Ein Ende

You touched my heart, you touched my soul
Changed my life and all my goals
And love is blind, and that I knew when
My heart was blinded by you

I've kissed your lips and held your head
Shared your dreams and shared your bed
I know you well, I know your smell
I've been addicted to you

Goodbye my lover
Goodbye my friend
You have been the one
You have been the one for me

(Goodbye my lover – James Blunt)


Irgendwie habe ich gehofft, dass ich nie eines dieser Lieder zitieren muss in Bezug auf meine Situation.
Dass ich diesen Blogeintrag hier nie schreiben muss.
Aber offensichtlich muss ich das.
Eigentlich schon gestern, aber da war keine Zeit zum Schreiben. Jetzt schläft der Freund allerdings und ich habe mich in seinen Sessel verkrümelt.
Einen feinen vierten Advent erstmal an alle Leser…

Gestern.
Ich bin schon früh unterwegs zum Freund. Eigentlich noch mit recht guter Laune. Ich spüre das Flattern im Bauch, meine Hände zittern ein wenig, aber vorrangig freue ich mich, dass ich den Freund in meinem Urlaub auch mal sehen darf. (Irgendwie habe ich mich im letzten viertel Jahr nach den Urlauben immer sehr unerholt gefühlt, obwohl ich eigentlich viel Urlaub hatte. Aber… - es gab halt auch jedes Mal Beziehungsstress im Urlaub. Könnt Ihr Euch erinnern, wie sehr ich mich auf die zwei Wochen Herbsturlaub gefreut habe und mit was für einem Knall der begonnen hat…?)

Wir frühstücken erst. Es ist recht schweigsam, wir beide wissen, dass die Situation ernst ist.
Und dann gehen wir eine Runde spazieren. Bei knapp minus 10 Grad.
Wir sollten über unsere Situation reden, schlägt der Freund irgendwann vor und referiert nochmal. Seine Grenzen. Eine Beziehung sei ausschließlich dann möglich, wenn es für mich mit der Sexualität kein Problem gibt. Und nur ausschließlich dann möglich, wenn man das mit der Verhütung nicht ganz so ernst nimmt mit dem bewussten Risiko, dass da ein Kind entstehen können.
Letzteres war letztes Wochenende noch nicht Diskussionsgegenstand.

Ich denke eine Weile nach. Während wir still unsere Fußspuren nebeneinander in den Schnee setzen. Und ich nicht mal merke, wie mit langsam die Zehen abfrieren. Das letzte Mal, dass jemand irgendwo so eng neben mir läuft. Sie werden bleiben, diese Spuren, bis Tauwetter einsetzt und die Erinnerungen mitnehmen wird.
Ich denke, ich muss ihm eigentlich gar nicht damit um die Ecke kommen, was Frau Therapeutin und ich besprochen haben. Denn damit wäre das Thema Sexualität ziemlich offensichtlich noch Wochen und Monate ein Problem. Und meiner Meinung nach sollte die Beziehung sich auch erstmal stabilisieren, ehe man sich über das Thema Kinder Gedanken macht. Denn ich habe nicht nur jahrelang für eine räumliche und finanzielle Unabhängigkeit zu meinen Eltern gekämpft und mit einer Schwangerschaft würde ich gerade letzteres wieder aufs Spiel setzen, ich bin auch als Kind getrennter Eltern aufgewachsen. Ich habe es erlebt, wie sich ein zu Hause von heute auf morgen in Luft auflöst, wie – egal wo ich war – immer ein Vermissen, eine Sehnsucht, übrig geblieben ist. Es war immer irgendwie ein halbes zu Hause, es war nichts mehr, das tragen oder Sicherheit geben konnte und es war recht bald nach der Trennung, dass ich zum ersten Mal zu der Idee kam, dass ein zu Hause nicht an das Elternhaus gekoppelt sein muss und es woanders gesucht habe. Die Schule war lange ein zu Hause, solang es sie eben gab. Und ehrlich gesagt möchte ich für mein Kind dieses Risiko so viel zu verlieren, so viel zu suchen und doch nicht zu finden, so gering wie möglich halten.

Wir gehen schweigend heim.
Und es ist noch am frühen Nachmittag, als er es sagt. „Wir müssen uns trennen.“
Wenigstens sagt er es. Das war mir wichtig. Es ist zwar unser beider Problem (er meint, ich wäre das Problem in dieser Beziehung, aber Frau Therapeutin hat es eindeutig anders gesagt und es stimmt auch irgendwie, was sie sagt), aber er will sich deswegen trennen. Nicht ich. Und wenn er das will, dann muss er das sagen.

Mich erinnert die Situation sofort an jene Situation im Juni 2020. Genau so fühlt sich das an. Als der dienstplanverantwortliche Oberarzt sagte: „Mondkind, ab August machst Du „erste Dienste“.“ Und mein erster Gedanke war: „Dann eben Ende Juli.“ Der erste Gedanke gestern war: „Eigentlich wäre gestern der richtige Tag gewesen.“ Aber da war zu viel Hoffnung. Um prophylaktisch zu handeln. Damals hatte ich noch anderthalb Monate, jetzt schwimme ich eigentlich schon im zu Lange.
Erstmal bewege ich mich die nächste halbe Stunde keinen Millimeter mehr. Die Realität ist dann - obwohl ich darüber nachgedacht habe, dass es so kommen könnte - doch brutal.

