Von Abschieden und Gespräch

„Frau Mondkind, nehmen Sie Ihren Kaffee und kommen Sie mit“, sagt mein Oberarzt. Gerade sind wir fertig mit Pizza essen (ich habe mich hinreißen lassen trotz Magenschmerzen etwas zu essen, immerhin habe ich die Pizza zum Abschied auch spendiert und das mit dem Kaffee ist magentechnisch eher eine semi – tolle Idee, aber ich bin so müde, dass ich im Stehen schlafen könnte).
Ich laufe ihm hinterher in einen unserer Besprechungsräume.
„Sie sehen langsam aus, als hätten Sie die ganze Woche weder geschlafen noch gegessen“, sagt er.
„Kommt ungefähr hin“, sage ich.
„Erstmal finde ich das sehr gut, dass Sie sich bei meiner Frau gemeldet und einen Termin vereinbart haben.“
„Danke Ihnen nochmal für das Angebot und dass das jetzt auch schnell geht. Auch, wenn das trotzdem Überwindung war. Ich dachte, das hört irgendwann mal auf, dass ich immer wieder an diesem Punkt sitze. Und das ist schon ein Eingeständnis jetzt. Dass es ohne professionelles Helfersystem gerade nicht geht.“
„Sie brauchen das gerade Frau Mondkind, wirklich. Und ich habe auch zu viel gesehen, um Sie dafür zu verurteilen. Sie stehen für sich selbst ein, Sie haben sich geöffnet und mit mir geredet, obwohl ich am Anfang so blöde Dinge gesagt habe, wie dass Sie sich einen neuen Freund suchen sollen und das natürlich sehr oberflächlich ist. Aktuell würde ich Ihnen dazu nicht mehr raten. Sie müssen wirklich erst ein bisschen stabiler werden jetzt.“
„Naja, solche Kommentare machen mich ehrlich gesagt immer etwas aggressiv, aber woher sollen die Leute wissen, was los ist? Und dann habe ich mir gedacht, entweder wir beenden das mit dem Reden jetzt an der Stelle oder ich erzähle, worum es geht. Und ich weiß nicht, ob das richtig war, aber ich habe mich für Letzteres entschieden. Auch, weil ich einfach eine Resonanz brauchte, weil das alles so viel Druck gemacht hat. Und irgendwie dachte ich, ich kenne Sie ja nun doch schon eine Weile und ich habe da die Idee, dass Sie das vielleicht nicht ganz blöd auffassen könnten.“
„Übrigens Danke Ihnen, dass Sie meiner Frau gleich gesagt haben, dass da die falsche Adresse auf der Homepage steht. Ich habe das gleich mal korrigiert; ich verwalte nämlich die Homepage.“ Na so viel zum Thema, die beiden reden nicht darüber, was ich mit denen unabhängig voneinander bespreche.

„Ich habe halt ein bisschen Sorge, weil ich ja ab Montag auf der Stroke Unit bin und wir da auch nicht gut besetzt sind, nächste Woche. Ich habe mich schon kaum getraut Ihrer Frau zu sagen, dass das vor 18 Uhr absolut nicht machbar sein wird, dort zu sein – immerhin möchte ich ja etwas von ihr und nicht umgekehrt, aber das heißt halt, dass ich 17 Uhr die Station verlassen muss. Hier geht das, aber auf der SU ist das sehr sportlich.“
„Frau Mondkind, meine Frau würde auch noch später mit Ihnen reden – wir haben keine Kinder, das ist alles okay. Und wenn Sie das am Dienstag wirklich nicht schaffen sollten, dann schreiben Sie ihr einfach eine Mail, dass es eine halbe Stunde später wird. Nicht stressen, wir kriegen das alles hin, egal wo Sie arbeiten.“

Und dann reden wir noch ein bisschen weiter.
„Ich habe wirklich dolle Angst. Bisher hat die Trennung ja wenig praktische Auswirkungen gehabt. Wir hätten uns zwischen Weihnachten und Jetzt sowieso nicht gesehen, weil mir das unter der Woche zu viel Fahrerei war. Ich war ja immer diejenige die fahren musste und er wohnt halt auf der anderen Seite der Stadt und wäre morgens sowieso nicht mit mir aufgestanden, wenn ich früh hier sein muss. Aber jetzt ist eben das erste Wochenende seit sehr langer Zeit, das wir nicht zusammen verbringen, an dem ich alleine sein werde. Und auch wenn wir Silvester nicht viel geplant hatten, weil ich auch am 01. Januar arbeiten muss, aber wir hätten natürlich den Tag miteinander verbracht und er muss abends nochmal auf die Arbeit – ich hätte ihn dann kurz nach Mitternacht dort abgeholt. Und wäre am nächsten Morgen von ihm aus in den Dienst gefahren. Und ich merke schon jetzt, wie er mir sehr, sehr fehlen wird am Wochenende. Die Liebe ist nicht weg.“
Der Oberarzt rät zu ganz viel Selbstfürsorge. Nur Dinge machen, die gut tun in dem Moment.

