Über ein langsames Kippen

 14. Juni 2022

„[Es ist] so eine unglaubliche Skepsis ob das was da ist, bleiben kann. Ob ich mich nicht nur noch mehr verletze. Denn was ist, wenn ich gespürt habe wie es sein kann und das nicht halten kann?
Es ist nicht mal so, dass ich das total kritisch sehe mit uns. Es gibt keinen Grund sehr viel Angst zu haben. Und mittlerweile überlegt der lebende Freund, ob er in meinem nächsten Urlaub nicht auch noch eine Woche Urlaub nehmen kann.

Wer viel hat, kann viel verlieren. So ist es einfach.
Und so oft wie ich mir auch versuche zu sagen, dass ich dankbar für jede gute Erinnerung bin und keine Angst vor dem Verlieren haben sollte, ist sie doch da.
Weil das so oft passiert ist. Weil das jedes Mal so eine Katastrophe war. Weil die Erinnerungen so sehr weh tun. Weil sie nicht mehr den Frieden in sich tragen, der es mal war.“


Meine eigenen Worte.
Und doch hab ich es überhört.
Gehofft, geglaubt – was auch immer – dass das Mondkindsches Katastrophendenken ist. Dass ich es jetzt endlich mal nachhaltig schaffe. Zurück ins Leben. Oder zum ersten Mal überhaupt dorthin.

Es war klar, dass es hier irgendwann kippt. Ich war schon überhaupt sehr erstaunt, dass das so gut funktioniert hat bis hierher.
Trotz allen guten Bemühens lässt es sich langsam nicht mehr verdrängen. Ich bin ziemlich erschöpft mittlerweile und wenn ich den Freund sehe, dann muss ich mich wirklich zusammen reißen, nicht einfach weinen zu müssen. Wahrscheinlich sagt das jeder, der sich trennt und verlassen wurde durch den Partner (er sieht das anders, aber ich wollte mich nicht trennen), aber ich glaube, ich werde nie wieder so lieben. Selbst, wenn ich noch viele Jahre leben sollte. Ich soll kein Theater bei seiner Familie veranstalten. Deshalb habe ich mich jetzt einfach mal ein bisschen zurück gezogen, dass die da unten ihren Frieden haben und ich eben auch.

Die Uhr zählt.
Ohne Erbarmen.
Die Stunden, Minuten und Sekunden.
Rückwärts.
In 24 Stunden sollte ich zu Hause sein und am Besten schon in meinem Bett liegen. (Natürlich werde ich vermutlich nicht schlafen). Und dann ist es vorbei. Für immer. Ich habe keine Worte mehr dafür. Ich habe sie einfach nicht.
Noch ein Mal gemeinsam aufwachen. Gemeinsam frühstücken. Den Tag bis zum Nachmittag mit seiner Familie verbringen. Noch eine gemeinsame Autofahrt. Und noch ein Mal für immer von seiner Wohnung weg fahren.
Und dann irgendwie am 27.12. arbeiten. Wie auch immer das gehen soll. Wobei ich – denke ich – nicht müsste. Mein Oberarzt hat mich schon letzte Woche gefragt, ob er mich heimschicken soll. Aber zu Hause eingeigelt zu sein, ist auch kein guter Plan. Am 28.12 habe ich was? – Dienst natürlich. Wird sicher genauso schwierig, wie der Letzte in dem Zustand. Aber wenigstens hat die potentielle Bezugsperson glaube ich Urlaub und kriegt erstmal nicht mit, was ich da so mache.

Ich hasse es.
Ich hasse es so sehr.
Dass ich da wieder rein gelaufen bin, dass es wieder keinen Plan für das Danach gibt, dass ich wieder auf Hilfe von Außen angewiesen bin und einfach hoffen muss, dass irgendetwas und irgendwer tragen kann, obwohl die alle keine Ahnung haben, was wirklich los ist. Dass das wieder so schlimm geworden ist, dass ich eigentlich niemandem erzählen kann, was in meinem Kopf los ist. Dass ich wieder über das Sterben nachdenke, wo ich doch im Sommer so froh war, dass sich all diese Gedanken in die Hinterste meiner Hirnwindungen vergraben hatten. Das waren die besten Monate meines Lebens. Ganz sicher.


Heute waren der Freund und ich spazieren und sind an einer Kirche vorbei gegangen. Dort ist dieses Bild entstanden.


Und vielleicht... - vielleicht ist das alles so okay. An meinem Kühlschrank hängt immer noch eine Karte, auf der steht: "Maybe it's not about the happy ending. Maybe it's about the story." Und wahrscheinlich ist eine Mondkind über den Sommer mal doch ein bisschen hoch geflogen. Aber im Grunde war immer klar, dass es im Gesamten wohl nie gut werden kann.
Vielleicht geht es um die vielen Oasen, um die guten Momente, die ich mir trotzdem zwischendurch geschaffen habe. 
Vielleicht geht es darum, dass das meine eigene Geschichte ist. Nicht konventionell, aber meine. 

Vielleicht darf ich dennoch einfach stolz sein auf das, was ich trotz allem erreicht habe. Vielleicht ist es am Ende kein Versagen, wenn es kein "happy ending" wird. Vielleicht reicht die Story. Und die ist lang. Von vielen Kämpfen und wenigen Erfolgen geprägt - aber auch davon, so oft wieder aufgestanden zu sein, es immer wieder versucht zu haben, viele Wege gegangen zu sein, unendlich oft über den Schatten der Angst gesprungen zu sein. Bis man am Ende des Tages müde geworden ist - nach dem wohl mutigsten Versuch meines Lebens. Aber dass das ein Schuss in den Ofen werden kann, das wusste ich schon vor dieser Entscheidung.



Mondkind


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