Reisetagebuch #3 Freunde treffen

Ein neuer Morgen.
Der Wecker klingelt wieder früh.
Ich mache mich schnell fertig und tapse in die Küche. Für einen Kaffee.
Meine Mama hält mir erstmal vor, dass ich doch bitte beim nächsten Besuch auch mal Zeit für sie einplanen soll. Naja, wo war ich gestern Nachmittag und Abend? Zu Hause. Und wer hat Fußball geschaut und sich nicht für meine Idee Plätzchen zu backen interessiert? Auch die Mama. Das macht mich schon wieder dezent aggressiv am Morgen. Und erinnert mich auch wieder daran, warum ich damals dringend ausziehen musste. Und an diesem Ort auch einfach nicht mehr bleiben kann. Wobei es nicht nur das ist. Sondern diese allgemeine Stimmung hier. Die Diskrepanz zwischen dem was kommuniziert und dem, was gelebt wird. Ich fühle mich nicht willkommen hier.

Heute Morgen ist Stau auf der Autobahn, weshalb ich etwas zu spät zur Freundin komme. Erstmal begrüßt mich der Hund schwanzwedelnd und wir gehen eine kurze Runde ins Feld. Ehe wir uns um ihre Katzen kümmern und danach frühstücken gehen.
„Mondkind, Du wirkst gar nicht so, als wärst Du gerade in so einer schwierigen Lebenssituation mit Deiner Beziehung“, sagt sie. „Naja, zum Einen lernst Du das nicht so zu zeigen, wenn Du trotz Schwierigkeiten einfach so oft funktionieren musst und zum Anderen… - meine Welt bricht erst Sonntag zusammen. Aber dann knallt es vielleicht so richtig.“ Ich versuche einfach – neben der Tatsache, dass ich mich mit der Beziehung beschäftige – den Urlaub ein bisschen zu genießen – immerhin gibt es davon auch nur begrenzt im Jahr. Und, wenn ich schon mal hier bin. Das nützt auch nichts, sich jetzt schon verrückt zu machen. Und vielleicht ist das hier gerade das berühmte „fishing for moments.“ Die letzten guten Momente mitnehmen. Das kommt immer dann, wenn ich glaube, dass das große Ganze nicht mehr okay werden kann. Und vielleicht kann es das nicht mehr werden – das wird sich zeigen. Aber dann war ich nochmal hier, habe so viel wie möglich davon mitgenommen.

Später fahre ich in die Studienstadt rein, um einen Kumpel zu besuchen. Und als ich die altbekannten Straßen entlang fahre, die ich sonst so oft mit der Bahn gefahren bin (das ist sicher wesentlich entspannter, als sich durch den Großstadtverkehr zu kämpfen), spüre ich die Tränen in den Augenwinkeln. Das letzte Mal war es einfacher hier. Aber da dachte ich auch, dass die Vergangenheit bleiben wird und ich aber einen Anker in der Gegenwart und Zukunft habe, der mir hilft die Gegenwart zu tragen.
Wir gehen eine Runde über den Weihnachtsmarkt, essen gebrannte Mandeln und wärmen uns später bei einem Kakao auf. (Naja, es waren Zwei… *hust*). So richtig Weihnachtsstimmung mag nicht aufkommen, dazu ist die Zeit hier aktuell zu schwierig, dazu fehlt zu viel an meiner Seite, dazu gibt es zu viel Ungewissheit, aber ich nehme bewusst den Weihnachtsmarkt und die Lichter wahr und versuche die Eindrücke in mir zu verankern. 