„Darf ich noch etwas erzählen?“, frage ich. Der Herr Oberarzt lehnt sich zurück.
„Wissen Sie, ich kenne diesen Zustand, dieses Leben so wie es jetzt ist, so gut. Ich habe das so lange erlebt. Diese unendliche Verzweiflung, dieser tiefe Schmerz in der Seele, diese Sinn- und Hoffnungslosigkeit und das ist dermaßen unaushaltbar, dass ich schon morgens wünsche, dass es bitte schnell Abend werden soll, damit ich einfach schlafen kann – hoffentlich zumindest – und das nicht mehr spüren muss. Und man hangelt sich da irgendwie von Tag zu Tag und von Wegpunkt zu Wegpunkt und weil es so schrecklich ist und man sich so sehr wünscht, dass es besser wird, sehnt man sich so sehr nach allem, was ein bisschen Entlastung sein könnte. Früher habe ich mich lange von Ambulanztermin zu Ambulanztermin gehangelt, jetzt habe ich mich mit Ihnen irgendwie von Tag zu Tag gehangelt und gemerkt, dass der Austausch mit Ihnen mir gut tut und für den Moment den Druck ein bisschen raus nimmt, der nächste Wegpunkt wird Ihre Frau sein.
Und das ist dermaßen anstrengend und es nervt mich so, dass es jetzt wieder so ist. Das war den ganzen Sommer nicht so und ich weiß, dass das jetzt Wochen und Monate so gehen kann. Und das war auch jedes Mal das, worüber es dekompensiert ist. Weil das zu anstrengend und zu viel ist. Ich habe es seit 2017 nie länger als maximal anderthalb Jahre ohne Klinik ausgehalten. Und wenn es dann zusammen fallen durfte, war das auch jedes Mal so. Ich habe in der Psychosomatik letztes Jahr am Anfang wirklich einfach nur deswegen geweint, weil mir plötzlich drei Termine am Tag zu viel waren und ich einfach nicht mehr aufstehen wollte. Das ist so eine krasse Diskrepanz zu dem, was man hier von mir sieht. Und ich kann es auch alleine nicht lösen. Ich habe alles bestmöglich vorbereitet, sollte ich im Leben jemals ein sicheres zwischenmenschliches zu Hause finden. Ich habe studiert, ohne zu wissen warum, bin selbstständig und unabhängig geworden, aber dieses zwischenmenschliches zu Hause finde ich nicht alleine.“
„Ich kann das schon nachvollziehen. In der Klinik hat man Sie dann jedes Mal wieder ein bisschen aufgerichtet, dass es irgendwie ging und dann waren Sie zurück im Arbeitsalltag und haben sich hier ganz schnell wieder angelehnt und ja auch wieder Anerkennung über die Arbeit bekommen. Gab es denn da jemals ein strukturiertes Nachsorgeprogramm?“ „Naja, so richtig nicht. Ich bin aus der Klinik raus, habe meist wenige Tage danach wieder voll gearbeitet oder studiert, mit Diensten und allem.“ „Das war also ständig so undulierend. Die Klinik hat sie wieder ein bisschen aufgehoben und dann sind Sie wieder die Leiter runter gefallen. Das ist nicht schlimm jetzt, ich verurteile Sie nicht dafür, aber da brauchen Sie jetzt ein Konzept. Vielleicht kann meine Frau Ihnen da helfen. Aber machen müssen Sie es natürlich selbst – ich denke allerdings, das haben Sie verstanden. Immerhin geben Sie nicht der Umwelt die Schuld für Ihre Situation, Sie sind da sehr reflektiert und wissen, woher das jetzt alles kommt.“ „Naja, ehrlich gesagt hakt es da schon, wenn es mir sehr schlecht geht. Dann will ich halt auch einfach nicht mehr; das ist schon auch ein Problem. Ich muss mich da schon sehr anstrengen, mich auf konstruktive Konzepte einzulassen.“
Und nach einer Pause: „Ich würde das hier alles so gerne mal für eine Stunde abgeben. Ich nehme es auch wirklich alles zurück. Aber nur für eine Stunde Atmen.“ „Das ist halt das Problem mit solchen Zuständen. Gegen körperliche Schmerzen kann man gute Medikamente nehmen, gegen das was Sie schmerzt aktuell nicht. Ich denke nicht das Psychopharmaka da jetzt viel bringen bei Ihnen.“