Es ist ein langsamer Abschied.
So, wie ich das immer gebraucht hätte und nie hatte. Wenn wichtige Menschen gegangen sind, dann war es immer mit viel Getöse und sofort.
Heute bin ich immer noch beim Freund. Exfreund, muss man jetzt eigentlich sagen. Er hat gestern nichts gesagt und ich bin einfach geblieben. Und habe bewusst wahrgenommen, alle Dinge hier zum letzten Mal zu tun. So hart es auch ist, aber das schafft Frieden.
Psychisches Chaos ist immer Hochstress für mich und dann durfte ich es gestern erleben, in seinen Armen einfach nochmal einzuschlafen. Wir haben zum letzten Mal gekocht gestern Abend und es war in all dem Drama sogar gut. Wir haben ein bisschen gelacht. Als würde man aus diesem Drama Konfetti basteln und es einfach nochmal in die Luft schmeißen. Später hat er mich gebeten aus einem Buch, das seine Mutter uns geschenkt hat, vorzulesen. Es geht um die Liebe in dem Buch und es könnte kaum passender sein. Ich nehme jedes Mal bewusst wahr, wenn er mich irgendwo berührt und hoffe, dass ich diese Momente, dieses Gefühl und Erleben in einer imaginären Truhe irgendwo in mir speichern kann. Ich kann mich erinnern, dass mir das zwischendurch so sehr gefehlt hat, dass es mich immer ein bisschen erschrocken hat und mein Körper jedes Mal mit einem Feuerwerk reagiert hat, wenn mir irgendein Fremder nur die Hand auf die Schulter gelegt hat. Ich befürchte, dass ich nach all den Jahren immer noch so hungrig nach Nähe bin, dass die Vorräte nicht lang reichen werden.
Und natürlich hoffe ich, dass er sich nochmal umentscheidet, aber ich weiß auch, dass das unrealistisch ist.

Noch ein Bild von der Reise - nicht so passend, aber ein besseres gibt es gerade nicht...

Was ab heute Abend kommt, wird eher weniger witzig.
Erstmal muss ich überlegen, was ich jetzt mit Weihnachten mache. Es gibt glaube ich kein Fest, das einem mehr die Einsamkeit, die Heimatlosigkeit, die Unzulänglichkeit vor Augen führt. Wahrscheinlich erzähle ich der Familie, ich bin bei Freunden und Freunden, ich bin bei der Familie. Ich möchte kein Asyl wieder unter irgendeinem Weihnachtsbaum bekommen.

Ich denke heute Nacht nochmal lange nach.
Ich verliere wieder ein Stück zu Hause. Ein Stück räumliches zu Hause (ich habe im letzten halben Jahr die Meiste meiner freien Zeit hier verbracht) und natürlich ein zwischenmenschliches zu Hause. Da ist wieder jemand, der ein Stück meines Herzens abbekommen hat und es jetzt mitnehmen wird.
Und irgendwie habe ich die meiste Zeit meines Lebens nur verloren. Immer mussten die wichtigsten Menschen gehen. Jedes Mal.
Und jedes Mal hatte ich hinterher das Gefühl, dass mich doch jemand aus dieser unendlichen Traurigkeit, Enttäuschung, Erschöpfung zurück ins Leben ziehen muss. Dass es das doch noch nicht gewesen sein kann. Ich bin so viel vorwärts gegangen und wusste gar nicht, für was und warum. „Ich kenne niemanden, der einen stärkeren Lebenswillen hat, als Du“, sagte die potentielle Bezugsperson mal, der all diese Geschichten kennt, als ich mal wieder auf der Geschlossenen herum saß. Nur manchmal, da hat mich der Mut und der Willen verlassen. „Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr“, habe ich mal dem Kliniktherapeuten erklärt, der daraufhin sagte: „Das erklärt wo wir sind und warum wir dort sind.“
Ich glaube, dieses Jahr war nie in der Planung drin. Dass eine Mondkind nochmal mit so viel Glück, so viel Übermut im Herzen leben darf, dass sie fast vergessen hätte, dass so etwas scheinbar gar nicht vorgesehen ist. Es gab eine Zeit, in der ich wirklich geglaubt habe, dass wir eines Tages heiraten und Kinder bekommen werden, eine kleine Familie gründen werden, unser eigenes, kleines zu Hause bauen. So bescheiden und doch so groß, nach allem was war.
Und der Fall jetzt ist nur so tief, eben weil es diese Idee gab. Vor einem Jahr wäre ich mit allem was dieses Jahr war, vollkommen zufrieden gewesen und hätte in größtem Frieden gehen können.

