Von einem Gespräch und einem Wiedersehen

 „Frau Mondkind, vor oder nach der Tracheotomie?“, fragt mein Oberarzt.
Krass, dass er das nicht vergessen hat. Und scheinbar in seinen Tag eingeplant hat, mir auch noch ein bisschen seiner Zeit zu opfern.
„Danach“, sage ich. „Ich muss noch den Patienten in der Acht auf den Bauch drehen.“

Eine Stunde später sammelt er mich ein und wir suchen uns einen ruhigen Raum am Ende der Station. Ich hoffe still, dass mich keiner der Kollegen gesehen hat.
Ich weiß immer noch nicht, ob das hier alles richtig ist. Aber ich spüre, wie sehr er mir gerade hilft.
Und langsam, als er ein bisschen anfängt über sich und seine Erfahrungen zu erzählen spüre ich, warum meine zwischenmenschlichen Antennen hier gerade so krass anschlagen. Weil es eben nicht nur um den aktuellen ehemaligen Freund geht, sondern immer noch um den verstorbenen Freund. Weil das alles eine Reihe wird, in der eine Mondkind eben nie gut genug war, nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, nie genug geben und genug sein konnte.
„Frau Mondkind, ich glaube, ich kann nachfühlen, wie es Ihnen aktuell geht“, schließt er seine private Erzählung. „Ich hatte damals – und ich denke das kommt eben bei Menschen in unserem Beruf noch mit dazu – das Gefühl, dass ich als Mensch, als Partner und eben als Arzt komplett versagt habe. Und das war ein sehr, sehr langer Prozess das halbwegs zu verarbeiten und einen guten Therapeuten zu finden, ist da sehr, sehr schwer.“ Konventionell hat er es am Ende auch nicht gelöst. Aber es gab im Endeffekt wohl jahrelange Gespräche in Hinterzimmern von Stationen. „Sie brauchen da wirklich jemanden; das Thema ist für Sie noch nicht durch, das merken Sie jetzt wahrscheinlich selbst.“ Und er ist einer der wenigen Menschen, der nichts verurteilt. Der mal nicht sagt, dass wir zu kurz zusammen waren, um überhaupt einen Anspruch darauf zu haben, dass mich das bis heute täglich beschäftigt.

Es geht nochmal um die aktuelle Situation. „Ehrlich gesagt, wenn Sie mich vorher gefragt hätten, hätte ich Ihnen abgeraten mit dem Exfreund über Weihnachten weg zu fahren. Jetzt entschuldigenden Sie den Vergleich – aber das ist ein bisschen wie mit Drogenabhängigen. Zwischendurch bekommen Sie mal kurz das, was Sie brauchen und sich wünschen und dann sind Sie wieder auf Entzug.“

„Wissen Sie, was mich ganz doll umtreibt?“, frage ich. Er schaut mich fragend an. „Die Angst vor Montag. Bisher betrachte ich das eben, weil er da so inkongruent ist, irgendwie nur als halbe Trennung. Manchmal begreife ich, dass er da wirklich ein komplett anderes Konzept im Kopf hat hinsichtlich Beziehungen und dann fühlt sich das an wie innerliches Sterben, aber wenn mir das Montag bewusst wird, dann will ich nicht wissen, wie es mir dann geht. Und ich kenne mich ja. Ich reagiere super sensibel auf zwischenmenschliche Verluste. Und ich dachte immer, dass ich trotzdem irgendwie händeln kann, aber als der Freund gestorben ist, ist mir die Kontrolle wirklich komplett entglitten. Da war ich eine Woche später auf der Geschlossenen und habe irgendwie gedacht, dass das Leben jetzt vorbei ist.“
Zuerst mal findet er es gut, dass ich in der Situation damals überhaupt die Hand gehoben und um Hilfe gefragt habe. Und wenn es das damals gebraucht hat, dann war es gut so, sagt er.
Es geht darum, was ich jetzt brauche. „Sind Sie da nach Weihnachten?“, frage ich. „Ich habe bis Ende des Jahres keinen Urlaub mehr“, entgegnet er. „Können wir es vielleicht so machen, dass wir uns Dienstag nochmal zusammen setzen?“, frage ich. „Auf jeden Fall“, sagt er. Und dann schauen wir, wie die Lage aussieht.
Das entspannt irgendwie schon. Denn egal, was hier die nächsten Tage passiert – es wird zumindest die Gelegenheit geben nochmal kurz inne zu halten und zu schauen, wie es denn nun aussieht in mir und wie viel ich noch möchte. Ich tue mich noch schwer, ihm da zu vertrauen, dass das auch so klappt, ich kenne ihn ja kaum.
Ich hätte ja nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber wahrscheinlich wäre es gut gewesen, wenn ich noch drei Monate hätte auf der Intensiv bleiben können. Der Herr Oberarzt sagt, solange ich noch da bin – aber das sind ja nur noch vier Tage – können wir uns jederzeit nachmittags mal zurück ziehen und reden, wenn es mir gut tut. Er könne nicht viel anbieten, aber er habe gehört, dass zuhören schon manchmal hilft. Die Frage ist halt, ob vier Tage reichen, um mich zumindest erstmal im Leben zu halten. Und er sagt auch noch dazu, dass ich eben sehr an meinem Selbstwert arbeiten müsse. Dass ich super perfektionistisch sei und jeder mit meiner Arbeit komplett zufrieden ist und das so ein Drama ist, dass ich da so viele Ängste habe.


Von einer Radtour aus dem Sommer



Als ich am Abend beim Freund bin, spüre ich genau, was der Herr Oberarzt mit seinem kleinen Vergleich meinte. Ich weiß, dass alle Nähe die wir hier teilen den Schmerz nur noch größer macht, dass das vielleicht nicht sonderlich vernünftig ist, sich aber für den Moment richtig anfühlt.
Und die Mondkind kann zwischendurch gut verdrängen. Dass das hier alles nicht mehr als ein Traum ist. „Du weißt, was ich Dir zum Thema Hoffnung über Weihnachten gesagt habe“, erinnert der ehemalige Freund mich und ich erinnere mich daran, dass er mir den Zahn, dass er sich umentscheiden könnte, gestern schon mal gezogen hat.
Aber wenn eine Mondkind ohnehin nicht genau weiß, ob es den Jahreswechsel für sie auch noch geben wird, dann spielt das alles nicht so die Rolle.
Den Abend verbringen wir, als sei nie etwas gewesen. Und ich spüre so viel Schmerz parallel mit einem bewussten Wahrnehmen der letzten Zipfel unserer Beziehung. Dieser Mensch war so ein Geschenk für mich und mein Leben.

Am Abend reißen wir schonmal kurz an, wie diese Beziehung weiter gehen könnte. Er redet von Freundschaft. Ich weiß nicht, wie ich mir jemandem befreundet bleiben soll, wenn ich jedes Mal wenn ich ihn ansehe das Gefühl habe, dass ich mit diesem Menschen gerne eine Beziehungsebene leben möchte, die ich mal hatte und die ich nie mehr werde haben können. Er findet ja auch diese Trennung war einvernehmlich, aber im Endeffekt war es eben so, dass er – wie die meisten Menschen, die sehr wichtig in meinem Leben waren – einfach gegangen ist. Wie so oft, wenn die Mondkind das Gefühl hatte, dass es da ein Fundament gibt, eine Ebene die trägt, ein zwischenmenschliches zu Hause, löst sich das eben einfach so auf. Es würde halt die partnerschaftliche Ebene fehlen, die Exklusivität der Beziehung, behauptet der Freund und genau das ist das Problem und einer der Hauptpunkte, die eine Partnerschaft für mich ausmacht und was ich mir von dieser Beziehung für uns beide wünsche. Und deshalb wird das immer weh tun, ihm zu begegnen und ist nicht etwas, das ich länger als ein paar Tage kann. Ich kann nicht immer diesen Menschen ansehen, die Anziehung spüren und gleichzeitig das Wissen, dass es nie mehr werden kann, was es mal war. Und dass ich vielleicht irgendwann miterlebe, dass er das, was uns nicht tragen konnte, mit einer anderen Frau lebt. Das mag egoistisch sein, aber ist irgendwo auch aus Selbstschutz notwendig.
Ich habe keine Ahnung, ob er überhaupt nachspüren kann, was ich hier meine. Und ich habe auch keine Ahnung, ob wir beide dieselbe Idee davon haben, was ein Fundament einer Beziehung sein sollte.

Und es gibt Momente, die tun einfach so sehr weh. Momente, in denen mir bewusst wird, dass es ebe kein gemeinsames Wir mehr gibt. Den Urlaub für Mai haben wir beide nicht geplant. Es wird eben schließlich nicht passieren, dass wir das Abenteuer wagen, mit meinem kleinen Auto nach Italien zu fahren und wir werden auch nie gemeinsam am Strand stehen.

Die letzten Nächte waren kurz.
Und ich bin ziemlich erschöpft.
Mal sehen, wie das jetzt hier alles weiter geht.
Ob ich mich zwischendurch so viel melden kann, weiß ich noch nicht. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich dort haben werde, mal eine Runde zu schreibseln, wie das  mit dem Internet aussieht. Aber vielleicht hört Ihr von mir zwischendurch.


Mondkind


P.S. Ich mache auch mal neue Bilder. Aktuell hat es aber nicht so die Priorität...

Kommentare

  1. Liebe Mondkind, Ich frage mich schon auch, ob das Gerade die geeignete Umgebung ist...Irgendwie Kommt mir der Gedanke an "Parasuizidales Verhalten" in den Sinn...Wie Du Mal erwähntest, so mal frisch getrennt bei seinen Eltern aufzukreuzen; das hat tatsächlich merkwürdige , komische Züge & Nicht Nur Das, ich denke da Vordergründig & Um Ehrlich zu sein in besorgniserregender Drängnis immer Mehr & deutlicher/offensichtlicher auch Arg selbstdestruktive Züge in den Sinn & auch in Richtung Eben "Parasuizidales Verhalten" ..... Ich könnte es nachvollziehen, wenn du noch irgendwelche Hoffnungen hättest. Deine Hoffnungen könnten evtl. in die Richtung gehen: So Quasi die Hoffnung, mal für mehrere Tage Nacheinander ohne Gedanken An Arbeit, dass ihm da auch vor Augen gefìhrt wird, was er an Dir hat & womöglich durch eine endgültige Trennung halt verpasst, was er doch nicht verpassen will.. Und Doch halt ist es ja auch ein nicht zu verschweigendes , offensichtliches Faktum Irgendwo Gleichwohl Halt schon auch in einer gewissen "Gemeinsame Einheit" vor den Eltern aufzukreuzen..So Quasi die leise (auch völlig nachvollziehbare, menschliche) Hoffnung, dass er bei mehreren Tagen ohne Alltagsgedöns Vielleicht Doch noch spürt, Wie Viel du Ihm Bedeutest. Oder auch die leise Hoffnung, dass ihm seine Eltern sagen, wie viel Glück er mit Dir hätte & Ihn das nochmals zum Nachdenken beingt. Aber, liebe Mondkind, Stichpunkt: Gibt es da noch tatsächlich einen Funken an Hoffnung//Berechtigung? Dann hätte ja die ganze Aktion mit zu Seinen Eltern über ALLE Weihnachtstage zu fahren ja auch eine Gewisse Funktion...Hast du auch schon mal an eine Kompromisslösung gedacht? Wo/Wie feiert eigentlich deine Zwillingsschwester? Und der Ergotherapeut, den du in der Klinik kennengelernt hast & in der Studienstadt; Wie feiert Der? Und Gibt es nicht theoretisch die Möglichkeit für die Weihnachzstage, an denen du ja frei hast, in ein Kriseninterventionszentrum einzutreten? Und Ja noch zu den Hoffnungen: Anscheinend Hattet Du und dein ehemaliger Freund es Ja es Schon davon & er Scheint ziemlich Sehr Deutlich gemacht zu Haben, dass dies Nicht der Fall sein wied. Es Nicht Etwas Scheint, was für Ihn auch so ist, sondern dass er dir diesen Gefallen macheöt ..Aber meinst du nicht auch (ich will ihm da nichts unterstellen & schon grad gar nicht als ausschliesslicher Hedanke, aber irgendwie kommt mir das halt als Assoziation zu seinem Verhalten in den Sinn...), um dann, falls du dich tatsächlich suizidieren So Quasi , Er War noch so kulant & hat dich versucht vor dem Suizid zu retten, indem er dich mit zu seinen Eltern in eine Gemeinschaft Gebracht hat UND SOMIT DIE BERECHTIGUNG HAT & IHNE SCHULDGEFÜHLE, SEINE HÄNDE IN UNSCHULD GEWASCHEN ZU HABEN & NACH AUSSEN HIN ALLES SCHEINBAR GETAN HAT, UM DICH VOR DEM SUIZID ZU BEWAHREN??...Ganz Ehrlich, für mich hat das so unter diesen Umständen & seine doch Anscheinend Unmissverständlich Klar gemacht zu haben ,dass da nie unter keinen Umständen mehr was wird, was mal da war an Hoffnunfen, Gemeinsamen Zielen & Träumen.. An insgesamter Ausschluss eines Gemeinsamen Weges, einer Zukunft zu Zweit..Für mich hat das so unter diesen Umständen wie Oben schon erwähnt, ,"parasuizdale Züge" im Sinne einer Selbstdestruktion...Kannst Du Dich Nicht mit dekner Therapeutin aus der Studiensttadt oder dem Pfarrer der Klinik in Verbindung setzen oder eben doch dein Oberarzt...Ihm zu Sagen, du wüsstest Nicht, wie Du Dich Entscheiden Solltest..Bitte Besprich Doch Das mit einer dir nahene Person, einer Vertrauens-/Bezugsperson...Denn Ich mag Dich Irgendwie Sehr Fest & ich folge Dir Schon Lange...Ich verpasse keinen Blogeintrag von Dir. Alles Liebe & Erdenklich Gute!!!

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    1. Entschuldige bitte sehr die zahlreichen Tippfehler, aber nun nachdem ich nun schon bald tatsächlich 40 Min. dran bin an meinem Kommentar & es sehr anstrengend ist, etwas im Nachhinein zu berechtigen, hoffe ich, du siehst mir dies nach..Ich eollte dir eh noch anbieten, dass wir uns doch per PM üner Instagram ja austauschen können & du dich bei lir wirklich JEDERZEIT melden kannst..Ich heisse ja "fechtkuenstlerin06". Herzliche Grüsse Deine Enorm Fest Treue, Zuverlässige Lesdrin Nicole PS: Ich wäre tatsächlich -wenn es Dir überhaupt Danach ist- lfroh & es wäre mir tatsächlich lieber, wenn du mir per PM auf Instagram eine Antwort geben könntest ...

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    2. Hallo Nicole,
      Danke erstmal für das lange Kommentar und die vielen Gedanken, die darin stecken. Ich schreibe Dir noch... - heute war ich dann doch ziemlich beschäftigt, weil der Tagesplan sich nochmal geändert hatte... ich gebe mir Mühe, das hier irgendwie hinzukriegen; wie auch immer die Lösung am Ende aussehen wird.

      Mondkind

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