„Frau Mondkind, ich weiß, dass alles was ich Ihnen jetzt sage, Ihnen auch nicht viel hilft. Aber ich möchte, dass wir das wieder hinkriegen. Sie sahen so gut aus im Sommer; sie hatten mal ein bisschen Farbe im Gesicht, Sie waren so glücklich; so möchte ich Sie wieder erleben. Sagen wir mal – im Herbst. Und das schaffen wir auch.“
„Ich weiß es nicht. Das ging immer wochenlang genau so und hat dann doch in der Psychiatrie geendet. Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt, weil ich nicht wollte und am Ende war ich doch zu entkräftet.“
„Und wenn es so wäre, wäre es auch kein Weltuntergang. Sie arbeiten zum Glück in einem Arbeitsumfeld, in dem das nicht komplett tabuisiert wird (wo lebt er…?). Und wenn es sein muss, dann bringe ich Sie dahin, aber ich hoffe, wir können Ihnen ein Konzept an die Hand geben, dass Sie das nicht brauchen. Ich würde sagen, wir warten erstmal den Termin mit meiner Frau ab und wie es Ihnen damit geht. Und ich bin Ihnen nicht böse, wenn Sie sagen, dass das nichts für Sie ist. Die Chemie muss schon stimmen, das ist einfach so. Und wenn meine Frau dann drin ist, bin ich erstmal raus. Was nicht heißt, dass Sie sich nicht bei mir melden dürfen. Sie sind zwar drüben im Neubau, aber das ist kein anderer Planet. Ich möchte, dass es meinen Assistenten, auch meinen ehemaligen Assistenten, gut geht. Allerdings bleibt dann das was Sie mit meiner Frau besprechen zwischen Ihnen beiden und das was wir besprechen zwischen uns beiden. Und sprechen Sie bei ihr bitte nicht so viel über das Thema Suizidalität, dann darf sie Sie theoretisch nämlich nicht weiter betreuen. Ich kann das ab und meine Frau auch und es ist auch eigentlich wichtig, dass sie darüber reden, aber das gibt in dem Setting eben Schwierigkeiten.“ Weil psychologische Berater:innen halt eigentlich nicht für psychisch kranke Menschen gedacht sind…
„Was weiß Ihre Frau eigentlich?“, frage ich.
„Dass Sie gerade eine schwierige Trennung hinter sich haben. Und, dass Sie mit Ihrem ehemaligen Psychotherapeuten zusammen waren.“ „Ich hoffe, sie verurteilt das nicht schon jetzt“, sage ich und spüre ein paar Tränen in den Augenwinkeln. „Es verurteilt Sie niemand Frau Mondkind…“

Unser beider Telefone klingeln wieder und wir müssen weiter arbeiten. „Danke Ihnen nochmal, wirklich. Ich habe fast keine Worte dafür, ein Danke ist echt zu wenig. Ich wüsste nicht, wo ich wäre, wenn die Woche nicht so gelaufen wäre, wie sie gelaufen ist.“

Am Nachmittag sortiere ich meinen Schrank im Arztzimmer aus. Viele Zettel fliegen in den Müll, welche die wichtig sind, hefte ich noch ab. „Frau Mondkind, ich habe noch etwas mitgebracht für Sie. Das Buch habe ich auch schon der [Kollegin] geschenkt, als Sie gegangen ist – ich hoffe, Sie können zumindest darüber mal ein bisschen lachen.“ Der Oberarzt bringt immer jedem, der von der Intensiv geht und sich halbwegs gut angestellt hat, ein kleines Präsent mit. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich mich dafür gut genug angestellt habe. „Meine Frau hat mich geschimpft, dass ich Kindergeschenkpapier genommen habe“, sagt er entschuldigend. „Mein inneres Kind ist gerade sehr glücklich darüber“, entgegne ich. „Wir würden uns freuen, wenn Sie hier mal aushelfen würden“, sagt der Oberarzt. Dann wünscht er uns allen noch einen guten Rutsch ins neue Jahr. (Ich kann das schon kaum noch hören, ehrlich gesagt, denn gut ist hier eben gerade nichts). „Und es sind die kleinen Dinge, auf die es ankommt“, sagt er und wirft mir nochmal einen eindringlichen Blick zu. „Und Sie Frau Mondkind, werden wir hier vermissen.“

so lieb...