Die Helfersysteme funktionieren nicht mehr nach all der Zeit und das ist okay. Mich muss auch niemand mehr retten.
Es gibt auch keine Perspektive mehr, ehrlich gesagt. Das letzte halbe Jahr hat mein Leben und die Ziele völlig verändert. Da gibt es keinen Weg zurück. Die Neuro war lange ein Stück zu Hause, bis ich festgestellt habe, was für ein Schmarrn das ist und dass die Neuro wie eine Hierarchie funktioniert. Ich darf dort nur Ja und Amen sagen. So bin ich aufgewachsen, von daher stand es der Definition von „zu Hause“ nicht im Weg, aber jetzt tut es das. Privat zerfällt alles, beruflich kann auch nicht mehr viel halten, durch das viele Herumgeschiebe über die Stationen sind auch viele Kontakte irgendwie sehr lose geworden.
Es gibt keinen Platz mehr zum Anlehnen und ich habe auch nicht mehr vor, den zu suchen.
Und auch, wenn ich mir das alles anders gewünscht hätte, wenn ich so sehr gehofft habe, dieses Leben, diesen Traum weiter leben zu dürfen – aber ich spüre auch, es ist ein eigenartiger Frieden mit allem, was da jetzt ist.

Ich wusste, dass das alles viel Risiko ist. Aber ich wusste auch, dass es sich – egal was passiert und wie lange es bleiben kann, lohnen wird. Und ich habe es ja schon mal gesagt, ich habe das Leben so sehr zu schätzen gelernt im letzten halben Jahr, es wäre so willkommen gewesen zu bleiben. Aber ehrlich gesagt muss ich eben froh sein, dass es das nochmal so gab.

Die nächsten Tage bedeuten trotzdem erstmal Schwere.
Wenn man sich mal wieder die Seele bricht, ist das ziemlich unsichtbar. Da nimmt niemand Rücksicht, so sehr man sich das auch wünschen würde.
Und deshalb heißt das: Morgen 24 – Stunden – Dienst. Wenn ich Pech habe, 24 Stunden ohne Pause, mit viel Herzrasen, wenn Notfälle kommen. Und in erster Linie heißt das: Atmen. Ein Fuß vor den anderen. Und aufpassen, dass niemand stirbt, der nicht sterben soll. Natürlich darf gestorben werden auf einer Intensivstation, aber nicht, weil die Stationsärztin ihr Hirn nicht beisammen hat.

Mondkind


Kommentare

  1. Liebe Mondkind,
    ich bin bisher stille Mitleserin gewesen.
    Niemand wollte diese Zeilen von Dir lesen. Du bist ein so wundervoller, starker Mensch! Auch wenn wir uns nicht persönlich kennen, möchte ich Dir ganz viel Liebe da lassen. Es ist jetzt alles so unglaublich unwichtig geworden - das verstehe ich.
    Doch nach jedem Regen kommt auch wieder Sonnenschein. Es lohnt sich, nicht aufzugeben.

    Viel Liebe und Kraft
    S

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    1. Liebe S.,
      Danke für Deine lieben Worte. Es berührt mich sehr, was Du schreibst. Ja, es ist alles unwichtig geworden jetzt. Und es erinnert mich so sehr an all das, was ich schon mal durch habe. Ich werde nie wieder sagen, dass es in irgendeiner Weise schlimmer ist, einen Menschen durch den Tod zu verlieren. Es ist anders, nicht so richtig vergleichbar, aber in jendem Fall kann man nichts von beiden als mehr oder weniger schlimm betrachten. Die wichtigsten Menschen im Leben zu verlieren, ist immer schlimm. Und beide waren die wichtigsten Menschen. Nur eben in einer anderen Zeit.

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    2. Liebe Mondkind,
      tut mir leid, dass ich erst jetzt wieder antworte.
      Ja, das stimmt. Ein Verlust bleibt es immer, egal ob durch den Tod oder durch eine Trennung an sich.
      Ich hoffe, du kannst einen Weg finden, mit diesem weiteren Verlust umzugehen.
      Ich freue mich auf jeden Fall, dass du mit deinem Oberarzt darüber sprechen konntest und dir nun hoffentlich ein bisschen Hilfe zuteil wird. Vllt ist die Frau des Oberarztes ja tatsächlich eine passende Anlaufstelle.
      Falls du dich unbekannterweise mit mir einmal austauschen magst, kannst du gerne bei Instagram schreiben. Du findest mich dort unter miss.sternocleidomastoideus.

      Alles Liebe,
      S

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    3. Liebe S,
      Danke Dir.
      Ich hoffe auch, dass der Halt den ich gerade erfahre reicht, um einen Weg zu finden, damit umzugehen. Ich denke, wenn das Dienstag gut laufen sollte mit der Frau des Oberarztes, dann wird es vielleicht ruhiger. Mein OA meinte, dass ein Gesprächspartner ja auch erstmal ein überbrückendes Stück "Heimat" sein kann, aus der sich wieder eine gute Basis entwickeln kann. Das ist eine ziemlich gewagte Aussage über einen Menschen, der sich halt mal so als professioneller Helfer dazwischen schiebt, aber ich weiß was er meint und ich gebe mir alle Mühe mich auf dieses Konzept einzulassen.
      Danke auch für das Angebot des Schreibens.

      Liebe Grüße
      Mondkind

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