meist nur mit einem halben Gehirn. Mit den Gedanken schon beim nächsten Dienst oder noch beim Letzten und der Frage, ob ich alles richtig gemacht habe.
Überhaupt hatte ich nicht mehr das Gefühl irgendetwas oder irgendwem gerecht zu werden. Und ja, ich gebe zu, ich kann mich erinnern, dass ich im Auto auf dem Weg zum Freund saß und mir dachte: „Ich weiß, ich soll mich freuen, aber ich kann einfach nicht mehr.“
Und spätestens als es – ich weiß gar nicht mehr genau wann das war – irgendwann die Zeit gab, in der ich einfach nichts mehr gefühlt habe, was vielleicht ein reiner Schutzmechanismus der überforderten Mondkind war – hätten die Alarmglocken anspringen müssten. Und ich habe das sogar thematisiert, obwohl ich unglaubliche Angst hatte, dass er sich sofort trennt, wenn ich sage, dass ich ihn nicht mehr fühle, genauso wie nichts auf der Welt aktuell. Er hat es zur Kenntnis genommen, aber wir haben das nicht ausreichend hinterfragt.

Ich dachte immer, ich schaffe das schon alles. Alle Menschen sind das gewohnt von mir und ich von mir auch – egal wie viel man auf die Schultern einer Mondkind lädt – es geht schon alles. Vom Workload her geht es. Aber in einer Beziehung geht es eben nicht um Workload. Ich hätte mehr „nein“ sagen müssen. Zumindest zu den Diensten, die man noch oben drauf gepackt hat. Aber mir war nicht so bewusst, dass ich damit gerade die Beziehung kaputt mache. Denn natürlich hat der Freund Grenzen. Er kann es akzeptieren, dass ich viel arbeite, aber wahrscheinlich nur solange, wie ich in der verbleibenden Zeit voll bei ihm bin.
Vielleicht hätte ich auch nicht immer fahren dürfen. Vielleicht hätte ich auch einfach mal vor einem Dienst sagen müssen: „Heute bleibe ich hier, weil ich das einfach mal brauche.“ Diese Abende vor den Diensten waren sowieso oft mit Anspannung meinerseits behaftet.
Ich hätte besser aufpassen müssen. Auf den wichtigstens Menschen im Jetzt.
Innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren habe ich zwei Mal den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren.


Bilder aus besseren Tagen. Hier standen wir, auf den Steinen im Fluss, haben uns geküsst und ich habe geweint, weil es so perfekt war. Krass, dass das ein Mondkind - Leben war


Und doch ändert das jetzt alles nichts mehr.
Jeder trägt jetzt so eine seine Konsequenzen der Geschichte. Und nachdem das Wochenende nochmal so intensiv war, bis gestern Nachmittag in all dem Drama sogar irgendwie schön, möchte ich ihn schon jetzt wieder neben mir fühlen.
Irgendwie meine ich immer noch, dass das ein Alptraum ist, aus dem ich wieder aufwachen muss. Dass ich, dass wir, doch noch den nächsten Sommer erleben müssen. Dass wir doch nach Italien fahren wollten, meine erste Reise in den Süden, seit so vielen Jahren. Dass ich mir schon vorgestellt habe, wie das wohl wäre abends zusammen am Strand zu stehen, eng umschlungen, nur das Wellenrauschen im Ohr und ich vielleicht mit jedem Tag den wir gemeinsam verbringen dürfen, mehr Vertrauen ins Leben  entwickeln ka. Darin, dass es jetzt endlich mal okay wird. Dass auch eine Mondkind ein zwischenenmenschliches zu Hause haben darf, einen Ort, an dem sie bleiben kann, ein Wir aus dem etwas wundervolles Neues entsteht.
Und jetzt werde ich das Ende des Winters nicht mehr sehen. Es wird nicht mehr warm werden um mich herum und in meiner Seele. Sie wird nicht mehr heilen. Ich werde nie wissen, wie es gewesen wäre, nachdem zu zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren so viel schief gegangen ist.
Vielleicht nützt das nichts, gegen das eigene Schicksal zu kämpfen. Und das scheint zu heißen, dass ich das eben alles nicht erleben darf und vielleicht schon viel mehr überstanden habe, als eigentlich vorgesehen war. Weil ich immer irgendwie wieder die Zähne zusammen gebissen habe, aufgestanden und weiter gelaufen bin und mir dachte „der Weg ist das Ziel“ und solange wie ich nicht weiß, ob es nochmal okay wird am Ende, ob da noch irgendetwas auf mich wartet, nehme ich jede Blume am Wegesrand und bewundere sie.

Bleibt immer noch die Frage, ob ich zu Weihnachten trotzdem zu den Eltern des Freundes möchte.
Ich weiß es nicht. Weihnachten mit fünf Tagen alleine geht ziemlich sicher schief. Aber sonst geht es halt spätestens im neuen Jahr schief. In dem ich in den ersten zwei Monaten kaum ein Wochenende arbeiten muss. In dem es so viel Zeit für ein Wir gegeneben hätte. Auf das ich mich so gefreut habe. Spätestens das werde ich nicht aushalten. Die ganzen halben Wochenenden, monatelang am Stück, der Leere die dann bleiben wird, gegenüber zu stellen.
Ich will einfach nicht mehr. Und das ist das Problem. Man muss schon wollen, sagte Herr Kliniktherapeut mal. Sonst können sich alle anderen auf den Kopf stellen. Aber ich will gerade einfach keine Blumen mehr am Wegesrand sehen, über die man sich freuen könnte, wenn man nicht weiß, wohin man läuft. Ich will nicht mehr an irgendetwas glauben müssen von dem ich nicht weiß, ob es das irgendwann nochmal geben wird. Ich will nicht mehr so sehr leiden müssen. Ich möchte nicht mehr, dass das Herz sich anfühlt, als würde es in mir drin sterben, während die Hülle noch lebt. Ich möchte einfach Frieden finden. Und wenn das dann Dunkelheit für immer bedeutet, dann ist das so. Und ich kann auch keine Rücksicht mehr nehmen. Das habe ich so lange getan und am Ende dankt es einem auch keiner.


Mondkind


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