Im Cafe sitzen und stundenlang reden. Ich lieb's


Wie ich das schon geahnt hatte, hilft es mit dem Kumpel nochmal über die Beziehung zu reden. „Mondkind, versuch mal für Dich bis Sonntag die Frage zu beantworten, was Du Dir von der Beziehung wünschst. Erstmal nur für Dich. Damit Du vielleicht mal nicht nur den Druck dahinter spürst, ganz viel geben zu müssen, sondern Dir vielleicht auch mal bewusst machen kannst, was Du bekommst und was Du Dir vielleicht auch von ihm wünscht, wo er Dir mal entgegen kommen kann. Einen sicheren innerlichen Standpunkt zu haben, wird Dir bei dem Gespräch am Sonntag helfen.“ Der Kumpel weist mich auch darauf hin, dass ich schon ständig von der Vergangenheit in Bezug auf die Beziehung rede. „Ich versuche mich mental vorzubereiten – ich will noch nicht wissen wie es mir geht, wenn am Sonntag raus kommt, dass wir die Beziehung nicht weiter führen können.“
Wir reden auch noch über Weihnachten. „Naja, wenn ich jetzt mit zu seinen Eltern kommen würde, wäre das wieder eine Form von Asyl zu Weihnachten. Wenn wir nicht weiterhin ein Paar sind, gehöre ich da eigentlich auch nicht hin und ich denke, der Freund macht sich nicht zuletzt einfach Sorgen, wenn ich Weihnachten alleine bin. Wir hassen uns ja jetzt nicht oder so und dass er sich Sorgen macht, nehme ich ihm ab. Aber abgesehen davon, dass das ein bisschen komisch ist, frisch getrennt bei seinen Eltern aufzutauchen – ich weiß nicht, ob ich das aushalte, mit diesem Menschen fünf Tage zu verbringen und zu wissen, das sind die letzten fünf Tage, die wir vielleicht je zusammen verbringen werden. Man kann sich sein Grab halt auch selbst schaufeln. Ich meine – aktuell habe ich sonst auch keine Alternative, was ich machen kann, aber ob das die Lösung ist, weiß ich auch nicht.“ Er kann die Bedenken verstehen, würde sich aber auch wünschen, dass ich zu Weihnachten irgendwo sicher bin. Er kennt mich auch, weiß, was der Verlust von zwischenmenschlichen Beziehungen bedeuten kann. Ihn habe ich auch in der Psychiatrie kennen gelernt, nachdem er und seine Freundin sich getrennt hatten und er darüber ziemlich suizidal geworden ist. Wir wissen beide, worüber wir da reden. Und er ist Ergotherapeut und einer der reflektiertesten und bodenständigsten Menschen, die ich kenne. Aber Menschen, die zwischenmenschlich so viel wahrnehmen, kann das scheinbar ganz schön raus hauen.
Zwischendurch schlendern wir noch ein wenig durch die Läden und ich finde noch ein hübsches Geschenk für den Freund zu Weihnachten – so langsam ist zumindest sein Geschenk mal fertig; ansonsten bin ich aktuell noch schlecht ausgestattet; ich weiß halt nicht, wo ich bin. Und der Freund bekommt zur Not ein Päckchen.

Auf dem Heimweg schickt mich das Navi an der Psychiatrie vorbei, was mich nochmal über mein Helfernetzwerk von früher nachdenken lässt. Eigentlich war ich echt gut aufgestellt. Und das war wahrscheinlich auch der Grund, warum das alles so „gut“ geklappt hat, am Ende. Ich hatte nicht den zwischenmenschlichen familiären Rückhalt, den ich mir gewünscht hätte und den ich gebraucht hätte. Ich habe nie gehört, dass ich okay bin, so wie ich bin. Es gab keine Umarmungen, kein „ich habe Dich lieb“, kein „Du schaffst das schon alles.“ Es gab nur Druck und Verbote. (Von daher ist alles das, was der Freund jetzt veranstaltet und was manche Menschen jetzt ein bisschen grenzwertig finden altbekannt). Aber ich hatte meinen Halt woanders. In dem verstorbenen Freund natürlich, der aber auch nicht alles mittragen konnte. Aber wir beide gegen die Welt – das war eine gefühlt starke Einheit.
Und sonst hatte ich Frau Therapeutin, wenn es mir sehr schlecht ging und ich teilweise akut suizidal war, habe ich drei Mal in der Woche bei ihr gesessen, bis die Krise aufgefangen war. Dann hat sie meine Belastung auch auf mehrere Schultern verteilt, den sehr geschätzten Herrn Psychiater mit ins Boot geholt und manchmal gab es noch ein Medikament für ein paar Tage dazu, wenn nichts mehr ging. Und die waren natürlich immer recht entspannt, dass die die Möglichkeit der Klinik dahinter hatten, aber das brauchte es nicht oft. Die haben viel aufgefangen, die beiden. Und neben dem professionellen Setting hatte ich das Labor, mein „Wohnzimmer“, wie ich es genannt habe, meinen Lieblings – MTA, der mir auch einfach viel in praktischen Dingen helfen konnte. Er hat mehr als ein Mal mein Fahrrad und meinen Laptop repariert, hatte viele aufbauende Worte.
Und so hatte ich meine kleine zusammen gewürfelte „Ersatzfamilie.“
Manchmal würde ich echt gern die Zeit zurück drehen.

Am Abend koordiniere ich mich noch kurz mit dem lebenden Freund. Oder sagen wir: Ich versuche das. Aber da kommen – wenn überhaupt – nur ein – Satz – Antworten zurück. Es ist schon ziemlich hart, dass ich gerade Urlaub habe, dass ich Zeit habe, dass ich so viel erlebe, das ich gern teilen möchte und es nicht erzählen kann.  Er fehlt mir sehr.

Morgen geht es erstmal weiter zu meinem Papa und Freitag fahre ich dann zurück nach Hause.
Und jetzt gibt es erstmal eine Wärmflasche und ein Bett.


Mondkind


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