Am Abend trabe ich rüber in den Neubau und bringe alle meine Sachen rüber – nicht nur für den Dienst am Sonntag, sondern auch, um mich wieder häuslich dort einzurichten. Nur häuslich fühlt es sich dort eben aktuell nicht mehr an, obwohl ich die Stroke Unit mal sehr mochte. Aber der Oberarzt dort – aka die potentielle Bezugsperson und ich – das wird schon schwierig. Ich denke, das wird ab jetzt ein absolut professionelles Verhältnis werden. Ist vermutlich besser für uns beide.
Innerhalb von anderthalb Wochen die Orte zu verlieren, an denen ich im letzten Jahr den Hauptteil meiner Zeit verbracht habe, ist schon schwierig.
Und heute Abend frage ich mich, ob ich das gut schaffen werde. Zunächst mal bis Dienstag. Ich traue mich kaum, da viel Hoffnung zu investieren, aber wenn es einfach nichts gibt… - dann ist das schwer da keine Hoffnung rein zu stecken.


Mondkind


 

Kommentare

  1. zum Thema "als Betroffene selbst in der Psychiatrie arbeiten" bzw psychische Erkrankungen als (vermeintlicher) Makel (im Arztberuf): Vielleicht ist der Podcast "Geschichten aus der Psychiatrie" auch was für dich, in der letzten Folge (#021) war genau das Thema :) https://geschichtenausderpsychiatrie.podigee.io/23-pilarkatharina

    Wünsche dir alles Gute fürs kommende Jahr! Lese hier schon eine Weile mit, und dass du nun bald wieder in einem quasi-therapeutischen Setting (hoffentlich) etwas aufgefangen wirst, klingt doch mal recht gut.
    LG

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. edit, weils sonst evtl. etwas verwirrend ist: konkret um das Thema geht es vor allem erst ca. ab Minute 50.
      Man kann den Podcast übrigens auch als Videoaufnahme bei Youtube sehen: https://youtu.be/b-UlFRa3QHE?t=3010

      Löschen
    2. Danke Dir für die Empfehlung. Ich habe ja heute genügend Zeit und werde mal rein hören. (Ich bin irgendwann mal dazu übergegangen Podcasts beim Putzen zu hören. Seitdem ist das mit dem Putzen viel erträglicher ;) )

      Löschen
  2. Ich wär ja ur-gespanmt Drauf, zu Erfahren, weöches Buch Du Von Deinem engagierten Oberarzt erhalten hast! (Ich muss Sylvester in einer psychiatrischen Klinik, aber auch noch mit Corona ausharren, obwohl ich rausdürfte (Offene Psychotherapiestation- Etwas, das ich dir bei einem Nächsten Aufenthalt auch eher anrate, als So auf die Schnelle auf der Geschlossenen Grob zu reparieren, so läuft frau immer mit Denselben Inneren, destruktiven, Dysfunktionalen, Festgefahrenen Mustern rum ...), Aber eben obwohl offen, darf ich nicht raus, wegen Corona...Das ist sehr traurig...Nun Denn, ein Pfleger meinte zwar, dieser Hype muss man ja nicht mitmachen um das Sylvester...Ich mag es halt, Altes Bewusst loszulassen & ins Neuen mit Menschen zu starte man mag...Aber im Grunde kann frau auch unter dem Jahr einen Neustart machen ;-(...Das kann ich mit Corona & in der Psychiatrie auf der Therapiestation Zwar auch nicht...Meinen Geburtstag diesen Jahres habe ich Sogar Auf der Geschlossenen verbracht...Auch nicht so das Wahre ...Noch Weniger als auf der Offenen , aber Halt mit Corona eingepfercht im Zimmer, ists auch nicht si proppe...Schicke auch Dir vuel Kraft für dieses WE!! Sonst darfst Du dich melden (habe halt hier wieder geschrieben, weil ich zuerst gar nicht so viel schrieben wollte...Auf Bald, melde Dich Gerne Bei Mir, wenns Brennt! Oder einfach So, um was Mit-Zu-Teilen, Herzlich Nicole (alias fechtluenstlerin06)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hey Nicole,
      ich schreib Dir noch wegen des Buches ;)
      Dann hoffe ich, Du bist doch mit ein bisschen Frieden im Herzen im neuen Jahr angekommen. Zu überlegen, was man im alten Jahr loslassen möchte und ins neue Jahr einladen möchte, kann man vielleicht auch vom Bett aus. Corona und Psychiatrie ist natürlich eine sehr blöde Kombination, da gebe ich Dir im Kern schon Recht.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen